Warum Irland der Brexit-Knackpunkt ist

  12 Januar 2019    Gelesen: 1123
Warum Irland der Brexit-Knackpunkt ist

Seit 20 Jahren herrscht Frieden in Irland. Die Frage ist: Wie lange noch? Großbritannien wappnet sich für Unruhen im Fall eines harten Brexits. Wenn es zu einem chaotischen EU-Austritt kommt, könnte das auch an Irland liegen.

Kaum etwas zeigt die Brisanz des Themas mehr: Für den Fall eines No-Deal-Brexits will London fast 1000 Polizisten für einen Einsatz an der Grenze von Nordirland zur Republik Irland trainieren. Wie der britische "Guardian" schreibt, sollen sie bei etwaigen Unruhen, die durch eine harte Grenze entstehen könnten, eingesetzt werden. Offenbar hat die nordirische Polizei um Verstärkung gebeten.

Für den Politologen Stefan Schieren von der Katholischen Universität Eichstätt ist das ein Indiz dafür, dass die Angst vor Unruhen als Folge des Brexits "nicht ganz illusorisch" ist. "Künftig könnten Extremisten auf beiden Seiten stärker versuchen, ihre Interessen gewaltsam durchzusetzen". Er spricht von einer "besorgniserregenden Situation".

Tatsächlich befürchten viele ein Wiederaufflammen des jahrhundertealten Konflikts auf der irischen Insel, sollte es zu einer Grenze auf der Insel kommen. Irlands Premierminister Leo Varadkar warnte im Oktober vor einer Rückkehr der Gewalt. Der einstige Vizepräsident des EU-Parlaments, Alexander Graf Lambsdorff fürchtete schon im Frühjahr 2017, dass der Brexit den Versöhnungsprozess in Nordirland behindert. "Die Grenze zwischen dem Norden und Süden, der Republik Irland, wird eine EU-Außengrenze werden. Das hat drastische Folgen für die Menschen auf der Insel", sagte er. "Wer die schrecklichen Anschläge in den 70er und 80er Jahren noch in Erinnerung hat, weiß, was das bedeuten kann."

Tatsächlich war das Leben auf der Insel gut 30 Jahre von Anschlägen und Straßenkämpfen der paramilitärischen Organisationen geprägt. Die katholischen Nationalisten kämpften für eine Wiedervereinigigung des Nordens mit der Republik Irland, die protestantischen Unionisten wiederum wollten weiterhin zu Großbritannien gehören. Seit den 1960er Jahren starben mehr als 3000 Menschen bei den sogenannten Troubles, wie der Bürgerkrieg verharmlosend genannt wurde. Mehr als 45.000 Menschen wurden verletzt.

Erst das Karfreitagsabkommen vom April 1998 sorgte für Ruhe. Es sieht unter anderem vor, dass die Republik Irland auf ihre Forderung nach einer Vereinigung mit Nordirland verzichtet. Eine Vereinigung ist nur möglich, wenn sich die Mehrheit Nordirlands hierfür ausspricht. Außerdem gibt es seit 2005 keine Grenz- und Zollkontrollen zwischen dem Norden und der Republik. Inzwischen wird die fast 500 Kilometer lange Grenze jeden Monat von Hunderttausenden Autos und Lastern überquert, 30 Prozent seines Handels wickelt Nordirland mit dem Süden ab. Kinder aus dem Norden gehen im Süden zur Schule und umgekehrt. "Die Iren nehmen die Grenze heute gar nicht mehr wahr, weil sie sich frei bewegen können", sagt Daniela Schwarzer, Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.


Doch noch immer ist der Frieden fragil. Noch immer trennen in Belfast mehr als hundert sogenannte Friedensmauern katholische von protestantischen Wohnvierteln. Noch immer fliegen dort Molotowcocktails über die hohen Zäune. Noch immer grillt so mancher, dessen Garten an der Grenze liegt, lieber in einem Stahlkäfig. Und schon jetzt, so beklagt es Schwarzer, verschärft sich der Ton in Irland.

Damit aber wenigstens dieser Waffenstillstand erhalten bleibt, fordern viele Experten: Die Grenze muss auch in Zukunft offen bleiben. Viele Iren betrachten Schranken und neue Zäune als mögliche Auslöser für ein Wiederaufflammen des Konflikts.

Nicht zuletzt deshalb beharrte die EU bei den Brexit-Gesprächen auch auf dem Backstop. Dieser ist eine Notfalllösung für den Fall, dass sich Großbritannien und die EU in den nächsten Jahren nicht auf ein dauerhaftes Freihandelsabkommen einigen können. Demnach soll Großbritannien in der Zollunion mit der EU bleiben, Nordirland außerdem im europäischen Binnenmarkt. So sollen Grenzkontrollen zwischen dem Norden und Süden Irlands beim Güterverkehr oder bei Veterinärkontrollen verhindert werden. Allerdings würden sie nur verlagert: Die Grenze würde faktisch zwischen der britischen Hauptinsel und Nordirland verlaufen, englisches Schlachtvieh müsste etwa bei der Einfuhr nach Nordirland untersucht werden. Nordirland würde zunächst in der EU bleiben.

"Der Backstop kann keine zufriedenstellende Lösung sein", sagt Schieren. Tatsächlich ist er für die nordirische Partei DUP inakzeptabel. Diese sichert den Tories von Premierministerin Theresa May die Mehrheit im Parlament. Doch auch für viele gemäßigtere Abgeordnete ist der Backstop ein Ärgernis. Sie drohen damit, deshalb Mays Deal abzulehnen, weshalb das Land womöglich ungewollt in einen No-Deal-Brexit schlittern könnte. Wegen des Backstops müsse Großbritannien womöglich gegen seinen Willen langfristig in einer Zollunion mit der EU bleiben, beklagte kürzlich der Tory-Abgeordnete Greg Hands. "Er könnte uns von Nordirland trennen, das dann noch mehr in die EU eingebunden wäre. Für ein souveränes Land kann aber nicht ein Teil des Landes von einem anderen Teil abgetrennt sein."

So mancher hofft dabei immer noch auf ein Einlenken der EU in dieser Frage. Diese hat das aber wiederholt ausgeschlossen. Außerdem müsste die Republik Irland mit ihrer Vetostimme eine Lösung auf europäischer Ebene bestätigen, betont Schieren. Dublin hat aber kein Interesse an einer neuen harten Grenze zum Norden. Schierens Fazit fällt daher ernüchternd aus: "Ich habe keine Idee, wie die Irlandfrage gelöst werden könnte."

n-tv


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