In Italien naht der Tag der Wahrheit

  26 September 2018    Gelesen: 631
In Italien naht der Tag der Wahrheit

Am Donnerstag will Italiens Finanzminister Tria das Haushaltsgesetz vorlegen. Doch der Rechnungshof könnte der Koalition einen Strich durch die Rechnung machen. Innenminister Salvini scheint einen Plan B vorzubereiten.

 

Mag sein, dass Rocco Casalino, der Sprecher des italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte, unabsichtlich in den Fettnapf gesprungen ist. Immerhin ist Casalino, der 1975 im pfälzischen Frankenthal zur Welt kam, kein Berufspolitiker, sondern promovierter Ingenieur - auch wenn das Fernsehpublikum in Italien ihn im Jahr 2000 als Kandidat der Reality-Show "Grande Fratello" kennenlernte, der italienischen Ausgabe von "Big Brother". Mag auch sein, dass er einfach ein Ventil brauchte, denn seit Wochen nimmt die Nervosität in den zwei Regierungsparteien zu. Je näher der 27. September rückt, der Tag, an dem das revidierte Haushaltsgesetz veröffentlich werden muss, desto aggressiver reagieren die Regierungsparteien auf ihre Kritiker.

Was auch immer der Grund war: Vor ein paar Tagen tauchte eine Aufnahme auf, in der Casalino den "Technokraten" im Finanzministerium unverhohlen droht: "Sollte das Geld für das Grundeinkommen nicht rausspringen, dann gibt es eine Racheaktion seitens der Fünf-Sterne-Bewegung. (…) Den Scheißkerlen im Finanzministerium werden wir den Garaus machen." Der unautorisierte Mitschnitt sorgte für große Entrüstung. Doch Regierungschef Conte stellte sich hinter ihn.

Ein Grundeinkommen in Höhe von 780 Euro ist das zentrale Wahlversprechen der Fünf Sterne, denen Casalino angehört. Vielleicht war sein Wutausbruch vor Journalisten ein gewollter Schachzug, um die Öffentlichkeit von der wachsenden Spannung zwischen den Koalitionspartnern abzulenken. Liest man in diesen Tagen nämlich die Kommentare der italienischen Zeitungen, gewinnt man den Eindruck, die Tage dieser Koalition seien gezählt.

Die Fünf Sterne werden unruhig
Für beide Parteien steht der Tag der Wahrheit vor der Tür. Zwar konnte Matteo Salvini, Innenminister und Chef der nationalistischen Lega, mit forschem Vorgehen gegen die Migranten seine Klientel bei Laune halten. Doch an diesem Donnerstag werden seine Wähler anhand des Haushaltsgesetzes erfahren, wie es um die von der Lega versprochene Flat Tax und um die Rentenreform wirklich steht. Genauso wie die Wähler der Fünf-Sterne-Bewegung erfahren werden, was aus dem versprochenen Bürgergeld wird. Beides sind eher realitätsferne Vorhaben: Neben der italienischen Staatsverschuldung, die bei 131,2 Prozent des BIP liegt, bieten auch die konjunkturellen Aussichten keinen Spielraum für größere Experimente. Ökonomen erwarten, dass die Wirtschaft in diesem Jahr nicht - wie von der Regierung vorausgesagt - um 1,5 Prozent, sondern nur um 1,1 Prozent wächst.

Sowohl Salvini wie auch Fünf-Sterne-Chef und Sozialminister Luigi Di Maio drohen zwar nicht mehr damit, die im Maastricht-Vertrag festgesetzte Defizitgrenze von 3 Prozent zu sprengen. Doch mit der von Finanzminister Giuseppe Tria festgesetzten Obergrenze von 1,6 Prozent will sich Di Maio nicht abfinden. Ein fähiger Minister müsse das Geld für die Reformen aufbringen, sagte er vor ein paar Tagen. Am Montag fragte er: "Warum darf (der französische Präsident Emmanuel) Macron das Defizit bis zu 2,8 Prozent anheben und wir nicht?"

Inzwischen hat man sich wieder zusammengerauft und einen neuen Sündenbock ausgemacht: den italienischen Rechnungshof. Denn wie die Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera" in einem Artikel erklärt: "Es hängt einzig und allein von der Überprüfung und Zustimmung des Rechnungshofes ab, ob das vom Finanzminister vorgelegte Haushaltsgesetz zur Abstimmung an das Parlament weitergeleitet werden kann." Das passiert nur, wenn die darin stehenden Maßnahmen die nötige finanzielle Deckung haben. Genau das bezweifeln viele Ökonomen und hoffen auf Daniele Franco. Der 65-Jährige ist seit 2013 Chef des Rechnungshofes. Zuvor war er ranghoher Beamter der italienischen Notenbank.

Salvinis Plan B heißt Berlusconi
In Francos Augen dürfte das Bürgereinkommen der Fünf-Sterne-Bewegung auf besonders wackligen Beinen stehen, da es dafür im Moment keine wirkliche finanzielle Deckung gibt. Deswegen besteht Di Maio auf ein höheres Defizit. Er hofft, durch staatliche Investitionen die Wirtschaft anzukurbeln. Italiens Notenbankpräsident Ignazio Visco warnt jedoch, dies sei ein riskantes Spiel. "Höhere Ausgaben sind nur dann gerechtfertigt, wenn sie wirklich ertragreiche Unternehmen unterstützen."

Ob der Streit an diesem Donnerstag entschieden wird oder ob er weitergeht, wird sich zeigen. Spätestens am 31. Dezember muss das Haushaltsgesetz vom Parlament verabschiedet werden. Während Di Maio um seine politische Zukunft bangt, hat Salvini schon seinen Fallschirm parat. Nach länger anhaltender Verstimmung scheinen er und Silvio Berlusconi sich derzeit wieder näherzukommen. Dessen Partei Forza Italia ist in den Umfragen zwar abgestürzt. Zusammen steht das rechte Lager in den Umfragen allerdings deutlich besser da als bei der Wahl im März, nach der es nicht für eine Regierung des Bündnisses reichte - mit der Folge, dass Salvinis Lega eine Regierung mit den Fünf Sternen bildete.

Kein Wunder also, wenn Rocco Casalino nervös ist. Immerhin kann er sich damit trösten, dass er dieses Mal länger durchgehalten hat: Vor 18 Jahren wurde Casalino nach 13 Wochen aus dem "Big Brother"-Haus gewählt. Die italienische Regierung ist bereits mehr als 16 Wochen im Amt.

n-tv


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