Im Leben der meisten erfolgreichen Politiker gibt es einen entscheidenden Moment, der sie als Politiker definiert. Bei Stacey Abrams war es einer, der sich ganz hervorragend erzählen lässt: "Ich war 1991 als Jahrgangsbeste meiner High School zu einem Empfang beim Gouverneur von Georgia eingeladen", beginnt Abrams die Geschichte, die sie gern auf ihren Kundgebungen erzählt. Ihre Eltern hatten keinen eigenen Wagen, also fuhr die Familie mit dem Bus. "Wir liefen die Auffahrt herauf, an uns vorbei andere Jahrgangsbeste in ihren Autos, und kamen am Tor an. Der Sicherheitsmann schaute zuerst mich und dann meine Eltern an und sagte: 'Das ist eine private Feier. Ihr gehört nicht hierher.'"
Doch die Abrams ließen sich nicht abwimmeln, sie bestanden darauf, dass der Wachmann die Gästeliste kontrollierte - wo er den Namen der Familie fand. "Ich kann mich nicht daran erinnern, den Gouverneur getroffen zu haben. Aber ich kann mich verdammt gut daran erinnern, vor dem Zentrum der Macht in Georgia gestanden zu haben und mir erzählen lassen zu müssen, ich gehöre hier nicht her", schließt die Frau, die sich fast 30 Jahre später anschickt, genau dort für die Demokraten einen festen Platz zu erobern.
Jagd auf illegale Einwanderer?
Stacey Abrams ist die erste schwarze Frau, die für eine große Partei in den USA für ein Gouverneursamt kandidiert - sie könnte am Dienstag die erste schwarze Gouverneurin in der Geschichte der Vereinigten Staaten werden. Und das auch noch in Georgia, einem dieser Südstaaten, die ihre Sklavenhaltervergangenheit nie endgültig abschütteln konnten und in denen Rassismus in all seinen Formen bis heute ein Problem ist. Das beste Beispiel dafür ist Abrams republikanischer Rivale im Kampf um den Gouverneursposten: Brian Kemp bezeichnet sich selbst als "politisch inkorrekt" und schaltet Fernsehwerbespots, in denen er mit einer Schrotflinte bewaffnet durch die Gegend läuft und damit angibt, einen "großen Truck" zu besitzen, mit dem er Jagd auf "illegale Einwanderer und andere Kriminelle" machen könne, falls das mal notwendig werden sollte. Von Georgias südwestlichem Zipfel bis zur mexikanischen Grenze, das nur am Rande, sind es tausend Meilen.
Kemp tritt nicht nur für den Gouverneursposten an, er ist als Staatssekretär von Georgia zugleich für den reibungslosen Ablauf der Wahl verantwortlich. Ein skurriler Zustand, in dem einer der Kandidaten zugleich Schiedsrichter ist - und einer, den Kemp offenbar ausnutzt: Der Republikaner soll im Vorfeld der Wahl, wie dies mitunter in den USA vorkommt, die Stimmenanteile von Minderheiten unterdrückt haben. Kemp muss nun vor Gericht erklären, warum sein Büro die Registrierungen von 53.000 größtenteils schwarzen Wählern abgelehnt hat, obwohl Afroamerikaner nur ein Drittel der Bevölkerung Georgias ausmachen.
Während Kemp also ganz offen mit der Trump-Methode Wahlkampf macht, steigt Abrams eher in die Fußstapfen von Change-Politikern wie Bernie Sanders oder, auf europäischer Seite, Emmanuel Macron. Sie vermeidet spalterische Rhetorik, in ihren Reden spielt Hoffnung eine wichtige Rolle. Politisch gesehen ist die Yale-Absolventin für amerikanische Verhältnisse eine linke Hardlinerin: Abrams möchte die Gesundheitsfürsorge für Arme, Medicaid, ausweiten - eine Forderung, die Georgias bisheriger republikanischer Gouverneur stets abgelehnt hatte, die aber auf eine mehr als 70-prozentige Zustimmung in der Bevölkerung trifft. Außerdem fordert die Demokratin einen Fonds, der Kleinunternehmern zinsfreie Darlehen gewährt sowie höhere Stipendien für Studenten aus einfachen Verhältnissen. Sie kennt das Thema aus eigener Erfahrung: Im April sprach sie offen darüber, mehr als 200.000 Dollar Schulden zu haben, darunter noch solche aus ihrer Studienzeit.
"Der Wandel ist nicht aufzuhalten"
Erstaunlicherweise kommt das bei den Wählern im erzkonservativen Georgia gut an: Abrams und Kemp liegen so gut wie gleichauf. Je nach Umfrage liegt mal die Demokratin, dann wieder der Republikaner vorne, beide versammeln jeweils rund 47 Prozent der Wählerstimmen um sich. Um das Momentum zugunsten der schwarzen Pastorentochter zu verschieben, haben sich Abrams eine ganze Reihe von Berühmtheiten angeschlossen: Ex-Präsident Barack Obama unterstützte die Politikerin bei einer Kundgebung, ebenso Fernsehstar Oprah Winfrey. "Wenn wir uns alle vereinigen, dann ist der Wandel nicht mehr aufzuhalten", schwor die Moderatorin das Publikum gewohnt wortgewaltig auf Abrams ein.
Dabei braucht die 44-Jährige, die in den 2000ern neben ihrer politischen Tätigkeit eine Reihe ziemlich erfolgreicher Schnulzenromane veröffentlichte, eigentlich keinen verbalen Beistand. Abrams hat auch allein genug Power, um die Massen mitzureißen: "Ich möchte nicht, dass mich irgendjemand wählt, nur weil ich schwarz bin. Und ich will auch nicht, dass jemand unter meinem Namen ein Kreuz macht, weil ich eine Frau bin", stellte Abrams bei einer Kundgebung in Macon klar. "Aber ich möchte, dass ihr Folgendes wisst: Ich verstehe, welche Hürden es im Bundesstaat Georgia gibt, weil ich eine schwarze Frau bin. Und weil ich eine schwarze Frau bin, weiß ich auch, dass ich nicht alleine Geschichte schreiben werde, sondern nur mit und dank euch!"
Ob es tatsächlich so kommt, wird sich am 6. November zeigen. Wobei es angesichts der momentanen Umfrageergebnisse gut möglich ist, dass das Rennen um den Gouverneurstitel in die Verlängerung geht: Sollte keiner der Kandidaten am Dienstag die 50-Prozent-Hürde überschreiten, muss eine Stichwahl am 4. Dezember darüber entscheiden, ob Georgia den nächsten Schritt auf dem Weg gehen kann, sich von seiner dunklen Vergangenheit zu emanzipieren.
Quelle: n-tv.de
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