Sylvie Goulard weiß, wie man in Brüssel punktet. Sie beginnt ihre einführenden Worte auf Französisch, später wechselt sie ins Englische, dann ins Deutsche, später beantwortet sie eine Frage sogar auf Italienisch. Sprachlich, soviel steht nach Goulards Anhörung am Mittwochnachmittag im Europaparlament fest, gibt es an der EU-Tauglichkeit der Frau keinerlei Zweifel.
Auch fachlich ist Goulard, 54, gut im Stoff. Sie war lange Europaabgeordnete, kurz französische Verteidigungsministerin und dann Vizechefin der Banque de France. Ihr ganzer Lebenslauf liest sich wie ein Aufgalopp für den Job, den sie nun anstrebt: Goulard soll Binnenmarktkommissarin werden.
Doch leider geht es an diesem Mittwochnachmittag im Sitzungssaal des Europaparlaments weder um ihre Sprachkenntnisse, noch allein ums Fachliche. "Es hängt eine Wolke des Zweifels über Sylvie Goulard", sagt der CDU-Europaparlamentarier Christian Ehler nach der Anhörung blumig. Man hätte gerne mehr darüber gehört, was Goulard als Binnenmarktkommissarin so vorhabe, sagt Ehler und legt seine Stirn in tiefe Falten. Aber leider seien da die ganzen Affären...
Am Mittwochabend gab es erst mal kein grünes Licht für die Kommissarin in spe. Goulard, so verabredeten es die zuständigen Abgeordneten, soll weitere schriftliche Fragen zu ihrem künftigen Job beantworten. Denkbar ist sogar, dass sie danach noch mal vor den Ausschuss zitiert wird. Offiziell sollen die sogenannten Koordinatoren die Zusatzfragen bei einem Treffen am Donnerstag auf den Weg bringen.
Sicher, das Aus für Emmanuel Macrons Kandidatin ist das noch längst nicht. Eine Demütigung aber schon. Immerhin gilt Goulard als einer der kommenden Stars in Ursula von der Leyens Kommissionsteam.
Ganz fair ist das natürlich nicht. Bei der Anhörung Goulards geht es nicht nur um Goulard. Viele Europaparlamentarier, vor allem von CDU und CSU, wollen Frankreichs Präsidenten Macron vors Schienbein treten, wenn sie seine Kandidatin noch eine Runde weiter quälen. Denn: Macron hat ihren Spitzenkandidaten Manfred Weber von der CSU beim Rennen um den Posten des Kommissionschefs ziemlich unsanft aus dem Rennen gekegelt. Dafür kriegt jetzt seine Kandidatin ein paar Revanchefouls.
Goulard steht bei der Anhörung von Anfang an auf verlorenem Posten. "Ich möchte dafür sorgen, dass unsere Wirtschaft sich entfalten kann", sagt sie am Nachmittag in ihrem Auftaktstatement. Und spricht dann, am Ende ihrer Einleitung, einen der heiklen Punkte ihrer Kandidatur an. Sie habe sich immer für Europa engagiert, sagt Goulard. Ihr Engagement für den Think Tank des deutsch-amerikanischen Milliardärs Nicolas Berggruen, das ihr über 10.000 Euro im Monat einbrachte, stellt sie in diese Reihe. Es sei "eingebettet" in all diese Aktivtäten gewesen. Insgesamt mehr als 350.000 Euro als Lohn für die Sache Europas, nicht jeden überzeugt das. Dennoch gibt es nach ihrem Statement sanften Applaus.
Doch Goulard kommt noch mit einer zweiten Schwachstelle in die Anhörung - es geht um eine mögliche Scheinbeschäftigung eines Assistenten während ihrer Zeit als Europaabgeordnete. Bereits die erste Frage der Abgeordneten zielt darauf ab. Weil sie nicht nachweisen konnte, dass einer ihrer Wahlkreismitarbeiter auch tatsächlich für sie als Europaabgeordnete gearbeitet habe, musste sie 45.000 Euro an das Europaparlament zurückzahlen und trat als französische Verteidigungsministerin zurück.
"Warum glauben Sie, keine Verteidigungsministerin mehr sein zu können, EU-Kommissarin aber schon?", will Jens Geier, Chef der deutschen Sozialdemokraten im EU-Parlament wissen. Goulard weicht aus. Sie habe unter den damaligen Umständen nicht mehr der französischen Regierung angehören wollen, aber im EU-Parlament sei es kein Usus, wegen solcher Dinge zurückzutreten. Geier fragt weiter: Ob sie denn als Kommissarin zurücktreten würde, wenn sie in Frankreich angeklagt werden sollte? "Ich antworte nicht auf hypothetische Fragen", gibt Goulard zurück. "Wenn man schuldig gesprochen wird, zieht man Konsequenzen." Bis dahin aber gelte die Unschuldsvermutung. Und bisher sei sie in Frankreich nicht einmal angeklagt. "Ich wurde als Zeugin angehört."
Falsch ist das natürlich nicht, aber so richtig hilft ihr das am Mittwochnachmittag auch nicht. Der Grünen-Europaparlamentarier Daniel Freund kündigt am Abend im Gespräch mit dem SPIEGEL im Zuge der Goulard-Debatte an, dass Nebeneinkünfte von Abgeordneten künftig bei noch 15 Prozent der Diäten gekappt werden sollen. Sollte er sich durchsetzen, würde es ziemlich leer im Parlament.
Es herrscht Jagdfieber in Brüssel. Schon während ihrer Anhörung gab es erste Tweets einzelner Europaabgeordneter, die infrage stellten, ob man Goulard wirklich einfach so durchwinken könne. Goulards Team hielt dagegen - mit Tweets zur Industrie- und Digitalpolitik von Goulards Account - während die Chefin sich im Ausschuss wehrte. Ein Hauch von US-Politik weht durch das sonst eher behäbige EU-Parlament.
Goulard fand sich auch deswegen in schwierigem Fahrwasser wieder, weil der Rechtsausschuss bereits am Montag die Kommissionskandidaten aus Ungarn und Rumänien zurückgewiesen hatte, also Politiker der Europäischen Volkspartei und Sozialdemokraten. Die liberale Renew-Fraktion aber, die Goulard unterstützt, musste bislang noch kein Opfer bringen.
Welche Anhörungen in Brüssel noch auf dem Programm stehen
So gesehen war es für Goulard auch keine gute Nachricht, dass sich ein weiterer Liberaler am Vormittag ganz achtbar geschlagen hatte. Der künftige Justizkommissar Didier Reynders, derzeit Außenminister in Belgien, wurde recht problemlos durchgewunken. Sicher, auch Reynders muss sich wegen der ein oder anderen Affären rechtfertigen, doch bei seiner Anhörung standen die Inhalte im Vordergrund. Reynders kündigte eine Art Ergebnistafel an, auf der jedes Jahr der Zustand des Rechtstaats aller EU-Mitglieder gemessen werden soll. Die Überprüfung solle alle EU-Länder betreffen, sagte Reynders, "aber sie wird bei den Mitgliedsländern, wo bereits Probleme identifiziert wurden, mehr in die Tiefe gehen". Eine klare Ansage an Polen und Ungarn, die mit Brüssel wegen des Abbaus ihres Rechtstaats schon länger im Clinch liegen.
Drei Stunden befragten die Abgeordneten jeden der Kommissarsanwärter. Am Donnerstag stellen sich unter anderem der ehemalige italienische Premierminister Paolo Gentiloni und der Ex-Sprecher der EU-Kommission, Margaritis Schinas, den Fragen der Parlamentarier. Der Italiener soll Wirtschaftskommissar werden und für den Euro zuständig sein, ein Graus für manchen Fiskal-Hardliner bei den Konservativen. Schinas wiederum muss sich Fragen wegen des Portfolios gefallen lassen, für das er zuständig sein soll - dem "Schutz der europäischen Lebensweise". Da dazu auch die Migration zählen soll, sind einige Abgeordnete der Meinung, dass die neue Kommission sich so bei Europas Rechten einschmeicheln will. "Europas Lebensweise = Abschottung", so ihre Gleichung, so ihr Vorwurf.
Auch wenn die meisten Fragen bei den Anhörungen nicht überraschend sind, ist das ein harter Test. Es zeigt sich schnell, wer sein künftiges Aufgabengebiet im Griff hat und wer eher nicht. Der Pole Janusz Wojciekowski etwa, der als Agrarkommissar vorgesehen ist, fand am Dienstag auf so gut wie keine Frage der Parlamentarier eine klare Antwort, er muss nachsitzen und bis nächsten Dienstag zusätzliche Fragen beantworten.
Dass Goulard nun in der gleichen Liga wie der Außenseiter aus Polen spielen soll, zeigt die Dramatik ihrer Lage.
spiegel
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