Eigentlich soll es am Sonntagabend bei Anne Will um den Zusammenhalt in der Gesellschaft gehen. Aber Friedrich Merz sitzt in der Runde - und da will man doch vor allem wissen, wie sich der CDU-Rückkehrer im größten Talkshow-Boxring der Republik schlägt. Merz, der Mann der klaren Worte, bekommt es mit zwei Gästen zu tun, die sich kaum stärker von ihm unterscheiden könnten: Grünen-Chefin Annalena Baerbock und Manuela Schwesig von der SPD - beide aus Ostdeutschland, beide Frauen, beide eine Generation jünger. Als eine Art Schiedsrichter sitzt auch "Tagesspiegel"-Chefredakteur Stephan Andreas Casdorff dabei. Die meiste Zeit bleibt er aber stumm. Es ist auch so spannend genug: Phasenweise nehmen die beiden Damen Merz so in die Mangel, dass diesem sichtbar unbehaglich wird. Der Sendung tut das gut, sie wird sogar um fünf Minuten verlängert.
Ein bisschen von seiner anfänglichen Souveränität hatte Merz schon vor diesem Sonntagabend eingebüßt - mit seiner Selbsteinschätzung gegenüber der "Bild-Zeitung", als Millionär der oberen Mittelschicht anzugehören. Damit bot er seinen Gegnern derartig viel Angriffsfläche, dass er sich am Wochenende genötigt sah, via "Bild am Sonntag" noch einmal nachzulegen. Nun hieß es, die gesellschaftliche Mitte sei für ihn nicht nur eine ökonomische Größe, sondern eine Frage der Einstellung. Das war zwar gut gesagt, aber Schlagfertigkeit ist nun mal nicht das, was einem hinterher einfällt. Und dann waren da noch die Ermittlungen bei Blackrock um mögliche Cum-Ex-Steuerbetrügereien und die Frage, was Merz davon wusste.
In der Sendung ist es ihm anzumerken, dass er bloß nicht als ein reicher Finanzhai wirken will, der keine Ahnung von den Problemen der Leute hat. Das Thema bietet ihm alle Chancen dafür: Der Arbeitstitel lautet "Das gespaltene Land - wer sorgt für Zusammenhalt?" Die Sendung steigt beim Besuch von Kanzlerin Angela Merkel in Chemnitz ein, von dort ist es dann ein kurzer Sprung zu den Problemen in ostdeutschen Regionen. Das ist die Welt von Schwesig, Ministerpräsidentin in Mecklenburg-Vorpommern, und Baerbock, die jahrelang Landesvorsitzende der Grünen in Brandenburg war.
Nicht aber die von Friedrich Merz, wie schnell deutlich wird. Baerbock prangert leidenschaftlich an, dass sich im Osten die Armut verstetige, dass in manchen Regionen kein Bus mehr fährt und kein Arzt mehr praktiziert. "Die Leute fühlen sich nicht nur abgehängt, die sind abgehängt", schimpft sie. Schwesig sagt, man müsse die Lebensleistung der Ostdeutschen würdigen. Jetzt merke man, dass vieles im Osten auch ganz gut war, zum Beispiel die Kinderbetreuung und die Polykliniken, die man heute Ärztehäuser nenne.
"Streichen Sie 'Integration' aus ihrem Wortschatz"
Beide gehen Merz so an, als ob das vor allem auf seine Kappe geht. Der wirkt überrascht über den Detailgrad der Diskussion, sagt nur, auch in Westdeutschland gebe es Probleme. Und dann leistet er sich einen Fehltritt: Er sagt, bei der Integration der Ostdeutschen seien auch Fehler gemacht worden. Schwesig greift das sofort auf und rät ihm, das Wort "Integration" aus seinem Wortschatz zu streichen. Genau das störe viele Ostdeutsche. Dass es heiße, sie müssten sich in die Bundesrepublik integrieren, statt dass ihre Leistungen anerkannt würden. Zumal sie es waren, wie auch Merz sagt, die damals die friedliche Revolution erzwangen.
90er-Jahre-Feeling breitet sich aus, denn solche Debatten hat man in den vergangenen 18 Jahren nicht erlebt - mit der ostdeutschen Frau an der Spitze der CDU wären diese schlicht müßig gewesen. Merz sieht im Vergleich zu Schwesig und Baerbock vor allem genau so aus, wie ihn seine Gegner haben wollen: wie ein westdeutscher, reicher Mann, der keine Ahnung vom Osten hat. Merz blinzelt auffällig viel, schiebt den Kiefer hin und her und leckt über die Lippen. Schwesig und Baerbock wirken so, als ob sie im Wahlkampf '98 endlich die Kohl-Ära beenden wollen. Dass die SPD derzeit in der dritten Großen Koalition mit der Union seit 2005 die Regierung stellt? Kann man sich gerade gar nicht vorstellen.
Der nächste Abschnitt gehört aber Merz allein, der soziale Zusammenhalt im Lande interessiert jetzt auch Moderatorin Will weniger, sie befragt nun den Kandidaten Merz zu seinen Plänen. Zum Beispiel, wie er Wähler von der AfD zurückgewinnen will. Er sagt ausdrücklich, er wolle die CDU nicht "nach rechts" führen. Meint dann aber, die Union müsse Rechtsstaatspartei sein und Leuten eine Heimat bieten, die einen "gesunden Patriotismus" pflegten. Als Beispiel nennt er Alfred Dregger, der einst solche Wähler gebunden habe - das einstige NSDAP-Mitglied hatte etwa Hitlers Angriff auf die Sowjetunion nicht als grundsätzlich falsch beschrieben. Merz sagt aber auch, er wolle Wähler von den Grünen zurückgewinnen. Wie das denn zusammengehe, fragt ihn Will da im Namen von Millionen Fernsehzuschauern. Auch angesichts knapper Zeit bleibt Merz vage - die CDU müsse ihr ökologisches Profil schärfen und sich wieder stärker als Europa-Partei zeigen. Außerdem seien die Wählerzielgruppen mittlerweile sehr ähnlich.
"Tun Sie's! Auf geht's!"
Dann kommt die Sprache auf das große Thema der vergangenen Woche, die Sache mit dem Millionärsdasein und der oberen Mittelschicht. Merz weist alle Vorwürfe zu Cum-Ex-Geschäften zurück. "Gehen Sie davon aus, dass ich nicht zu Leuten gehen würde, die so etwas machen", sagt er. Abgehoben sei er auch nicht. Er lebe in einer Kleinstadt und sei nicht nur Aufsichtsratsvorsitzender von Finanzfirmen, sondern auch eines Toilettenpapierherstellers mit 3700 Angestellten. Außerdem habe er eine Stiftung gegründet, die sich für sozial schwache Familien in seiner Heimatstadt einsetze.
Schwesig schwingt in diesem Moment schon wieder ihr rhetorisches Lasso. Erst sagt sie, es sei in Ordnung, dass er in der Wirtschaft viel Geld verdient hat, nennt das dann aber "Kasse machen" und erwähnt seine beiden Flugzeuge, die wunderbar zum Vorwurf der Abgehobenheit passen. Merz könne sich einfach nicht als obere Mittelschicht bezeichnen, wo doch die meisten nicht einmal 2000 Euro netto im Monat hätten. Der versucht, sich gegen die Wortwahl zu wehren, doch Schwesig fragt den CDU-Mann bereits, ob er für oder gegen die Abschaffung von Kita-Gebühren sei. Merz sagt etwas von "Mittelschicht entlasten" und "Sozialversicherungsbeiträge senken", doch Schwesig insistiert: "Ja oder nein?". "Wenn das solide finanziert ist, sage ich ja", antwortet er schließlich. Als es zum Schluss beim Thema Breitbandinternet in ländlichen Regionen auf eine ähnliche Frage hinausläuft, gewinnt er ein wenig der alten Souveränität zurück, als er zu Schwesig sagt: "Sie stellen den Finanzminister. Wenn Sie dafür eine Mehrheit in der Großen Koalition haben, tun Sie's. Auf geht's!"
Zu Beginn der Sendung hatte Merz gefordert, dass Deutschland wieder eine Debatten- und Streitkultur bräuchte. Am Ende war klar, dass es das mit ihm geben würde. Aber nicht nur wegen seiner eigenen Beiträge. Ganz besonders dürfte man sich bei der SPD freuen, wenn er CDU-Vorsitzender wird - an ihm kann sich die Partei so richtig abarbeiten. Langweilig war es jedenfalls nicht.
Quelle: n-tv.de
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