Das deutsche Kartellrecht ist eine mühsam erkämpfe Errungenschaft: Der damalige Wirtschaftsminister und spätere Kanzler Ludwig Erhard (CDU) brauchte viele Jahre, um die Widerstände in Politik und Industrie zu überwinden und in den Fünfzigerjahren die Grundlagen für das deutsche Kartellrecht zu legen. Die Idee dahinter: Aufsichtsbehörden wie das Kartellamt sollen verhindern, dass durch Zusammenschlüsse Unternehmen so große Marktmacht entwickeln und Preise in die Höhe treiben könne, zum Schaden von Kunden und Verbrauchern.
Das Prinzip hat zu Erhards Zeiten vielen nicht geschmeckt, und auch heute gibt es immer wieder Widerstand. Der prominenteste Fall der jüngeren Vergangenheit: 2016 erteilte der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) eine Sondererlaubnis für die Übernahme von Kaisers Tengelmann, gegen das ausdrückliche Votum des Kartellamts und seiner Monopolkommission.
Nun bahnt sich ein neuer Konflikt um eine Kartellamtsentscheidung an, wenn auch in kleinerem Ausmaß: Die Mittelständler Zollern und Miba wollen unbedingt ihre geplante Fusion durchziehen - und probieren es mit öffentlichem Druck auf die Bundesregierung. Die Firmen warnen vor Konsequenzen für Standorte in Deutschland, falls Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) eine geplante Gemeinschaftsfirma nicht doch per Ministererlaubnis durchwinke. "Wenn die Ministererlaubnis verweigert wird, müssen wir schauen, wie das Geschäft noch wirtschaftlich zu betreiben ist", sagte Zollern-Geschäftsführer Klaus Erkes. Mit anderen Worten: Die Firma droht kaum verhohlen mit Entlassungen.
Erkes wirbt seit geraumer Zeit eindringlich dafür, dass Altmaier das Joint Venture doch erlaubt. Das geplante Gemeinschaftsunternehmen mit einem Gesamtumsatz von 300 Millionen Euro würde die Möglichkeit geben, Forschungsstandorte in Deutschland auszubauen, etwa im Harz.
Der Metallverarbeiter Zollern aus Sigmaringen in Baden-Württemberg und die österreichische Miba hatten bei Altmaier einen Antrag auf eine Ministererlaubnis für ein Gemeinschaftsunternehmen bei Gleitlagern gestellt. Das Bundeskartellamt hatte im Januar den geplanten Zusammenschluss in diesem Geschäftsbereich verboten, weil es bei der kartellrechtlichen Bewertung nicht um die absolute Unternehmensgröße oder die Höhe des Umsatzes geht, sondern um die Bedeutung für ein bestimmtes Marktsegment.
Miba und Zollern seien insbesondere bei Gleitlagern für Großmotoren, wie sie etwa in Schiffen, Lokomotiven oder Stromaggregaten zur Anwendung kommen, sehr stark aufgestellt, hatte die Behörde mitgeteilt. Durch den Zusammenschluss würde für die Abnehmer eine wichtige Auswahlalternative fehlen. Mit anderen Worten: In der Tendenz könnte das fusionierte Unternehmen Marktmacht entwickeln und Preise hochtreiben, weil die Konkurrenz fehlt.
Firmen-Chef Erkes behauptet nun: "Unsere Kunden sind nicht gegen die Zusammenlegung, sie begrüßen sie sogar. Das Joint Venture wäre nicht zum Schaden von Verbrauchern." Das Kartellrecht dürfe nicht auf eine deutsche oder europäische Perspektive beschränkt sein. "Wir brauchen einen Weltmaßstab."
Der Fall passe doch idealtypisch zur von Altmaier jüngst groß ausgerufenen Industriestrategie, findet Erkes. Es gehe darum, "ein europäisches Unternehmen zu schaffen, um mit der Konkurrenz aus Japan mithalten zu können, die aggressiv im Markt unterwegs ist. Im Markt für große Gleitlager gibt es Überkapazitäten. Gemeinsam wären wir stärker."
Altmaier hatte im Februar eine nationale Industriestrategie vorgelegt. Er will notfalls mit staatlicher Hilfe Arbeitsplätze in Deutschland sichern. Angesichts der zunehmenden Konkurrenz auf Weltmärkten gerade aus China hatte Altmaier gesagt, im Wettbewerb zwischen Asien, den USA und Europa sei das Schaffen von neuen "nationalen wie europäischen Champions" notwendig.
Der Antrag der beiden Mittelständler ist erst der 23. Antrag auf eine Ministererlaubnis, seitdem diese 1973 im Gesetz verankert wurde. Das Instrument der Ministererlaubnis soll es im Einzelfall ermöglichen, aus besonderen Allgemeinwohlgründen einen Zusammenschluss "ausnahmsweise" zu gestatten, der aus wettbewerblichen Gründen verboten worden sei.
Das Wirtschaftsministerium hat bis Mitte Juni Zeit zur Prüfung. Die Monopolkommission erarbeitet derzeit ein Sondergutachten für den Fall.
spiegel
Tags: