Der rote Teppich auf dem offenen Feld versinkt im Matsch. Unbeeindruckt vom Regen stapft die lokale Politprominenz zu ihren VIP-Plätzen auf der Bühne, die aus drei Containern besteht. Davor: tausend Klappstühle für die Zuhörer, der Platz umgeben von Stacheldraht. Am Eingang stehen Polizisten mit Maschinenpistolen, Soldaten, private Sicherheitsleute. Schlangen bilden sich vor den Metalldetektoren, Parteiarbeiter tasten die Besucher ab, kontrollieren Taschen.
Am Ende sind in der Nacht auf Dienstag so viele Menschen auf dem Platz in Bharakahu, einem Vorort der pakistanischen Hauptstadt Islamabad, um den Politikern der zuletzt regierenden konservativ-islamischen Muslimliga (PML-N) zuzuhören, dass viele stehen müssen.
Knapp 106 Millionen Menschen sind am Mittwoch im mehr als 200 Millionen Einwohner zählenden Pakistan aufgerufen, ein neues Parlament mit insgesamt 342 Sitzen und eine neue Regierung zu wählen.
Weder der Monsun noch die Terrorgefahr hält sie davon ab, politische Veranstaltungen zu besuchen. In den vergangenen Wochen sind viele Menschen bei Bombenexplosionen und Schießereien ums Leben gekommen, allein 141 starben bei einem Selbstmordanschlag während einer politischen Kundgebung am 13. Juli in Mastung, einer Stadt in der Provinz Balutschistan. Es war der tödlichste Angriff in diesem Jahr.
"Goldene Gelegenheit, die Gott euch gegeben hat"
Auch in Bharakahu rechnen die Menschen mit Gewalt, obwohl die wichtigste Person nicht zu sehen, sondern nur zu hören ist: Der frühere Premierminister von Pakistan, Nawaz Sharif, spricht zu der Menge vom Band. Es ist eine Botschaft, die er aus dem Gefängnis sendet - Sharif wurde wegen Korruption zu einer Haftstrafe verurteilt und sitzt nun nur ein paar Kilometer von Barakahu entfernt, in Rawalpindi, in einem Hochsicherheitsgefängnis ein.
"Der historische 25. Juli ist da, und obwohl ich inhaftiert bin, werde ich Zeuge eurer Leidenschaft und höre eure Rufe!", sagt er in einer zweiminütigen Aufnahme, die von seiner ebenfalls inhaftierten Tochter Mariyam via Twitter verbreitet wurde. Sharif fordert seine Anhänger auf, am Mittwoch "nach dem Morgengebet eure Häuser zu verlassen, der PML-N eure Stimme zu geben und das Schicksal der Nation zu verändern". Es handele sich um eine "goldene Gelegenheit, die Gott euch gegeben hat".
Imran Khan - Demokrat oder eher Islamist?
Der Ausgang der Wahl ist unklar: Umfragen sehen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen PML-N und PTI, der Partei von Imran Khan. Khan war einst Cricket-Nationalspieler, führte Pakistan 1992 zum Weltmeistertitel und ist seither ein Star. Er führte ein Leben als Playboy und Partygänger in England, gründete 1996 in Pakistan seine Partei, steuert mit ihr inzwischen einen religiösen Kurs und gilt als Liebling des mächtigen Militärs. Viele sehen ihn deswegen schon als nächsten Premier.
Die Meinungen darüber, ob Khan mehr Demokrat oder eher Islamist ist, gehen auseinander. Mal gibt es sich pro-westlich und weltoffen, dann wieder verteidigt er das Blasphemiegesetz, wonach bereits Dutzende Menschen, Muslime wie Angehörige religiöser Minderheiten, wegen Beleidigung des Propheten Mohammed zum Tode verurteilt worden sind.
Gewinnt Khan, wäre es das erste Mal in der Geschichte Pakistans, dass keine der beiden etablierten Parteien - die von der Familie Sharif beherrschte PML-N oder die linke Pakistanische Volkspartei (PPP), dominiert vom Bhutto-Clan - sich durchsetzt.
Vor allem aber hat seit Gründung Pakistans 1947 das Militär das Land beherrscht. Vier Militärdiktatoren hat es seither erlebt. Formell ist Pakistan zwar eine Demokratie, mächtigster Mann des Landes ist jedoch nach wie vor der Armeechef.
Bei Wahlen geben Clanchefs und Großgrundbesitzer ihren Familien, Dorfgemeinschaften und Arbeitern vor, wen sie zu wählen haben - und Tausende Menschen folgen diesen Anweisungen blind. In einem Land, in dem nur 58 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren lesen und schreiben können, ersetzt Herdentrieb die freie Willensbildung.
Das Militär bestreitet offiziell jede Einmischung
Diesmal will die PML-N die Macht der Generäle brechen. Sharif war bereits zweimal in den Neunzigerjahren Regierungschef, beide Male konnte er seine Amtszeit nicht beenden:
Einmal musste er wegen Korruptionsvorwürfen vorzeitig abtreten,
das zweite Mal wurde er aus dem Amt geputscht.
Auch seine dritte Regierungsperiode ab 2013 konnte er nicht zu Ende bringen: 2017 musste er nach einem Gerichtsurteil wegen Korruptionsvorwürfen zurücktreten. Die Panama-Papers hatten ihn unter Druck gesetzt, er konnte die Finanzierung von vier Luxuswohnungen in London nicht nachweisen.
Anfang Juli wurde er schließlich, während er bei seiner krebskranken Frau in London weilte, zu zehn Jahren Haft verurteilt, seine Tochter Maryam zu sieben Jahren. Trotzdem reisten die beiden vor einer Woche zurück nach Pakistan - und wurden direkt am Flughafen festgenommen.
Sharif sieht sich zu Unrecht beschuldigt, er wirft dem Militär einen Komplott vor. "Ich bin bereit, mein Leben für die Demokratie zu opfern", sagte er. Mit seiner Rückkehr versucht er, sein Image eines korrupten Steuerhinterziehers in das eines Märtyrers zu ändern, dessen Kampf für Demokratie von den Generälen gewaltsam beendet wurde. Ob ihm das gelingt, wird die Wahl am Mittwoch zeigen.
Offiziell bestreitet das Militär jede Einmischung. In Hintergrundgesprächen versuchen Offiziere aber deutlich zu machen, warum sie Sharif verhindern wollen. Ziel sei es, die grassierende Korruption "an der Wurzel zu packen und auszurotten", sagt ein General. Das sei "nur mit frischem Personal möglich. Sharif war dreimal Regierungschef, er sollte es nie wieder werden".
Journalisten sprechen von "massivem Druck"
In den Augen vieler Pakistaner gelten die Streitkräfte als die einzige Institution, die nicht korrupt ist. Kritiker wiederum werfen der Armee eine unzulässige Einmischung in Politik und Justiz vor.
"Wir sind nicht unabhängig, unsere Institutionen sind in den Händen derer, die Waffen tragen", sagte Shaukat Aziz Siddiqui, Richter in Islamabad, in einer Rede am Samstag. Er warf dem Militärgeheimdienst ISI ungewöhnlich direkt vor, die Wahlen zu manipulieren.
Von "massivem Druck" sprechen auch Journalisten. Sie würden "eingeschüchtert, bedroht, zusammengeschlagen", sagt ein Reporter. Viele Medien, die das Militär kritisierten, würden bei der Arbeit behindert. Zeitweise war sogar der größte Nachrichtensender Pakistans, Geo TV, nicht mehr auf Sendung; die größte englischsprachige Zeitung, "Dawn", konnte in Teilen des Landes nicht mehr erscheinen.
"Gleichzeitig unterstützen die Generäle radikale Islamisten und weltweit gesuchte Terroristen. Anstatt sie einzusperren, lassen sie sie frei herumlaufen und Wahlkampf machen", sagt der Reporter weiter. Den Journalisten würde gesagt, sie sollten das nicht kritisieren. Ihnen würden Themen vorgegeben, außerdem sollten sie nichts Schlechtes über Imran Khan schreiben und Nawaz Sharif nicht "ehemaligen Premierminister" nennen, sondern einen "korrupten Verbrecher".
Der Ausgang der Wahl, sagen mehrere Journalisten, sei egal. In Wahrheit regiere das Militär, ganz ohne Putsch.
spiegel
Tags: