Der FDP-Fraktionsvize Michael Theurer sprach von einer “milliardenschweren Subventionsorgie”. Und die Aktienkurse der Lufthansa und der Energieversorger gingen nach oben - weil die Anleger schmerzhaftere Einschnitte erwartet hatten.
Aber aus Sicht von Kanzlerin Angela Merkel und Vizekanzler Olaf Scholz wird das eigentliche Urteil über das nach 19 Stunden nächtlicher Verhandlung und wochenlanger Vorarbeit erzielte Ergebnis weder in der Opposition, auf der Straße noch an den Börsen gesprochen: Vielmehr muss in wenigen Wochen in der SPD entschieden werden, ob das Klimapaket genug Kit bietet, um in der großen Koalition zu bleiben. Umfragen werden zeigen, ob die Beschlüsse der Regierung bei den Wählern ankommen - und CDU und SPD sich in der Gunst wieder nach oben arbeiten können.
Dem Klimapaket war in den vergangenen Wochen immer mehr die Bedeutung als Schicksalsentscheidung zugewiesen worden - nicht nur für den Kampf gegen den Klimawandel. Entweder werde das “Klimaschutzprogramm 2030” zum Befreiungsschlag für das eigentlich ungeliebte Bündnis. Das würde beiden Parteien ein Weiterregieren bis 2021 ermöglichen und allen drei Regierungsparteien ein Instrument in der parteipolitischen Auseinandersetzung gegen die erstarkten Grünen in die Hand geben. Oder aber das Klimaschutzpaket bildet das letzte Kapitel in der Zusammenarbeit von CDU, CSU und SPD, sollte ein Sturm der Entrüstung bei den Sozialdemokraten losbrechen.
KOALITION FEIERT SICH WIEDER - AUCH DIE SPD-SPITZEN
Sicher ist weder die eine noch die andere Entwicklung. Als die sichtlich verhandlungsmüde Truppe um Merkel und Scholz am Freitag im Futurium vor die Presse trat, präsentierte sie sich immerhin mit sichtlichem Stolz und demonstrativer gegenseitiger Dankbarkeit. “Das war ein Tag, der nicht schlecht für den Klimaschutz und nicht schlecht für das Klima innerhalb dieser Koalition ist”, gab die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer zu Protokoll. Die große Koalition habe sich “eindrucksvoll als Schrittmacher in Deutschland zurückgemeldet”, jubelte auch CSU-Chef Markus Söder.
Viel wichtiger aber war, dass und wie Scholz, die kommissarische SPD-Parteivorsitzende Malu Dreyer und SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich die Beschlüsse lobten. Denn auf ihre Stimmen wird es ankommen, ob die SPD bei der Halbzeitbilanz ein positives Votum über die große Koalition abgeben wird. “Ich denke schon, dass sich die Partei ein Bild machen kann, dass wir einiges geschafft haben”, sagte Dreyer dazu, deren Urteil parteiintern viel zählt. Scholz wiederum unterstrich, man habe viel mehr erreicht als Kritiker gedacht hätten: Dass das Klimapaket ein Volumen von allein 54 Milliarden Euro bis 2023 habe, zeige, “dass wir die Herausforderung angenommen haben” - und mit “wir” meinte er die gemeinsame Regierung. Fraktionschef Mützenich verwies geschickt auf die vor der Regierung und dem Bundestag liegende Gesetzesarbeit. Im Klartext: Ein SPD-Ausstieg würde die Umsetzung der Gesetze für Dutzende Förderprogramme und soziale Entlastungen gefährden.
Tatsächlich war es den Koalitionären gelungen, ganz nebenbei sogar noch die umstrittenen Deckel für den Ausbau der Wind- und Solarenergie zu beseitigen. Das befriedigt vor allem die zunehmend verärgerten Nordländer.
UNION UND SPD IM DOPPELTEN SPAGAT
Ob dies ausreichen wird, um die Kritik mangelnder Ambition zu entkräften, ist aber nicht ausgemacht. Merkel selbst räumte ein, dass der CO2-Einstiegspreis von zehn Euro pro Tonne für Verkehr und Gebäude sehr niedrig sei, auch wenn er danach stark ansteigen werde. Die Regierung habe eben einen Balanceakt vollbringen müssen: Sie müsse nicht nur die Klimaschutzziele bis 2030 erfüllen, sondern auch das Land zusammenhalten und soziale Härte vermeiden. Nicht jeder habe das Geld, um sich neue umweltfreundliche Autos oder eine moderne Heizungsanlage zu kaufen, argumentierten fast alle Spitzen-Koalitionäre und verteidigten vor allem die Anhebung der Pendlerpauschale. Im Hinterkopf haben sie die Erfahrung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der mit einer ökologisch begründeten Steuererhöhung die Gelbwesten-Proteste ausgelöst hatte.
Parteipolitisch gesprochen, müssen Union und SPD einen Spagat zwischen Grünen und AfD hinlegen - an die beide Wähler verloren haben. Die einen fordern einen radikaleren Umweltschutz, die anderen lehnen dies vehement ab. Ende Oktober stehen sowohl CDU als auch SPD in Thüringen vor der nächsten Bewährungsprobe gegen Rechts- und Linksaußen-Parteien.
Merkel erklärte deshalb mehrfach, dass es eben Unterschiede zwischen der Politik und Wissenschaftlern oder Demonstranten gebe. “Politik ist das, was möglich ist”, sagte sie nüchtern. Das Klimaschutzprogramm 2030 sei ein Kompromiss. “Aber einer, der trotzdem seine Langzeitwirkung entfalten wird.” Zudem sei ein jährliches Nachsteuern verabredet worden. Nur stellt sich die Frage, ob die große Koalition dafür noch Zeit haben wird.
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