Wie Putins Propaganda die Russlanddeutschen aufhetzt

  26 Januar 2016    Gelesen: 1178
Wie Putins Propaganda die Russlanddeutschen aufhetzt
Ein 13-jähriges Mädchen soll in Berlin von Migranten vergewaltigt worden sein. Die Polizei verneint dies. Russische Medien und Moskaus deutsche Propagandakanäle kochen den Fall trotzdem hoch.
Die russische Propaganda ist eine gefährliche Waffe. Zu spüren kriegte sie bisher vor allem die Ukraine, wo das russische Fernsehen auch mit Hilfe von Schauspielern versuchte, die Bevölkerung gegen eine angeblich «faschistische Junta» in Kiew aufzustacheln. Nun aber zündeln russische Reporter auch in Deutschland, indem sie Stimmung gegen Flüchtlinge und Einwanderer machen. Die Propaganda bedient sich dabei der russlanddeutschen Diaspora und rechtsextremer Kräfte.

Angebliche Vergewaltigung

Auslöser der Stimmungsmache ist eine mysteriöse Geschichte um eine angebliche Vergewaltigung eines 13-jährigen Mädchens aus einer russlanddeutschen Familie. Am 11. Januar soll Lisa, wie das Mädchen heisst, auf dem Weg zur Schule verschwunden sein. Die Eltern meldeten sie bei der Polizei als vermisst. Am nächsten Tag tauchte Lisa wieder auf. Ihren Eltern erzählte sie, sie sei am Bahnhof Mahlsdorf von drei unbekannten «Südländern» mit gebrochenem Deutsch verschleppt und danach mehrfach vergewaltigt worden.

Die Berliner Polizei kam nach der Vernehmung des Mädchens allerdings zum Schluss, dass es «keine Entführung und keine Vergewaltigung» gegeben habe. Zu dieser öffentlichen Stellungnahme sah sich die Polizei gezwungen, nachdem der Erste Kanal des russischen Fernsehens in hetzerischer Weise über den Fall berichtet und die schnell verfügbare deutsche Übersetzung im Internet hohe Wellen geschlagen hatte.

Russisches Fernsehen macht Stimmung gegen Migranten

Am 16. Januar kündigte die Moderatorin den Beitrag in den russischen Abendnachrichten mit den folgenden Worten an: «Es gibt Bestätigungen, dass die Migranten in Deutschland begonnen haben, minderjährige Mädchen zu vergewaltigen.» In dem Korrespondenten-Bericht aus Berlin erzählen nicht die Eltern, sondern die Tante des Mädchens die Geschichte der angeblichen Vergewaltigung. Danach werden Bilder eines «spontanen Volksauflaufs» gezeigt, bei dem es sich in Wirklichkeit aber um eine Kundgebung der rechtsradikalen NPD handelte. Versammelt hat sich auch eine Gruppe aus der «russischsprachigen Diaspora». «Auf Gewalt werden wir mit Gewalt reagieren», kündigt ein Mann an. Eine weinende Frau fürchtet um ihr Kind, das jeden Tag an einem Flüchtlingsheim vorbei zur Schule gehen müsse. Auch der angebliche Onkel von Lisa ist bei der Kundgebung vor Ort. Er behauptet, die Polizei schütze die Verbrecher und habe Druck auf das Mädchen ausgeübt, damit sie ihre Aussage ändere. An der NPD-Demonstration tritt zudem auch die angebliche Cousine des vergewaltigten Mädchens auf. Auch sie erzählt die Geschichte der Vergewaltigung.

Irreführender Bericht

Am Ende des Beitrags zeigte das russische Fernsehen ein altes Youtube-Video von 2010, indem ein vermutlich türkischstämmiger Deutscher von der Vergewaltigung einer Jungfrau berichtet. Das Video lasse vermuten, dass Lisas Geschichte kein Einzelfall sei, kommentiert der Korrespondent. Zudem behauptet er, das Video sei von der «Hackergruppe Anonymous» ins Internet hochgeladen worden. Allerdings ist auch diese Information irreführend. Die besagte Facebooks-Site mit dem Namen « Anonymous Community » hat nichts mit den Internet-Aktivisten der Anonymous-Bewegung zu tun. Es handelt sich um eine Plattform, die fremdenfeindliches Gedankengut, Verschwörungstheorien und Beiträge von Moskaus deutschen Propagandamedien verbreitet.

Unterdessen hat ein deutscher Rechtsanwalt den Korrespondenten des Ersten Kanals wegen Volksverhetzung angezeigt. Moskau möchte die Geschichte aber offenbar noch weiterkochen. Die russische Botschaft bezeichnete die Anzeige als «Affront», welche zum Ziel habe, die Pressefreiheit einzuschränken.

Protest vor dem Kanzleramt

Am vergangenen Samstag rief ein sogenannter «Internationaler Konvent der Russlanddeutschen» zu einer Demonstration vor dem Bundeskanzleramt auf. Der Vorsitzende des Konvents, Heinrich Grout, gibt russischen Medien und ihren deutschen Propaganda-Armen gerne Interviews , in denen er die Geschichte der Vergewaltigung als erwiesen darstellt. Rund 700 Personen nahmen an der Kundgebung teil. Sie hielten Plakate hoch, auf denen etwa stand «Heute mein Kind – morgen dein Kind» oder «Wir leben in einem Land, in dem die Monster frei sind». Von Kanzlerin Angela Merkel wurde der sofortige Stopp der «illegalen Masseneinwanderung» gefordert. Auf T-Shirts war die Aufschrift «Deutschland in Gefahr» zu sehen.

Am Sonntag kam es auch in anderen Städten zu ähnlichen Demonstrationen. Über soziale Netzwerke wurden Russlanddeutsche aufgefordert, sich auf zentralen Plätzen zu versammeln. Der Aufruf begann mit den Worten: «Achtung! Es ist Krieg!»

Der Anwalt – ein Putin-Freund

Die Eltern von Lisa haben sich mittlerweile einen Anwalt genommen. Es handelt sich ausgerechnet um Alexei Danckwardt, den Leipziger Stadtrat der Linken. Seine Partei und auch er selbst haben die russische Aggression in der Ukraine immer wieder verteidigt und die Position des Westens kritisiert. Im vergangenen Sommer warf er der EU vor, sie betreibe in der Ukraine «die Lebensraumpolitik» Hitlers.

Im Gegensatz zu den Demonstranten vor dem Kanzleramt rudert Danckwardt nun allerdings zurück. Er bestehe nicht darauf, dass es sich um eine Vergewaltigung gehandelt habe. Es gehe um ein Gewaltverbrechen, sagte er gegenüber der Deutschen Welle. Zudem habe Lisa nicht eindeutig gesagt, dass es sich bei den Tätern um Flüchtlinge oder Migranten handle. Die Eltern seien zudem dagegen, dass der Fall politisch instrumentalisiert werde, meinte Danckwardt.

Ob auch der Kreml und sein Propagandaapparat diesen Wunsch der Eltern erhören werden, bleibt jedoch abzuwarten. Die russischsprachigen Bevölkerungsgruppen in Deutschland werden zahlenmässig auf rund sechs Millionen Menschen geschätzt. Der Fall Lisa zeigt, dass die russische Propaganda diesen Bevölkerungsteil und die Flüchtlingskrise missbrauchen will, um Druck auf die deutsche Regierung auszuüben.

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