Weniger ist mehr: Warum sich Russland im Wettrüsten als Sieger fühlen kann

  30 April 2019    Gelesen: 421
Weniger ist mehr: Warum sich Russland im Wettrüsten als Sieger fühlen kann

Das Stockholmer Internationale Institut für Friedensforschungen (SIPRI) hat jüngst seinen neuen Jahresbericht über die globalen Rüstungsausgaben veröffentlicht. Diese sind um 2,6 Prozent auf 1,8 Billionen Dollar gestiegen, womit ein neuer Rekord aufgestellt wurde.

Am Wettrüsten sind praktisch alle Länder beteiligt, die politische bzw. geopolitische Ambitionen haben. Die Rüstungsausgaben der USA sind um 4,6 Prozent gestiegen, China stockte seine Ausgaben um fünf Prozent, Saudi-Arabien um 6,5 Prozent und die Türkei sogar um 24 Prozent auf. Ganz vorne liegen nach dem Wachstum der Militärausgaben Armenien (33 Prozent), Lettland (24 Prozent), die Ukraine (21 Prozent), Litauen (18 Prozent), Tschechien (18 Prozent) und Kasachstan (16 Prozent).

Vor diesem Hintergrund sieht Russland auf den ersten Blick eher bescheiden aus, das seine Militärausgaben seit vielen Jahren reduziert. 2018 findet es sich sogar außerhalb der Top 5 wieder, zu denen es seit 2006 gehört hatte. 

Moskaus Ausgaben für Verteidigungszwecke sind im vergangenen Jahr um 3,5 Prozent auf 61,4 Milliarden Dollar zurückgegangen. Zum Vergleich: bei den USA beträgt diese Zahl 649 Milliarden Dollar und bei China 250 Milliarden Dollar.

Formell ist die Erklärung parat: Russland hat die noch in den späten 2000er-Jahren gestellte Aufgabe zur Reformierung und Modernisierung seiner Streitkräfte erfolgreich erfüllt.

Dem Kreml wurde oft vorgeworfen, angesichts der zahlreichen wirtschaftlichen und sozialen Probleme viel zu viel für seine Armee (3,9 Prozent vom BIP 2018) auszugeben. Angesichts dessen kündigten die Offiziellen an, die Rüstungsausgaben würden allmählich auf 2,7 bzw. 2,8 Prozent vom BIP zurückgehen. Allerdings sei die nationale Sicherheit die allerhöchste Priorität, und deshalb müssten die auf diesem Gebiet gestellten Ziele erreicht werden.

Da aber jetzt diese Aufgabe erfüllt worden ist, kann Russland es sich leisten, die Militärausgaben zu kürzen. Das passiert schon seit vier Jahren.

Aber neben dieser einfachen Erklärung gibt es auch eine andere, die weniger offensichtlich, aber in Wahrheit noch wichtiger ist.

Die SIPRI-Angaben zeugen davon, dass Russlands Rüstungsausgaben viel effizienter sind als die von seinen Partnern und Konkurrenten in der internationalen Arena.

Die Zeiten, als die astronomischen Verteidigungsausgaben der Amerikaner atemberaubend, in einem gewissen Sinne aber auch faszinierend waren., sind vorbei. Inzwischen aber wird viel über die Fehlschläge des Pentagons geredet, beispielsweise über zahlreiche Probleme bei der Entwicklung des neusten Kampfjets F-35 und des Zerstörers Zumwalt.

Vor diesem Hintergrund ist die Effizienz der Ausgaben Russlands für seine Armee einfach phänomenal. Dabei wird jedoch oft übersehen, dass die Aufgabe nicht nur darin besteht, dass die dafür bereitgestellten Gelder richtig ausgegeben werden. Noch viel wichtiger ist, dass auch die zu finanzierenden Ziele richtig festgelegt werden – und in dieser Hinsicht darf Russland durchaus stolz sein: Als die politische und militärische Führung vor vielen Jahren (spätestens in den mittleren Nulljahren) verschiedene Varianten der Modernisierung der Streitkräfte erwog, hat sie die richtige Wahl getroffen – und profitiert jetzt davon.

Dabei sollte man bedenken, dass das Land damals sehr geringe Finanzressourcen hatte und große politische (sowohl äußere als auch innere) Risiken eingehen musste. Dennoch wurden Beschlüsse gefasst, die nicht nur den endgültigen Verfall der russischen Armee nach den desolaten 1990er Jahren verhindert, sondern ihren Aufstieg zu den stärksten und effizientesten Streitkräften der Welt ermöglicht haben.

Moskau konnte sich damals keine zahlreichen und umfassenden Experimente leisten – es musste ganz konkrete Ziele stellen und auch erreichen, denn jeder Fehler hätte fatale Folgen haben können.

Am Ende hat sich die russische Armee aber aus einem schwerfälligen und plumpen „Dinosaurier“ nach dem Zerfall der Sowjetunion in eine moderne, hochmobile Militärmaschine verwandelt, die die Methoden des so genannten „Hybridkriegs“ nahezu perfekt beherrscht.  Den Erfolg seiner Militärreform hat Moskau in den letzten Jahren in Syrien und nicht nur dort deutlich unter Beweis gestellt.

Zudem sind Russland gleich mehrere Durchbrüche in der Rüstungsbranche gelungen – sowohl wissenschaftlich-technische als auch rein organisatorische. Und die Erfolge in diesen Aspekten gleichen teilweise seinen Rückstand in einigen anderen aus.

Elektronikkampf. Westliche Experten räumen ein, dass die russischen funkelektronischen Kampfmittel die besten weltweit sind und der Westen auf diesem Gebiet spürbar zurückliegt.
Russland hat sich gegen den Ausstieg der USA aus dem INF-Vertrag absichern können. Ob „Kalibr“-Raketen oder die neusten Hyperschallwaffen – alles ist auf die Aufrechterhaltung des globalen Systems der nuklearen Eindämmung ausgerichtet.
Arktis. Seit gut 20 Jahren diskutierte die Welt intensiv die wachsende politische und wirtschaftliche Rolle des Hohen Nordens im 21. Jahrhundert. Als das aber Realität geworden ist, stellte sich heraus, dass die Russen dort ein umfassendes Verteidigungssystem eingerichtet haben (von Eisbrechern und Militärstützpunkten bis zur neuesten Ausrüstung für seine Militärs) und dass niemand mit ihnen Schritt halten kann.

Angesichts dessen wird der SIPRI-Bericht noch deutlicher, und die zahlreichen Erklärungen der russischen Staatsführung, Moskau würde sich nicht in ein neues Wettrüsten verwickeln lassen, werden noch gewichtiger.

In den letzten Jahren hat sich die Welt daran gewöhnt, dass Moskau seine operativ-taktische Überlegenheit gegenüber dem Westen zeigt, und zwar in ganz verschiedenen Regionen (von der Krim bis hin nach Syrien, von der Zentralafrikanischen Republik bis hin nach Venezuela), wobei auch der militärische Faktor eine wichtige Rolle spielt.

Vor dem Hintergrund dieser Erfolge wird aber oft übersehen, dass Russland seine potenziellen Gegner auch strategisch überspielt. Aber es ist ja nicht umsonst, dass der Westen Moskau oft genug vorwirft, es hätte die Regeln und Methoden des „Hybridkriegs“ viel zu gut beherrschen gelernt.

sputniknews


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