Warum musste Sophia wirklich sterben?

  18 September 2019    Gelesen: 1448
Warum musste Sophia wirklich sterben?

Sie will zu ihrer Familie trampen, doch auf dem Weg dorthin wird Studentin Sophia von einem Lkw-Fahrer getötet. Der gesteht zwar vor Gericht, vor dem Urteilsspruch stehen aber trotzdem noch viele Fragezeichen im Raum.

Dass Sophia Lösche am Abend des 14. Juni 2018 an einer Tankstelle im sächsischen Schkeuditz in die Fahrerkabine des Lastwagens von Boujemaa L. kletterte, steht außer Zweifel. Dass sie zu ihren Eltern im bayerischen Amberg trampen wollte, ebenfalls. Dass sie dort nie ankam, ihre Leiche stattdessen zwei Wochen später verbrannt in einem Straßengraben in Spanien gefunden wurde. Und auch, dass Boujemaa L. die 28-jährige Studentin mit einer Eisenstange töte. Doch darüber wie, wann und aus welchem Grund Sophia sterben musste, darüber gibt es auch kurz vor der Urteilsverkündung gegen den geständigen Lkw-Fahrer noch ganz unterschiedliche Theorien. "Warum verschweigen Sie die Wahrheit, warum?", fragt Sophias Vater den Angeklagten vor Gericht immer wieder. Antworten auf seine Fragen wird er wohl nicht mehr bekommen.

Vor dem Landgericht Bayreuth geht nun der aufsehenerregende Prozess gegen den marokkanischen Fernfahrer zu Ende. Er ist wegen Mordes angeklagt, die Staatsanwaltschaft fordert eine lebenslange Haftstrafe. Sie ist zunächst sicher: Boujemaa L. ermordete die Tramperin, um einen sexuellen Übergriff zu vertuschen. Der 42-jährige Angeklagte soll Sophias Zurückweisung nicht ertragen und Angst vor einer Anzeige gehabt haben - und die 28-Jährige deshalb auf einem Parkplatz in Oberfranken mit einem Radmutterschlüssel schwer verletzt haben. Doch anstatt Hilfe zu holen, kam er später schließlich "zu dem fatalen Schluss, mit Sophia endgültig Schluss zu machen", sagt auch der Anwalt der Eltern der Getöteten in seinem Plädoyer vor Gericht. Eindeutige Beweise für eine sexuelle Straftat vor dem Mord können Gutachter allerdings nicht finden. Sophias Leiche weist keine Spermaspuren auf.

Der Angeklagte bestreitet ein sexuelles Motiv vehement. "Ich bitte Sie, keine sexuelle Belästigung daraus zu machen und die Ehre dieser Frau nicht zu beflecken", fleht der 42-Jährige vor Gericht. Er präsentiert einen ganz anderen Tatablauf. Zunächst habe er mit Sophia noch geplaudert, ihr Fotos seiner vier Kinder gezeigt. Erst auf einer Raststätte sei es zum Streit gekommen, als er Sophia dabei ertappt habe, wie sie seine Fahrerkabine durchwühlte. Sie beschuldigte ihn demnach, ihr Haschisch geklaut zu haben - und soll dem Lkw-Fahrer daraufhin ins Gesicht geschlagen haben. Als Sophia dann auf dem Boden der Fahrerkabine kniete, will Boujemaa L. sie "vier- oder fünfmal, vielleicht auch siebenmal" mit dem Radmutterschlüssel auf den Kopf geschlagen haben.

"Sterben auf Raten"


"Sie hat mich nicht respektiert. Sie hat mich geschlagen", sagt er später aus. "Das war der Fehler." Für den Anwalt von Sophias Angehörigen erfüllt schon dieses Geständnis das Mordmerkmal der Heimtücke - weil Sophia arg- und wehrlos war, als der 42-Jährige zuschlug. Die Verteidigung dagegen plädiert für eine mehrjährige Haftstrafe wegen Totschlags.

Entscheidend für das Urteil des Gerichts dürfte der Todeszeitpunkt der Studentin sein. Doch auch hier stehen mehr Frage- denn Ausrufezeichen. Die Verteidigung betont, dass Sophia schon bei den ersten Schlägen gestorben sei. Boujemaa L. habe deshalb keine Hilfe mehr holen können. Die Eltern und der Bruder der Getöteten dagegen glauben, dass Sophia zu einem späteren Zeitpunkt starb - etwa erst, als der Lkw-Fahrer mit der schwer verletzten Studentin an Bord bereits in Frankreich war. Das "Sterben auf Raten", so nennt es der Anwalt der Eltern, spreche für eine besondere Schwere der Schuld.

Die spanischen und deutschen Rechtsmediziner, die Sophias Leiche jeweils untersuchten, sind sich bezüglich des Todestags ebenfalls uneinig. Die spanischen Ermittler vermuten den Todeszeitpunkt zwischen dem 16. und 17. Juni in Frankreich. Der deutsche Rechtsmediziner geht davon aus, dass Sophia Lösche schon wenige Stunden nach der Abfahrt von jenem sächsischen Rastplatz ums Leben kam -  oder spätestens einen Tag danach.

Der Wahrheit nicht näher gekommen


Was sich tatsächlich in der Fahrerkabine des marokkanischen Lkws abspielte, weiß nur Boujemaa L.  Der vierfache Familienvater bemitleidet sich vor Gericht immer wieder selbst. Schildert, wie er sich seit Sophias Tod quält. Wie er versuchte, Stofffetzen zu essen und sich so das Leben zu nehmen. "Wenn Sie mich zu Tode verurteilen, es macht mir nichts aus", sagt er dem Richter. Bei Sophias Angehörigen entschuldigt er sich für das große Unrecht, das er ihnen angetan hat.

Freunde und Familie der 28-Jährigen beschäftigen während des Prozesses andere Dinge als das Leid des Täters. So, wie sie nach dem Tod ihrer Freundin gegen eine Instrumentalisierung des Falls durch Rechtsextreme demonstrieren, protestieren sie am Tag der Aussage des Angeklagten gegen dessen "Victim Blaming". Schon damals ahnen sie, dass dieser versuchen wird, seinem Opfer die Schuld in die Schuhe zu schieben. "Gegen jeden Sexismus & Victim Blaming", prangert deshalb auf Plakaten vor dem Gerichtsgebäude.

"Wir hatten uns erhofft, dass wir die Wahrheit erfahren werden, so schlimm sie auch ist", sagt Sophias Bruder den "Oberpfalz Medien" wenige Tage vor dem Urteil um den gewaltsamen Tod seiner Schwester. Der Wahrheit sei man im Prozess jedoch kein Stück näher gekommen.


Quelle: n-tv.de


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