Für die Nato geht es bei der Übung in Norwegen um die Substanz: Sind die Truppen der Allianz überhaupt noch fähig, einen konventionellen Krieg erfolgreich zu führen, zumal in der eisigen Umgebung des Nordens?
Gemäß dem Übungskonzept werden Norwegens Nord- und Mittelregionen von einer bösen Macht – der „Gruppe Nord“ – besetzt. Ist Russland der Bösewicht? So wird das natürlich nicht gesagt. Nur von einer „aggressiven Regionalmacht“ ist die Rede. Und schon Präsident Obama bezeichnete Russland einst als eine solche.
Jedenfalls: Der fiktive Aggressor besetzt Teile Norwegens und nimmt, nachdem er seine Stellung gefestigt hat, Kurs auf die Hauptstadt Oslo. An dieser Stelle greift der „Befreier“ ein: die „Gruppe Süd“ – die Nato-Truppen.
Sie halten den fiktiven Eindringling auf und beginnen eine Gegenoffensive zur Befreiung des Landes. Das oberste Ziel der „Befreier“ ist die „Wiederherstellung der Souveränität Norwegens“.
Erstaunlich auffällig ist, dass der Ablauf der Übung bis ins Detail jenen Strategien eines konventionellen Krieges in Europa folgt, die noch in den späten Achtzigern entwickelt wurden. Damals gingen die Strategen von einer Landeoperation sowjetischer Truppen in Nordnorwegen aus.
Dadurch sollte die norwegische Flugabwehr ausgeschaltet und eine strategische Basis für die sowjetische Bomberflotte geschaffen werden. Von dieser Plattform aus würden die russischen Langstreckenbomber den gesamten Nord- und Mittelatlantik kontrollieren und könnten die Seekonvois aus den USA und Kanada in Richtung Europas abblocken.
Im weiteren Schritt, so die Überlegungen aus dem Kalten Krieg, würden die Sowjettruppen Island besetzen – nicht den ganzen Inselstaat, sondern nur die Hafenstadt Keflavik samt dem Luftwaffenstützpunkt.
Damit würden die Nato-Pläne zur Verlegung von Gerät und Personal aus Nordamerika nach Europa durchkreuzt, wonach Russland eine Bodenoffensive zunächst gegen Deutschland starten würde. Eine Woche später würden die Russen gemäß dem damaligen Planspiel die französische Grenze erreichen.
Enden würde der sowjetische Vormarsch siegreich am Ärmelkanal und den Pyrenäen – so stand es zumindest in den Strategiepapieren der Achtzigerjahre.
Zurück zum diesjährigen „Trident Juncture“-Manöver. Den aggressiven Eindringling stellen bei der Übung in Norwegen – so seltsam es erscheinen mag – die Marineinfanteristen aus den USA. Die 24. Marine Expeditionary Unit geht vom großen Landeschiff „USS Iwo Jima“ im norwegischen Tröndelag an Land, begleitet vom Flugzeugträger „USS Harry Truman“.
Das ist übrigens das erste Mal seit 30 Jahren, dass ein Flugzeugträger der USA sich so nah an die russische Grenze in den arktischen Gewässern nähert. Selbst in den schwersten Zeiten des Kalten Krieges erlaubte es die US Navy sich nicht, Flugzeugträger hinter den Polarkreis zu schicken.
Die Seeleute der US-Marine sind unerfahren, was Einsätze hinter dem Polarkreis angeht. Es wird berichtet, die Marineinfanteristen werden bei der Übung in Norwegen erstmals einen neuen Kälteschutzkampfanzug, die „Nord-Uniform“, erproben. Bisher hat es ein solche Kampfmontur bei den US Marines einfach nicht gegeben.
Westliche Experten überschlagen sich bereits in ihren Einschätzungen dessen, was daraus werden könne, wenn die US-Truppen sich nach jahrzehntelangen Kriegen im Nahen Osten und in Afghanistan in eine ganz andere Klimazone begeben.
Die amerikanische „Besatzerarmee“ beim TRJE 18 in Norwegen zählt rund 14.000 Mann. Alle Nato-Staaten plus Schweden und Finnland nehmen am Manöver teil. Das größte Kontingent stellt der Gastgeber Norwegen.
Die Verteidigung und der Gegenangriff vom Süden her ist die Aufgabe der Deutschen und Briten. Das Bundeswehr-Kontingent umfasst rund 10.000 Mann, insgesamt sind rund 50.000 Nato-Soldaten am „Trident Juncture“ beteiligt – mit 10.000 Fahrzeugen, 150 Flugzeugen und 65 Schiffen.
Geführt wird das Manöver von Admiral James Foggo, dem Kommandeur der 6. Flotte der US Navy. Er hat bereits erklärt, Norwegen sei ein „hervorragender Ort für derlei Manöver“.
Das letzte „Trident Juncture“-Manöver fand 2015 an der Nato-Südflanke statt: in Italien, Spanien und Portugal. Trotz der erklärten 35.000 Teilenehmer war diese Übung jedoch hauptsächlich ein computersimuliertes Planspiel.
Analysten werden indes nicht müde, die Notwendigkeit zu betonen, die klassischen Fähigkeiten der Nato – die konventionellen Streitkräfte in Europa – wieder zu stärken. Operationsmöglichkeiten im Cyber- und Weltraum sind natürlich wichtig, doch letztlich kontrollieren Soldaten, Matrosen und Piloten das Land, die Gewässer und den Luftraum.
Also muss die herkömmliche Kampffähigkeit der Nato-Truppen auch in Manövern wiederhergestellt werden, was, nebenbei bemerkt, nicht günstig ist: Allein Deutschland gibt bis zu 90 Millionen Euro für die Teilnahme an „Trident Juncture“ aus.
sputniknews
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