„Delegation wurde sofort nervös“: Wie Russland und UdSSR der Nato beitreten wollten

  02 April 2019    Gelesen: 631
„Delegation wurde sofort nervös“: Wie Russland und UdSSR der Nato beitreten wollten

Am 4. April feiert die Nato ihren 70. Geburtstag. Auch die Sowjetunion und Russland haben seinerzeit den Wunsch gehabt, dem Nordatlantikvertrag beizutreten, aber kaum Chancen dafür gehabt. Sputnik erzählt, was Wladimir Putin einmal mit Bill Clinton besprochen hat und warum dessen Delegation darauf sofort nervös wurde.

Wladimir Putin soll Anfang 2000 für engste Beziehungen zur Europäischen Union offen und sogar bereit gewesen sein, über eine Mitgliedschaft in der Nato zu reden, entlarvte kürzlich Horst Teltschik, seinerzeit Kohl-Berater und einst Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, im Spiegel-Interview. „Natürlich nicht in der militärischen Organisation, aber zumindest als Mitglied in der politischen Organisation der Nato“, äußerte er. Übrigens: „Sein Verteidigungsminister sagte mir, er erwarte nicht, dass die Bundeswehr in einem Krisenfall Russland an der chinesischen Grenze verteidigen würde. Da konnte ich ihm nur recht geben“.

Die Nato-Russland-Beziehungen haben sich seit 2000 kaum verbessert, und die Osterweiterung hat Europa kaum friedlicher und stabiler gemacht, wie manche Transatlantiker glauben. Als wäre Russland nicht auch Teil Europas. Aber Russland in der Nato?

„Schauen Sie sich die Option an, dass Russland der Nato beitreten wird“

Am 7. März 2000 gab Wladimir Putin eine merkwürdige Erklärung ab. In einem BBC-Interview nannte Russlands Präsident offen seine Prioritäten: „Ich kann mir mein Land nicht von Europa isoliert vorstellen.“

Doch das Highlight des Interviews kam danach. Auf die Frage, ob ein Beitritt Russlands zur Nato möglich wäre, antwortete Putin: „Warum nicht? Ich schließe eine solche Gelegenheit nicht aus — wenn Russlands Interessen berücksichtigt werden, wenn es da ein vollwertiger Partner ist.“

Diese Haltung löste damals einen Bombeneffekt aus. Für eine tiefere Zusammenarbeit mit dem Bündnis soll sich Putin jedoch noch früher  entschieden haben, als er den US-Generalsekretär George Robertson empfangen hatte. Die beiden haben sich auf den völligen Wiederaufbau der Russland-Nato-Beziehungen geeinigt und sollen sich daher als strategische Partner gesehen haben.

Auch im Interview mit dem US-Filmemacher Oliver Stone sagte Wladimir Putin im Juni 2017, er habe Bill Clinton als US-Präsident angeboten, die Möglichkeit eines Beitritts Russlands zur Nato zu erwägen.

„Ich erinnere mich an eines unserer letzten Treffen mit Präsident Clinton, als er nach Moskau kam. Ich sagte in der Diskussion: Vielleicht schauen Sie sich die Option an, dass Russland der Nato beitreten wird. Clinton antwortete: ‘Ich habe nichts dagegen’. Aber die gesamte Delegation wurde sofort sehr nervös“, so Putin im Interview.

Der damalige Außenminister Russlands, Igor Iwanow, hatte später Journalisten offenbart, solch eine Frage habe wirklich besprochen werden können. Laut Iwanow wurden  „inoffizielle, uneingeschränkte hypothetische Für und Wider ausgesprochen“. Es sei um eine mögliche „Reinkarnation“ der Nato gegangen, wobei Russland dem Bündnis hätte beitreten können, wenn die Nato nicht länger ein „in den Osten gerichteter militärischer Aggressionsblock“ gewesen wäre.

Eintrittskarte für Europa

Anstatt der „Erwägung von Optionen“ reagierte der Westen auf den Vorschlag Putins mit der weiteren Vorbereitung der Ostexpansion. Darauf verwies Putin ein Jahr später bei der Pressekonferenz mit George Bush in Ljubljana. Er sagte:

„Wir behandeln die Nato nicht als eine feindliche Organisation. Natürlich nicht… Es ist viel wert, wenn der Präsident einer Großmacht sagt, dass er Russland als Partner und vielleicht als Verbündeten sehen möchte. Aber wenn das so ist, dann fragen wir uns: Ist das eine militärische Organisation oder nicht? Sicher eine militärische. Will diese uns da sehen? Sie will es nicht. Bewegt sie sich nicht an unsere Grenzen? Doch. Warum?“

Zum Höhepunkt der Annäherung Russlands an die Nato wurde nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001 die Beteiligung Russlands an der Koalition gegen Terrorismus und die Unterzeichnung der Erklärung von Rom „Russland-Nato-Beziehungen: eine neue Qualität“. Dementsprechend wurde 2002 der Russland-Nato-Rat gegründet, der gemeinsame Konsensentscheidungen beinhalten sollte. 2004 erreichte das Nato-Lobbying jedoch Bulgarien, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei, Slowenien, Estland und 2009 Albanien und Kroatien.

Heutzutage sei die Nato zu einem außenpolitischen Instrument der USA geworden, das keine Verbündeten, sondern nur Vasallen habe, sagte Putin ebenso im Interview mit Stone. Ihm zufolge reagiert Moskau auf deren Ausweitung so kritisch, weil es über die Entscheidungsfindung in der Allianz besorgt ist. „Ich weiß, wie diese (Entscheidungen — Anm. d. Red.) getroffen werden“, so Putin.

Der Beitritt Russlands zur Nato hätte laut dem Politologen Fjodor Lukjanow bedeutet, dass ein neues Zentrum der Einflussnahme entstanden wäre, das vergleichbar mit den Vereinigten Staaten gewesen sei. „Russland hätte sich kaum dazu entschieden, der gültigen Blockordnung unter allgemeinen Umständen zu gehorchen“, sagte Lukjanow, Leiter des russischen Rates für Außen- und Verteidigungspolitik, gegenüber RIA Novosti. Aber die Mitglieder der Allianz seien nicht zu „kardinalen Änderungen“ bereit gewesen, die für den Beitritt Russlands erforderlich gewesen wären.

Bei einem öffentlichen Auftritt kommentierte der Politologe kürzlich, eine Eintrittskarte für Europa wäre für Russland die Anerkennung der US-Leaderschaft. Solange dies nicht passiere, müsse Russland einen hohen Preis zahlen.

Diese Voraussetzungen konnte die Sowjetunion nicht treffen

Am 31. März 1954 hatte die Sowjetunion eine entschiedene offizielle Note an die Regierungen der USA, Großbritanniens und Frankreichs gerichtet. Gebeten wurde um die Mitgliedschaft in der damals fünfjährigen Allianz.  Die Note erwähnte unter anderem, dass die Bildung von Militärblöcken zuvor den beiden Weltkriegen vorausging. Einer der überzeugten Befürworter des Beitrittsprojektes war der Erste Stellvertreter und später selbst Außenminister Andrei Gromyko, der einen Entwurf des Europäischen Vertrages über die kollektive Sicherheit entwickelt hatte und diesen parallel zum Nato-Beitritt hat diskutieren wollen.

Am 19. März 1954 schickte Gromyko eine Projektmitteilung an das Präsidium des Zentralkomitees der KPdSU, und zwar an den Außenminister Wjatscheslaw Molotow, in der es hieß: „Das Außenministerium hält es für angebracht, dem Nordatlantikvertrag beizutreten. Eine solche Erklärung würde die Führung des Nordatlantik-Blocks, die dessen vermeintlich defensiven Charakter sowie behaupten, dass sie sich nicht gegen die UdSSR und die Länder der Volksdemokratie richten, in eine schwierige Lage bringen.“

Der Nordatlantik-Block lehnte die sowjetische Initiative mit der Begründung ab, dass die wahren Absichten der Sowjetunion zum einen darauf abzielten, die Vereinigten Staaten aus Europa zu verdrängen und zum anderen die Nato von innen zu untergraben. Man forderte die UdSSR auf, Deutschland und Österreich zu verlassen, ihre Militärstützpunkte im Fernen Osten aufzugeben und ein Abrüstungsabkommen zu unterzeichnen. Die Sowjetunion dürfte solche Voraussetzungen für nicht realisierbar gehalten haben.

Die Führung der Sowjetunion reagierte auf die Nichtaufnahme in die Nato verdrossen. Die offizielle Erklärung beinhaltete Bedauern über die Position Washingtons, Londons und Paris, die in Worten zwar „ihre Bereitschaft zur Entspannung in den internationalen Beziehungen“, tatsächlich aber „das Umgekehrte zeigen“.

1955 trat Deutschland der Nato bei. Im selben Jahr wurde durch das Warschauer Abkommen das militärische Bündnis der sozialistischen Länder Europas gegründet, darunter die UdSSR, Albanien, Bulgarien, Ungarn, die DDR, Polen, Rumänien und die Tschechoslowakei.

sputniknews


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