Um die Kanzlerschaft geht es natürlich noch nicht. Das betonten bei der ersten Regionalkonferenz der CDU in Lübeck alle drei Kandidaten: Annegret Kramp-Karrenbauer, Friedrich Merz und Jens Spahn. Jetzt wollen sie erst einmal Chef oder Chefin der CDU werden.
Wer Angela Merkel in diesem Amt nachfolgt, entscheiden die Christdemokraten auf ihrem Parteitag in Hamburg Anfang Dezember. Alle drei sagen, dass sie gut mit der Kanzlerin zusammenarbeiten wollen. Diese wiederum will bis zum Ende der Legislaturperiode im Amt bleiben. Klar ist aber auch: Wenn die Große Koalition zerbricht oder es zwischen der Kanzlerin und dem oder der neuen CDU-Vorsitzenden zum Zerwürfnis kommt, könnte oder müsste Merkel auch diesen Posten räumen.
Das ist nicht so einfach wie ein Rücktritt als Parteichef. Zwar könne auch eine Kanzlerin oder ein Kanzler jederzeit zurücktreten, sagt der Berliner Staatsrechtler Christian Pestalozza. "Allerdings wird der Bundespräsident sie oder ihn dann bitten, die Geschäfte weiterzuführen, bis eine Nachfolgerin oder ein Nachfolger ernannt ist. Sonst hätten wir eine kanzlerlose Zeit, und die will das Grundgesetz vermeiden."
Sollte auf dem Hamburger Parteitag also ein CDU-Vorsitzender gewählt werden, mit dem Merkel nicht klarkommt, so müsste sie dennoch im Amt bleiben - und zwar so lange, bis auch in dieser Position ein Nachfolger oder eine Nachfolger gefunden ist. Ein Weg dorthin führt über Artikel 67 des Grundgesetzes: "Der Bundestag kann dem Bundeskanzler das Misstrauen nur dadurch aussprechen, dass er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger wählt und den Bundespräsidenten ersucht, den Bundeskanzler zu entlassen."
Dieses konstruktive Misstrauensvotum ist die schnellste Lösung, um eine neue Regierung zu bilden - allerdings setzt dies voraus, dass der neue Kanzler oder die neue Kanzlerin auch eine Mehrheit im Bundestag hat. Bisher ist dies erst ein einziges Mal gelungen, 1982, als die FDP die sozialliberale Koalition verließ und zusammen mit der Union Helmut Kohl zum Bundeskanzler wählte.
Mandat ist nicht nötig
Ein Parlamentsmandat braucht der Bundeskanzler übrigens nicht, um zum Regierungschef gewählt zu werden - anders als beispielsweise in Nordrhein-Westfalen oder Großbritannien, wo der Ministerpräsident beziehungsweise die Premierministerin dem Parlament angehören müssen. Dennoch ist dies auch auf Bundesebene in Deutschland die Regel: Lediglich Kurt Georg Kiesinger, Bundeskanzler von 1966 bis 1969, gehörte nicht dem Bundestag an.
Theoretisch könnten also auch Kramp-Karrenbauer oder Merz zur Kanzlerin beziehungsweise zum Kanzler gewählt werden. Im Gegensatz zu Spahn gehören sie dem Bundestag nicht an. Sollte einer der drei tatsächlich im Bundestag antreten, aber keine Mehrheit bekommen, dann bliebe Merkel im Amt. "Der Bundeskanzler kann nur durch die Wahl eines neuen Kanzlers abgewählt werden. Wenn das nicht gelingt, ist der alte Bundeskanzler oder die Kanzlerin weiter im Amt", erklärt Pestalozza.
Die Neuwahl eines Kanzlers mitten in der Legislaturperiode sei aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht problematisch. Allerdings fügt Pestalozza hinzu, dies sei im Grundgesetz "nicht optimal geregelt". Er hielte es für besser, "eine Neuwahl durchzuführen, wenn grundlegende Änderungen eintreffen". Sollte lediglich die Person des Kanzlers ausgetauscht werden, liegt aus seiner Sicht eine solche Änderung nicht zwangsläufig vor. Anders wäre es, wenn die Koalition sich verändert, wenn beispielsweise die Regierung aus Union und SPD von einem Jamaika-Bündnis abgelöst werden sollte. "Das Grundgesetz hat die Möglichkeit einer vorzeitigen Neuwahl jedoch stark erschwert", so Pestalozza. "Es wollte grundsätzlich, dass der Bundestag die gesamte Legislaturperiode durchhält."
Der Bundestag hat es daher nicht in der Hand, von sich aus Neuwahlen herbeizuführen. Die Initiative muss vom Kanzler oder der Kanzlerin ausgehen. Artikel 68 ist der zweite Weg, mit dem Merkel ihre Kanzlerschaft vorzeitig beenden könnte: "Findet ein Antrag des Bundeskanzlers, ihm das Vertrauen auszusprechen, nicht die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, so kann der Bundespräsident auf Vorschlag des Bundeskanzlers binnen einundzwanzig Tagen den Bundestag auflösen."
Drei Mal haben Bundeskanzler dieses Instrument bisher genutzt: 1972 Willy Brandt, 1982 der gerade erst gewählte Kanzler Kohl und 2005 Gerhard Schröder. Alle drei Fälle waren inszeniert - eigentlich hatten Brandt, Kohl und Schröder Mehrheiten hinter sich. "Insofern waren es keine echten Vertrauensfragen", sagt Pestalozza. Sie alle wollten gar nicht, dass der Bundestag ihnen vertraut. Sie wollten Neuwahlen.
Brandt und Kohl waren mit ihrem Vorgehen politisch erfolgreich, ihre Koalitionen wurden in den Neuwahlen jeweils bestätigt. Schröder dagegen wurde 2005 abgewählt, Merkel zog ins Kanzleramt ein. Trotzdem empfahl er ihr kürzlich, im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen, um "Gefolgschaft zu erzwingen", wie er sagte. Pestalozza hält diesen Rat nicht für gut.
"Gefolgschaft kann man nicht erzwingen", sagt er. "Die Idee der Vertrauensfrage ist, klare Verhältnisse zu schaffen. In der momentanen Situation sehe ich aber keine Konstellation, in der es sinnvoll für die Kanzlerin wäre, die Vertrauensfrage zu stellen. Es gibt eine Unzufriedenheit mit der Großen Koalition, ja. Aber ob die Kanzlerin noch die Mehrheit des Bundestags hinter sich hat, steht doch gar nicht zur Debatte." Jedenfalls noch nicht.
Quelle: n-tv.de
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