Von den Altersbezügen, die heutige Senioren erhalten, werden unsere Kinder und Enkel nur träumen können. Für sie wird viel weniger Geld da sein, allein schon, weil dann weniger Arbeitende noch mehr Rentner finanzieren müssen. Aber die Jungen können sich nicht dagegen wehren, dass die Regierung ihr Erbe verprasst. Die große Koalition hat es vorgezogen, die reichlichen Steuereinnahmen der vergangenen Jahre nicht etwa in einen Rentenfonds nach skandinavischem Vorbild zu investieren. Stattdessen schüttet sie sie sofort aus: Wahlgeschenke (Mütterrente, Baukindergeld), die eigene Klientel bedienen (Grundrente, Gute-Kita-Gesetz), eigene Fehler mit Geld übertünchen (Milliarden für Städte, denen Fahrverbote drohen).
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Alle diese Programme sind für die Empfänger natürlich eine tolle Sache, und sie tilgen auch manche Ungerechtigkeit vergangener Jahre. Aber zugleich gefährden sie die langfristige Stabilität unserer Sozialsysteme, vielleicht gar des sozialen Friedens. Wer die Spendierhosen anhat, erfreut sich allseits großer Beliebtheit, aber wenn seine Taschen irgendwann leer sind, wenden sich die Leute ab. Für kurzfristige Erfolge reicht ein dicker Geldbeutel, für langfristige braucht es Köpfchen. Und die Bereitschaft, den Gürtel jetzt enger zu schnallen, damit die nach uns Kommenden sich überhaupt noch einen Gürtel leisten können. Diese Einsicht sucht man in der großen Geldausgeberkoalition vergebens.
Die Ignoranz gegenüber den Interessen der jungen und der künftigen Generationen geht über die Sozialpolitik hinaus. Die politischen Reaktionen auf die bundesweiten Klimaschutzproteste von Schülern schwanken zwischen Unverständnis, Unmut und freundlicher Ignoranz. Auch scheinbar nebensächliche Themen, die vielen Jungen am Herzen liegen, werden von der Bundesregierung stiefmütterlich behandelt. So wie das europäische Leistungsschutzrecht, das fürchterlich langweilig klingt, aber enorme Brisanz entfaltet. “Nach dem Ja zur EU-Urheberrechtsreform schlägt der Bundesregierung die Wut einer ganzen Generation entgegen“, schreibt meine Kollegin Laura Stresing. “Die Jugend wehrt sich gegen eine Politik, die etwas regulieren will, für das sie sonst wenig Verständnis zeigt.“ Und: “Die Jungen sehen ihre schlimmste Befürchtung bestätigt: Dass Netzpolitik von Menschen betrieben wird, die das Internet kaum nutzen und noch weniger verstehen.“
Soziales, Klimaschutz, Digitales: Auf den entscheidenden Politikfeldern der Zukunft regiert die große Koalition an den jungen Leuten vorbei. Das hat Folgen: CDU, CSU und SPD verlieren unter Schülern und Studenten immer mehr an Rückhalt, wie eine aktuelle Umfrage zeigt. Die große Profiteurin dieser Entwicklung sind die Grünen. Der Forsa-Umfrage zufolge würden sich derzeit 43 Prozent der Schüler und Studenten bei einer Wahl für sie entscheiden, dagegen nur jeweils 11 Prozent für Union und SPD. Auch in der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen sind die Grünen klar die stärkste Kraft.
Nun kann man sagen: So ist das halt. Wer jung ist, tendiert eben nach links, engagiert sich für die Umwelt und derlei Gedöns – aber irgendwann werden auch die Jungen alt sein, und dann wählen sie ebenfalls CDU, CSU, SPD (oder das, was von denen dann noch übrig ist). Doch so einfach ist es nicht, fürchte ich. Was wir erleben, ist vielmehr eine tiefe Entfremdung: Auf der einen Seite stehen Politiker, die überwiegend von Menschen aufwärts der 50 gewählt werden und deshalb in erster Linie Politik für genau dieses Klientel machen. Auf der anderen Seite stehen Jüngere, die mit der Politik der Kurzsichtigkeit, des Geldausgebens und des Aussitzens immer weniger anfangen können. Die Dramatik kommt durch den beschleunigten Wandel unserer Lebenswelt ins Spiel: Erstens durch die rapide verschärfte Klimakrise – Dürren, Überschwemmungen, Artensterben –, zweitens durch die Revolution der Arbeit, der Mobilität, der Kommunikation, der Medizin, der Unterhaltung, ach, von einfach von allem durch die Digitalisierung. Beide Trends beschleunigen sich nicht linear, sondern exponentiell.
Und die Jungen sehen das viel klarer als die Älteren, zumindest viele von ihnen:Diesen Eindruck kann bekommen, wer sich mit Menschen unter 30 unterhält. Ist es also an der Zeit, dass ihre Interessen von der Regierung endlich stärker berücksichtigt werden? Ist es wohl. Aber dann müsste man sie und ihre Anliegen erst mal ernster nehmen.
Wir schätzen klare Worte, eindeutige Worte. Vielleicht fehlen uns deshalb manchmal die Begriffe, um das zu beschreiben, was zugleich heiß und kalt, großartig und jämmerlich, gelungen und gescheitert ist. Deshalb haben wir für das, was sich in diesen Tagen im letzten Winkel Syriens abspielt, nur unzureichende Worte. Ein "Sieg" wird dort errungen gegen das letzte Häuflein des sogenannten "Islamischen Staates", sagen die einen – allen voran der Bannerträger der Vereinfachung, Donald Trump. Das ist noch längst kein Sieg, sagen Militärs und Politikexperten,und auch ich habe mich vor einigen Tagen hier schon eingereiht. Trotzdem möchte ich noch einmal nachhaken. Denn was sich am Rande der ostsyrischen Wüste abspielt, ist ein Sieg und zugleich keiner: ein Fanal der Zweischneidigkeit.
Den Mördern mit den Bärten muss man eines lassen: Sie haben ihren Namen gut gewählt. Es ist so einfach, der kühnen Behauptung vom "Staat" auf den Leim zu gehen. Schließlich haben sie etwas in der Art ja sogar in die Welt gesetzt, mit einem Gebiet unter ihrer Herrschaft, einer Regierung, Steuern, Verwaltung und einer Art von Justiz: krude, brutal, von niemandem anerkannt, aber die Form war erkennbar. Der Rest dieses Staates geht gerade unter. Die letzten Kämpfer geben auf oder sterben im Gefecht, einige fliehen in den Irak, angeblich mit Millionen Dollar im Gepäck, vielleicht auch nicht, die Quellenlage ist unklar. In jedem Fall wird das Gebiet wohl in wenigen Tagen zurückerobert sein.
Wer an die Bedeutung des Territoriums glaubt, erkennt schon hierin einen Sieg.Seine unverhältnismäßige Wirkung hat dieses Staatsgebilde jedoch als geistige Heimat für all jene entfaltet, die nicht wussten, wohin mit ihrem Hass. Gescheiterte und Kriminelle haben im Namen des IS in Europa gemordet, ob sie nun jemals ihr gelobtes Land betreten haben oder nicht. Die Staatsbürgerschaft des "Islamischen Staates" konnte man per Youtube-Bekennervideo erwerben. Im Gegenzug erhielt man die Erlaubnis, jedem düsteren, sadistischen Impuls im Gefühl zu folgen, man sei im Namen des Herrn unterwegs.
Angehende Terroristen sind dem anderen Bestandteil des Namens, dem "Islamischen" des Staates, genauso verfallen wie mancher Durchschnittsbürger bei uns. Der "IS" hat den Koran für seine menschenfeindliche Ideologie geplündert wie ein Mob den brennenden Supermarkt. Tatsächlich braucht man sich nicht nur am rechten Rand der Gesellschaft umzuhören, um in Deutschland Menschen zu begegnen, die im "IS" die Wesenszüge des Islam schlechterdings wiedererkennen wollen. Das ist vor allem deshalb so erstaunlich, weil wir mit der Pervertierung eines Wertesystems selbst in den eigenen Familien Erfahrung haben sollten. Wir brauchen in der Reihe unserer Ahnen nicht sehr weit zurückgehen, um die Generation zu finden, die aus Nationalstolz und Patriotismus ein Monster aus Gräueln, Sadismus und eine Industrie des Mordens geschaffen hat.
Als 1945 den Schlächtern ihr Reich genommen und seine tausendjährige Lebenszeit auf ernüchternde zwölf Jahre zusammengestutzt worden war, hat das nicht jeden Nazi bekehrt, aber der mörderischen Ideologie auf lange Zeit ihre Strahlkraft genommen. Im Jahr 2019 wird der Untergang des Möchtegern-Kalifats die indoktrinierten Kämpfer nicht auf den Pfad des Humanismus führen, sondern das Risiko von Terroranschlägen durch die Rückkehrer in Europa eher erhöhen. Aber das flammende Bekenntnis zu einem Staat, dessen Staub gerade in die Weiten der Wüste weht, dürfte den Verbitterten und Verlorenen nicht mehr so leicht über die Lippen kommen. Das ist ein Sieg.
Während allerdings in der Nachkriegszeit das Wirtschaftswunder für Aufschwung sorgte und man sich in West und Ost, wenn auch auf grundverschiedene Weise, dem Aufbruch in eine hoffnungsfrohe Zukunft widmete, bleibt vom "IS" tatsächlich nichts als der Staub zurück. Den abgehängten Immigrantenkindern in den französischen Vorstädten fehlt weiterhin jede Perspektive. Auch für die abgehängten Sunniten im Irak, die sich der Herrschaft der Schiiten widersetzten und ihr Heil beim IS suchten, sieht die Zukunft trist aus. Das terroristische Territorium ist verschwunden, gewiss, aber viele Probleme bleiben ungelöst. Wenn das so bleibt, brauchen wir auf die nächste Welle der Gewalt nicht lange zu warten. Von den zwei Schneiden des Schwerts ist heute nur eine siegreich geschmückt.
t-online
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