Mehr Zuwanderung aus Drittstaaten? Arbeitsmarktexperte warnt vor den Folgen

  15 Februar 2019    Gelesen: 1609
Mehr Zuwanderung aus Drittstaaten? Arbeitsmarktexperte warnt vor den Folgen

Der renommierte Arbeitsmarktexperte Karl Brenke kritisiert den Wunsch, Fachkräftezuwanderung aus Drittstaaten vermehrt zu fördern. Die Bundesregierung agiere hier, so wie es die Arbeitgeber forderten. Im Sputnik-Interview nennt Brenke dabei vier gewichtige Probleme, die ausgeblendet werden, und die Hintergründe solcher Forderungen.

Schon heute sollen über eine Million Stellen unbesetzt sein. Es sollen vor allem Ingenieure, Handwerker und Pfleger fehlen. Deswegen brauche der deutsche Arbeitsmarkt Zuwanderung aus Drittstaaten, so der aktuelle Konsens der Arbeitgeber und der Bundesregierung. Auch eine aktuelle Studie der Bertelsmann Stiftung steigt auf die Forderungen ein:

Der deutsche Arbeitsmarkt brauche mittel- und langfristig jedes Jahr mindestens 260.000 Zuwanderer. Das prognostiziert eine Untersuchung, die am Dienstag in Gütersloh vorgestellt wurde. Angesichts der alternden Gesellschaft werde das Angebot an Arbeitskräften ohne Migration bis zum Jahr 2060 um rund 16 Millionen Menschen schrumpfen, was ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung darstelle. Dadurch würde der Zuwanderung aus Drittstaaten eine wachsende Bedeutung zukommen.

Dem widerspricht der Arbeitsmarktexperte vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) Karl Brenke im Sputnik-Interview. Kommunikationspsychologisch könne man sagen, „solche Studien haben nur die Funktion, die Leute in einer gewissen Sicherheit zu wiegen, was die Möglichkeiten anbelangt, die Zukunft vorherzusagen.“ Tatsächlich werde die Zukunft, und das zeigen alle Erfahrungen, anders aussehen als das in den Studien beschrieben werde, so der Arbeitsmarktforscher.

Die Regierung agiere hier in starkem Maße, so wie es die Arbeitgeber forderten, bemängelt Brenke.  „Wenn man dafür sorgt, dass das Arbeitskräftepotenzial wächst, steigt im Land auch der Druck auf die Löhne.“ Jedoch habe das nur wenig mit dem Niedriglohsektor zu tun. Denn auch wenn im qualifizierten Bereich genügend Arbeitskräfte verfügbar seien, dämpfe das die Löhne. Dasselbe betreffe auch den Pflegebereich, wo tatsächlich Arbeitskräfte fehlten, erklärt Brenke.

„Weil man eben jahrelang die Pflegeberufe nicht attraktiv gestaltet hat, was die Arbeitszeiten und was die Bezahlung anging, versucht man jetzt die notwendigen Arbeitskräfte aus dem Ausland zu holen, um zu verhindern, dass die Löhne stärker steigen.“

Etwas, was in diese Debatte zu wenig eingebracht werde: „Wir haben 2,2 Millionen Arbeitslose und wir haben noch eine Million Personen, die in irgendwelchen arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen untergebracht sind. Ein großer Teil hat zwar keine Berufsausbildung, aber bei der Hälfte hat man schon eine Ausbildung. Von daher könnte man hier auch sagen,  hier könnte man noch einiges integrieren und mit verbesserten Maßnahmen zur beruflichen Integration vorankommen.“

Der Volkswirt bemerkt zudem, dass innerhalb der EU Arbeitnehmerfreizügigkeit gelte. „In Süd-Europa gab es eine massive Krise mit hoher Arbeitslosigkeit – insbesondere unter den Jugendlichen. Aber ein starker Zustrom an jungen Zuwanderern ist trotzdem ausgeblieben.“ So könnte es durchaus so sein, dass neben sprachlichen und kulturellen Barrieren die Löhne eine Rolle spielen würden, betont der Experte.

Somit hänge der Fachkräftemangel eher mit der fehlenden Attraktivität der Berufe zusammen, bestätigt der DIW-Experte. „Solche Berufe, wie beispielweise in der Pflege, brauchen bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen. Da dieser Bereich über die Pflegeversicherung finanziert wird, muss man fragen, ob man die Beiträge aufgestockt oder ob der Staat hier zur Seite springt. Die Gewerkschaften müssen sich darüber verständigen, was soll uns in Zukunft die Pflege oder die Gesundheit überhaupt wert sein“, unterstreicht Brenke.

Im Hinblick auf den Arbeitskräftemangel sieht der Experte die derzeitige Hochkonjunktur. „Und in der Hochkonjunktur werden nun mal hier und dort Arbeitskräfte knapp. Und zwar insbesondere in solchen Regionen, wo die Arbeitslosigkeit seit Jahren vergleichsweise gering ist – wie in Süd-Deutschland.“

Doch es gebe deutliche Anzeichen dafür, dass sich das Wirtschaftswachstum abschwächt, warnt Brenke. Das werde die Situation auf dem Arbeitsmarkt, was Fachkräfte anbelange, entspannen.

„Ziemlich problematisch“ findet Brenke,  wenn aus armen Ländern gut qualifizierte Arbeitskräfte nach Deutschland ziehen und man auf der anderen Seite solchen Ländern Entwicklungshilfe zukommen lässt. „Das ist kontraproduktiv. D.h., wir brauchen die Diskussion, welche Folgerungen hat denn die Zuwanderung aus Drittländern für diese Länder selbst“, fordert der DIW-Forscher.

Seiner Ansicht zufolge leidet generell die Debatte über die wirtschaftliche Zukunft Deutschland daran, „dass man viel zu sehr auf die Personen achtet und viel zu wenig auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“. Wenn noch in 1970er Jahren in der Bundesrepublik Produktivitätssteigerungen pro Jahr je Stunde von vier Prozent erreicht worden seien und in den 1980er und 1990er Jahren deutlich über zwei Prozent hinausgingen, so verzeichne man in den letzten zehn Jahren Produktivitätssteigerungen von lediglich 0,7 Prozent — im letzten Jahr 0,1 Prozent, betont Brenke. „Das wird aus der Debatte völlig ausgeblendet. Man achtet nur noch auf die Köpfe. Und nicht auf die Leistungsfähigkeit der Einzelnen“, kritisiert der Arbeitsmarktforscher. Hier stimme etwas grundsätzlich nicht. Auf den Punkt gebracht: „Deutschland wird immer träger“, so der Forscher.

Den Grund dafür sieht er  in einer „sektoralen Verschiebung zu Dienstleistungssektoren“. Das heißt, „dass die Leute sich in den Gaststätten mehr und mehr bewirten lassen, sich gegenseitig die Haare schneiden.“ Auch Pflege gehöre dazu. Doch der Dienstleistungssektor sei nicht besonders produktiv.  Doch auch in den Bereichen, die eigentlich Produktivitätstreiber sein sollten, wie der EDV-Industrie, verarbeitendes Gewerbe, sehen die Arbeitsmarktforscher ähnliche Entwicklungen. „Da habe ich das gefühlt, dass die internen Strukturen nicht optimal sind, dass sehr viel darauf geachtet wird, was an Konzeption, was an innerer Verwaltung nötig ist.“ Aber auf das Output und die wirtschaftliche Leistung werde hier viel zu wenig geachtet. „Zum Teil haben wir Entwicklungen, wo man sagen kann, die Systeme verwalten sich selbst“, so der Arbeitsmarktforscher Brenke vom DIW. 

sputniknews


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