Brexit-Verlängerlängerlängerung

  11 April 2019    Gelesen: 608
  Brexit-Verlängerlängerlängerung

Die EU hat den Brexit erneut verschoben - diesmal bis maximal zum 31. Oktober. Ob die Zeit genügt, damit die Briten sich endlich untereinander einigen, ist allerdings keineswegs sicher.

Der Brexit-Gipfel hatte noch gar nicht richtig begonnen, da hatte Theresa May den ersten Erfolg schon in der Tasche.

Angela Merkel kommt um den großen Sitzungstisch herum auf die britische Premierministerin zu, ein Tablet in der Hand. Kurz darauf brechen beide in Gelächter aus. Diplomaten werde später verraten, dass Merkel ihrer britischen Kollegin eine Fotomontage zeigte, auf der die beiden nebeneinander in denselben Europa-blauen Jacken zu sehen waren, die sie Stunden zuvor in ihren Parlamenten trugen - und beim Gipfel immer noch anhaben.

May und Merkel kichern, auch EU-Ratspräsident Donald Tusk amüsiert sich prächtig. Was für ein Unterschied zu den Bildern früherer Treffen, auf denen May oft einsam am Rand stand oder gebeugten Gangs das Ratsgebäude verließ.

Doch die Gipfel-Routine ist immer die gleiche: May sprach zu Anfang vor den anderen 27 Staats- und Regierungschefs, eine gute Stunde diesmal. Anschließend musste sie den Raum verlassen, ihre Kollegen diskutierten ohne die britische Regierungschefin über die Zukunft Großbritanniens in der EU.

Das Ergebnis: Der Brexit wird bis maximal zum 31. Oktober verschoben. Die Briten dürfen allerdings auch schon früher austreten, sollten sie sich schon vorher einigen und das Austrittsabkommen mit der EU absegnen. Beim EU-Gipfel Mitte Juni soll es eine Überprüfung geben.

Die neue EU-Kommission ist ab November im Amt, die Briten müssten also keinen neuen Kommissar mehr nach Brüssel schicken.
Auch die Verhandlungen über den nächsten Sieben-Jahres-Etat der EU nehmen dann erst richtig Fahrt auf.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wollte den Brexit nur bis zum 30. Juni verschieben, Österreichs Kanzler Sebastian Kurz soll sogar für den 22. Mai plädiert haben. Viele andere Staats- und Regierungschefs favorisierten dagegen einen Aufschub bis Jahresende oder darüber hinaus.

Am Ende kam ein klassischer Brüsseler Kompromiss heraus. Die EU hatte ihre Einheit in Sachen Brexit gewahrt - wenn auch nur knapp.

Denn zuvor war es unter den 27 Staats- und Regierungschefs hart zur Sache gegangen. Zu warmem Jakobsmuschel-Salat, Kabeljau-Lende und gefrorenem Macadamia-Parfait kamen vor allem zwei Themen auf den Tisch: Neben der Länge des Brexit-Aufschubs ging es auch um die Bedingungen, denen man den Briten als Preis für die Verlängerung auferlegen würde.

Vor allem Macron fuhr eine harte Linie. Kurz vor 23 Uhr ergriff er als einer der letzten das Wort, wie um seiner Botschaft besondere Bedeutung zu verleihen: Eine Verlängerung bis Ende Juni reiche, so Macron. Bereits zuvor hatten Diplomaten des Elysee betont, dass ein harter Brexit womöglich weniger schlimm sei, als die Funktionsfähigkeit der EU zu riskieren. Einige EU-Länder, darunter Österreich, plädierten ebenfalls für einen kurzen Aufschub.

Viele EU-Länder reagierten bereits am Nachmittag immer genervter auf die Einfälle des Franzosen: Mal wollte er von May klarere Signale hören, was sie in den nächsten Monaten eigentlich erreichen wolle, mal drängte Macron auf eine regelmäßige Überprüfung, ob sich die Briten auch wie gute Europäer verhalten.

Die große Mehrheit der EU-Länder war zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon weiter. Sie waren bereit, den Briten einen längeren Brexit-Aufschub anzubieten und ihnen somit Zeit zu geben, das politische Chaos in ihrem Land zu klären. Ihre Debatte bezog sich weniger auf das Datum - sondern eher auf die Frage, wie man verhindern könne, dass die Briten in dieser Verlängerungsphase die Geschäfte der EU nachhaltig stören. Entsprechend wurde die Abschlusserklärung noch einmal verschärft. Nun ist ausdrücklich festgehalten, dass sich die 27 verbleibenden EU-Länder jederzeit ohne die Briten treffen können, auch wenn diese weiterhin Mitglied sind.

May harrte derweil in der Residenz des britischen Botschafters aus. TV-Bilder, die sie beim Verlassen des Ratsgebäudes noch während des Gipfels zeigen, wollte man im britischen Lager unbedingt verhindern. So machte sich die Premierministerin heimlich davon, ohne dass die Presse vorab davon erfuhr. Vorher prüften ihre Mitarbeiter sogar, ob am Ausgang noch Kamerateams postiert waren.

Eine halbe Stunde nach Mitternacht wurde May wieder dazu gebeten, um der Abschlusserklärung zuzustimmen, die ihre Kollegen ausgeköchelt hatten. Nach einigen kleinen Detail-Änderungen stimmte sie zu. Eine weitere Zustimmung ihres Parlaments muss May nicht mehr einholen.

Merkel zeigte sich nach dem Gipfel zufrieden mit dem Ergebnis. "Für mich war klar: Wir kämpfen und setzen uns ein für einen geordneten Austritt, nicht wegen britischer Forderungen, sondern wegen des eigenen Interesses", sagte eine extrem müde wirkende Kanzlerin. Der "entscheidende Punkt" sei nun aber, wann das britische Parlament dem Austrittsabkommen zustimmen werde.

Ob dies bis zum 31. Oktober gelingt, oder ob kurz davor wieder ein Brexit-Notgipfel notwendig sein wird, ist keineswegs ausgemacht. Auch Merkel scheint noch nicht so recht davon überzeugt, dass das neue Datum die wirklich allerletzte Frist für die Briten ist. "Am 31. Oktober", sagte die Kanzlerin, "werden wir wieder neu über diese Situation beraten."

spiegel


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