Klein stellt einen neuen Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) vor.
Herr Dr. Klein, nun neigt sich das Jahr 2018 dem Ende entgegen. Was ist das Fazit für Ihre Arbeit als Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland?
Im Jahr 2018 ist der Antisemitismus roher geworden. Er hat sich viel unverhohlener, viel offener geäußert als früher. Ich habe den Eindruck, dass die Zahl der Antisemiten in Deutschland nicht unbedingt gestiegen ist, aber die Art und Weise, in der er sich manifestiert, ist brutaler, roher und unverhohlener geworden. Das hat sehr viel mit dem Verschieben von roten Linien zu tun durch verschieden Entwicklungen. Einmal natürlich die Sozialen Medien, das Internet. Diese haben sehr, sehr stark dazu beigetragen. Dann auch die AfD, die Holocaust-relativierende Äußerungen führender Politiker nicht ausreichen innerparteilich geahndet hat, wodurch weitere Tabus gebrochen wurden. Nach dem Motto: das wird man schon noch mal sagen dürfen. Da sind Sätze gesprochen worden, die sich früher niemand getraut hätte.
Wobei die AfD immer beteuert, sich für den Staat Israel einzusetzen. Wie sehen Sie das Problem im Zusammenhang mit der Einwanderungspolitik der Bundesregierung? Die AfD beschreibt immer die Einwanderung aus islamischen Ländern als die Hauptursache für den Antisemitismus. Worauf führen Sie das Problem zurück?
Wenn wir uns die polizeiliche Kriminalstatistik anschauen hinsichtlich antisemitischer Straftaten, ist festzustellen, dass die Einwanderung von Muslimen oder die Flüchtlingsbewegungen zu keinem nennenswerten Anstieg geführt haben. Das ist wichtig noch einmal festzustellen. Ich wehre mich auch dagegen, dass wir jetzt eine Gruppe gegen eine andere ausspielen. Ich finde, jede Form von Antisemitismus ist nicht hinnehmbar, egal wie sie dann zahlenmäßig zu Buche schlägt. Wir dürfen keine Diskussionen darüber führen, welche Form von Antisemitismus nun die gefährlichste ist. Jede Form und jeder Fall ist einer zu viel und muss in seiner Absolutheit bekämpf werden.
Herr Klein, am Donnerstag wurde die Plattform, die vom Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (Rias) betrieben werden soll, in Berlin vorgestellt. Warum brauchen wir eine solche Meldestelle, die nun auch bundesweit agieren soll?
Wir brauchen ein ganz genaues Bild davon, wie Antisemitismus sich in Deutschland äußert, um mit diesen Informationen dann passgenaue Strategien zu entwickeln, wie es in den einzelnen Formen zur Bekämpfung kommen kann und sollte. Hinzu kommt, dass wir mit dem Bundesverband Strukturen schaffen, wo betroffene sich schnell Hilfe holen können und auch Unterstützung erfahren können durch dieses niedrigschwellige Angebot, das sie auch wahrnehmen. Es gibt eine große Dunkelziffer von Vorfällen, die überhaupt nicht zur Anzeige gebracht werden, weil sich die Betroffenen nicht trauen, weil sie vielleicht auch schlechte Erfahrungen mit der Polizei haben. Und das müssen wir angehen. Wir müssen den Antisemitismus sichtbarer machen, auch, um der deutschen Gesellschaft allgemein zu zeigen, dass er vorhanden ist und dass er uns alle bedroht.
Heißt es, es geht in erster Linie um eine statistische Erfassung? Oder soll damit auch wirklich Opfern von Antisemitismus geholfen werden?
Es soll vor allem den Betroffenen erst einmal geholfen werden. Es handelt sich in erster Linie um eine wirkliche Hilfs- und Unterstützungsorganisation. Der Effekt, dass die Fälle dann registriert und aufgezeichnet werden, hilft uns dann sehr bei der Formulierung von Strategien, die wir dann in den unterschiedlichen Regionen, aber auch bei den unterschiedlichen Zielgruppen in Deutschland an den Tag legen müssen. Das ist eine sehr wichtige Kombination.
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