Vertrag über Offenen Himmel: Warum Washington noch eine Vertrauensbasis zerschlägt

  14 September 2018    Gelesen: 849
Vertrag über Offenen Himmel: Warum Washington noch eine Vertrauensbasis zerschlägt

Die USA zertrümmern eine Friedensvereinbarung, die sie einst mit Russland getroffen haben. Ohne Erklärungen und ersichtliche Gründe verweigern US-Experten einem russischen Kontrolljet die technische Zulassung – und damit auch die vertraglich verankerten Rechte auf Überwachungsflüge. Wieder bricht Washington einen Vertrag.

Um Vertrauen zu signalisieren und zu stärken, haben Russland, die USA und einige andere Staaten 1992 den Vertrag über Offenen Himmel geschlossen, auch bekannt als Open Skies. Der Name ist Programm: Die Teilnehmerstaaten haben sich verpflichtet, fremde Kontrollflüge über eigenem Gebiet zuzulassen, um sich gegenseitig Klarheit in Rüstungsfragen zu verschaffen.

Eine zweifellos wichtige Vereinbarung: „Der Vertrag erfüllt auch eine Friedensmission. Er ist eine Hilfe für Diplomaten und Militärs, sich gegenseitig nicht durch das Zielvisier anzuschauen“, sagt der Militärexperte Wladimir Popow, ehemaliger Generalmajor der russischen Luftwaffe.

Gegen diesen friedensstützenden Vertrag verstoßen die USA wieder einmal: Ein Vertreter der US-Regierung hat sich ohne Angabe von Gründen geweigert, ein russisches Überwachungsflugzeug für Kontrollflüge über dem Gebiet der Teilnehmerstaaten zuzulassen. Und dies, obwohl die Maschine vom Typ Tu-214ON den vertraglichen Anforderungen ganz und gar entspricht.

Das Flugzeug sei von den Gesandten der Vertragsstaaten auf einem Flugplatz nahe Moskau inspiziert worden, erklärt Sergei Ryschkow, Chef des Nationalen Zentrums zur Begrenzung der nuklearen Gefahr (ein Gremium des russischen Verteidigungsministeriums). Bis auf den US-Gesandten hätten alle bestätigt, dass die Maschine gemäß dem Vertrag ausgerüstet sei, also zu Kontrollflügen zugelassen werden könne.

„Der Vorsitzende der US-Delegation hat sich geweigert, das Abschlussdokument zu unterzeichnen – ohne sich zu erklären oder etwaige Gründe anzugeben. Er hat sich lediglich auf Anweisungen aus Washington berufen. Damit sind die vertraglichen Forderungen verletzt worden. Russland fordert die USA auf, sich zu erklären“, betont Ryschkow.

Darum, ob das russische Flugzeug den vereinbarten Merkmalen entspricht, gehe es den USA offensichtlich nicht, sondern allein um politische Motive, sagte der Chef des Nationalen Zentrums zur Begrenzung der nuklearen Gefahr.

Die US-Führung könne sich damit nicht abfinden, dass das russische Flugzeug mit seinen digitalen Überwachungssystemen aus heimischer Fertigung die amerikanische Technik um fünf bis sieben Jahre überholt habe.

Die Tu-214ON wurde eigens für Kontrollflüge im Rahmen des OH-Vertrags entwickelt und der Weltöffentlichkeit auf der Moskauer Luftfahrtmesse MAKS 2011 vorgestellt. Das Flugzeug ist mit speziellen Geräten ausgerüstet, die auf seine Funktion zugeschnitten wurden: Bild-, TV- und Infrarotkameras sowie einem hochauflösenden Seitensichtradar. Der neue Jet sollte seine Vorgänger – die Tu-154 und An-30 – ablösen.

Das hat die US-Delegation nun verhindert. Möglicherweise spiele hier banaler Neid eine Rolle, sagt der Militärexperte Wladimir Popow. Die USA hätten einen Rufschaden befürchtet, wenn die Russen ein hochmodernes Flugzeug bei Kontrollflügen hätten einsetzen können.

Eine Gefahr für die USA ist die Hightech-Maschine jedenfalls nicht, ist der Experte sicher: „Die Ausrüstung des Flugzeugs ist international zertifiziert worden. Vergleichbare Technik ist auch in den Flugzeugen anderer Vertragsstaaten eingebaut, beispielsweise in den Boeings der USA“, sagt Popow. „Im Vertrag ist ja auch alles streng geregelt: Fotokameras, Aufklärungs- und Radarsysteme, Frequenzen. Sollten etwa verdächtige oder gar verbotene Anlagen an Bord sein, können sie auch abgebaut werden“, erläutert der Fachmann.

Außerdem: „Bei jedem Kontrollflug sind auch internationale Beobachter mit an Bord. Amerikanische Systemoperatoren sitzen dann neben ihren russischen Kollegen im Cockpit und dem Kontrollraum“, erklärt Popow.

Einen objektiven Grund, die Zertifizierung zu verweigern, habe die US-Delegation deshalb nicht.

„Jede Zulassungsverweigerung muss begründet werden, was die Amerikaner bislang unterlassen haben. Das ist eine Vertragsverletzung“, sagt Wladimir Popow. „Damit setzen die Amerikaner den Vertrag zeitweilig außer Kraft.“

Deutlichere Worte für das Verhalten der US-Gesandten findet de Militärexperte Konstantin Siwkow, Vize-Präsident der russischen Akademie für geopolitische Probleme: „Die Amerikaner sagen damit, dass sie den OH-Vertrag offensichtlich nicht erfüllen werden – mit allen daraus resultierenden Konsequenzen. Damit wird die beidseitige Rüstungskontrolle eingestellt, was für die USA gegenwärtig sehr von Vorteil ist.“

Offenbar rechnen die Vereinigten Staaten damit, das russische Militär mittels Satelliten ausspionieren zu können. „Diese Möglichkeit hat Russland auch, aber nicht in dem Maße wie die USA. Das russische weltraumgestützte Aufklärungssystem ist deutlich schwächer als das amerikanische, einfach weil der russische Satellitenverband kleiner ist“, erklärt der Experte Siwkow.   

Die aktuelle Auseinandersetzung ist indes nicht der erste Konflikt zwischen den USA und Russland wegen des OH-Vertrags. Im Dezember letzten Jahres sperrten die US-Amerikaner ihren Luftraum für russische Kontrollflüge über Alaska und Hawaii, weil sie vorher wegen einer vertraglichen Einschränkung den Luftraum über Kaliningrad hatten nicht inspizieren können.

Als Reaktion darauf hat Russland Einschränkungen für die USA in den Vertrag aufgenommen. Überdies stellt der amerikanische Rüstungshaushalt für das kommende Jahr ein Hindernis für die reibungslose Erfüllung des geltenden Vertrags dar.

sputniknews


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