Gegründet wurde die Bewegung vor gut einem Jahr in London von Roger Hallam (53), einem ehemaligen Biobauern. Durch anhaltende Regenfälle verlor er vor einiger Zeit seine ganze Ernte und damit Hunderttausende Pfund, musste 25 Mitarbeiter entlassen. Was danach folgte, seien Depression, Stress und eine wichtige Erkenntnis gewesen, erinnerte sich Hallam in einem kürzlich im „Spiegel“ erschienenen Interview.
„Wenn es zu heiß, zu kalt, zu trocken oder zu nass wird, dann verlieren wir im besten Fall nur unseren Wohlstand, im schlimmsten Fall erleben wir die Ausrottung der Menschheit. Das ist, was auf uns zukommt. Das passiert, wenn die Menschen den Himmel zerstören.“ Wenn eine Gesellschaft so unmoralisch handle, werde Demokratie irrelevant, so Hallam.
Trotz der oft provokanten, markigen Sprüche und wissenschaftlich unbelegter Zahlen und Behauptungen, die Hallam von sich gibt, folgen inzwischen 597 Gruppen in 54 Ländern seinem Aufruf zum zivilen Ungehorsam im Rahmen der „Extinction Rebellion“, deren Kernforderung lautet, die Emission von Treibhausgasen bis 2025 auf netto Null zu reduzieren, um so die globale Erwärmung zu stoppen.
Unterstützt wird die Bewegung von Beginn an von einer Reihe von namhaften Wissenschaftlern, Intellektuellen und Prominenten. So heißt es beispielsweise in einem offenen Brief, der am 9. Dezember 2018 im „Guardian“ veröffentlicht wurde:
„Politische Führungen scheitern weltweit an der Thematisierung der Umweltkrise. Falls der weltweite Unternehmenskapitalismus die internationale Wirtschaft weiterhin antreibt, ist eine weltweite Katastrophe unausweichlich. […] Wir fordern zudem besorgte Weltbürger auf, gegen die gegenwärtige Selbstgefälligkeit in ihren jeweiligen Zusammenhängen, einschließlich der Verteidigung indigener Völker, der Entkolonialisierung und der wiedergutmachenden Gerechtigkeit, aufzustehen und sich dagegen zu organisieren – sich somit der globalen Bewegung anzuschließen, die sich nun gegen das Aussterben auflehnt (z. B. Extinction Rebellion im Vereinigten Königreich). Wir müssen gemeinsam alles tun, was gewaltlos notwendig ist, um Politiker und Wirtschaftsführer von der Aufgabe ihrer Selbstgefälligkeit und Leugnung zu überzeugen. Ihr ‚weiter so wie bisher‘ stellt keine Option mehr dar. Weltbürger werden dieses Versagen unserer planetaren Pflicht nicht länger hinnehmen. Jeder von uns, insbesondere in der materiell privilegierten Welt, muss sich zur Akzeptanz einer Notwendigkeit verpflichten, milder zu leben, deutlich weniger zu konsumieren und nicht nur die Menschenrechte, sondern auch unsere Verantwortung gegenüber dem Planeten zu achten.“
Zu den Unterzeichnern gehört unter anderem einer der weltweit bekanntesten linken Intellektuellen und größten Kritiker der US-Politik, Noam Chomsky. Auch in Deutschland gab es Anfang dieses Monats einen offenen Brief an die Bundesregierung, der von 90 Prominenten unterzeichnet wurde, darunter Anna Loos, Christian Ulmen, Bela B, Rocko Schamoni und Bodo Wartke.
Kritik an „Extinction Rebellion“: Esoterische Sekte, bezahlte Freiwillige, mangelhafter Datenschutz…
Mit Kritik an der Struktur von „Extinction Rebellion“ hatte sich jüngst die Autorin und ehemalige Grünen-Abgeordnete Jutta Ditfurth zu Wort gemeldet. In zahlreichen Tweets hat sie zum Ausdruck gebracht, dass sie XR, wie die Bewegung inzwischen internetgerecht abgekürzt wird, für eine „esoterische Sekte“ hält, die an die „Auslöschung der Menschheit“ glaubt und den „Verstand vernebelt“. Äußerungen von Hallam bezeichnet Ditfurth als „schwülstig und apokalyptisch“:
In sozialen Netzwerken sowie auf zweifelhaften Blogs wird derzeit versucht, über das Thema der Finanzierung, die Bewegung zu diskreditieren. Von der Behauptung, der umstrittene Milliardär George Soros würde XR mit großzügigen Spenden unterstützen bis zur Rede von „bezahltem Aktivismus“. So wird beispielsweise in einem Blogeintrag auf der Plattform „sciencefiles.org“ unterstellt, bei den Aktivisten handle es sich um „Transferexistenzen, die entweder von staatlichen Zuschüssen leben oder über Extinction Rebellion finanziert werden“. Die Finanzierung erfolge im Rahmen einer Freiwilligen-Vereinbarung, mit der der „bezahlte Freiwillige“ zum einen das Glaubensbekenntnis von Extinction Rebellion unterschreibe, zum anderen seinen Anspruch auf Volunteer Living Expenses (VLE) erkläre. Diese Aufwandsentschädigung betrage bis zu 450 Euro pro Woche. Im Blogeintrag wird impliziert, dass den XR-Aktivisten, die beispielsweise in Berlin bei Wind und Wetter Straßen blockieren und im Zeltcamp wohnen, das Anliegen der Bewegung eigentlich egal ist – Hauptsache, sie können den „Unterhalt“ abgreifen. Zahlen darüber, ob und wie viele Demonstranten Aufwandentschädigungen in Anspruch genommen haben oder gar Informationen darüber, aus welchen gesellschaftlichen Schichten sich die Bewegung in Deutschland zusammensetzt, werden nicht mitgeliefert.
Substanzielle Kritik kam hingegen von diversen Organisationen und Einzelpersonen hinsichtlich eines Fragebogens, über den „Extinction Rebellion“ sensible Daten der Teilnehmer erhoben hatte. So sollten die Aktivisten im Vorfeld der Aktion „Berlin blockieren“, die am 7. Oktober startete, neben personenbezogenen Daten wie E-Mail, Mobilfunknummer und Ort unter anderem auch angeben, in welchen anderen Bündnissen und Organisationen sie sich engagierten und ob sie bereit wären, für ihr XR-Engagement ins Gefängnis zu gehen.
Wie „netzpolitik.org“ hervorhebt, sind solche Daten „sehr spannend für Sicherheitsbehörden, ermöglichen in der Masse gleichzeitig für die Behörden eine gute Gefahreneinschätzung und Berechenbarkeit von Extinction Rebellion selbst“. Die Bewegung „Ende Gelände“ hatte zudem auf Twitter vom Ausfüllen des Fragebogens abgeraten, weil nicht klar sei, was mit den fraglichen Daten passiere:
Über Twitter entschuldigte sich XR Deutschland für den Fragebogen und teilte mit, alle kritischen Daten seien inzwischen „vollständig gelöscht“:
Bis Ende der Woche sollen die Proteste von „Extinction Rebellion“ in Berlin fortgesetzt werden.
sputniknews
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