Die US-Demokraten stehen links wie nie

  16 Oktober 2019    Gelesen: 949
Die US-Demokraten stehen links wie nie

Ein neuer möglicher Gegner von US-Präsident Trump bei der Präsidentschaftswahl 2020. Große Attacken auf Elizabeth Warren. Inhaltliche Differenzen, die zu Systemfragen mutieren. Die vierte TV-Debatte der US-Demokraten ist packend und inhaltsreich wie keine zuvor.

Krankenversicherung ohne Zusatzkosten für alle, einen Job für jeden US-Amerikaner und Kampf dem Großkapital - der linke Flügel der US-Demokraten gewinnt mit seinen Vorzeigethemen im Rennen um die Präsidentschaftskandidatur weiter an Kraft. Nach der bereits vierten Fernsehdebatte zwischen den Bewerbern wird zudem deutlich: Die Nichtangriffstaktik von Bernie Sanders und Elizabeth Warren geht bislang auf. In einem wilden Schlagabtausch mit Vertretern des moderateren Parteiflügels im Bundesstaat Ohio hielten sie sich erneut gegenseitig den Rücken frei.

Neben dem großen Richtungskonflikt darüber, wer die Partei in die Präsidentschaftswahl gegen Amtsinhaber Donald Trump führen soll, gab es zahlreiche Scharmützel. Dabei stachen vor allem Pete Buttigieg und Amy Klobuchar hervor. Das erste Mal dabei war zudem der Milliardär Tom Steyer. Als einziger Bewerber spricht er mehrmals die Gefahren des Klimawandels an. Die Hauptthemen waren über drei Stunden lang die Krankenversicherung, das Waffenrecht, die Opioid-Krise sowie die Außenpolitik und dabei vor allem die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, den Weg für die türkische Invasion Syriens freizumachen.

"Erkenne ein Geständnis, wenn ich es sehe"

Die Debatte beginnt an diesem Abend jedoch mit der großen Frage, die alles andere im politischen Washington und auch in den US-Medien derzeit unsichtbar macht: Sollte Trump des Amtes enthoben werden? Fast alle Bewerber sind dafür, was vor der Ukraine-Affäre wohl noch anders gewesen wäre. Sanders, der Trump schon bei vorherigen Debatten als "krankhaften Lügner" bezeichnet hatte, nennt ihn den korruptesten Präsidenten aller Zeiten. Ex-Vizepräsident Joe Biden stimmt zu. "Als eine frühere Staatsanwältin erkenne ich ein Geständnis, wenn ich es sehe", stimmt die Senatorin Kamala Harris ein: "[Trump] hat es völlig offen getan. Er hat uns die Beweise geliefert."

In der US-amerikanischen Bevölkerung spricht sich derweil nur eine knappe Mehrheit für eine Amtsenthebung aus. Das ist zwar mehr als etwa bei Ex-Präsident Bill Clinton zu einem ähnlichen Zeitpunkt. Aber da fast alle zu Demokraten tendierenden Wahlberechtigten ohnehin für ein Impeachment sind, heißt das: Die meisten Bewerber auf der Bühne buhlen mit ihrer Position nur um Demokraten.

Lange Zeit hatte Biden als unangefochtener Favorit gegolten. Doch seit der vergangenen TV-Debatte ist deutlich geworden, dass ihn tatsächlich jemand verdrängen könnte. In der vergangenen Woche lag Warren im Umfrageschnitt das erste Mal einen Hauch vor Biden. Momentan kommt er wieder auf 29,4 Prozent, Warren auf 23,4 Prozent und Sanders auf 15,6. Pete Buttigieg und Kamala Harris liegen gleichauf bei 5,2 Prozent. Besonders Harris war nach einer sehr starken ersten TV-Debatte in den vergangenen Monaten in Umfragen abgerutscht.

Warum gehen Menschen pleite?

Der linke Flügel ist stark wie nie, das spiegelt die Diskussion wider. Der größte Konflikt innerhalb der Partei, der die Flügelgrenzen absteckt, ist die Krankenversicherung. Warren und Sanders wollen innerhalb weniger Jahre nur noch eine öffentliche Kasse ohne Zuzahlungen erlauben. Zwar wollen alle anderen auch eine "öffentliche Option", jedoch die privaten Kassen nicht verbieten. Vor allem Warren gerät von ihren moderaten Kollegen unter Beschuss - ganz klar ist sie wegen ihrer guten Umfragewerte im Zentrum der Aufmerksamkeit. Sie wird am Ende der Debatte mit Abstand die meiste Redezeit aller Anwesenden haben.

Zur Seite springt ihr mehrmals Sanders, der irgendwann am Abend eine Umfrage zitiert, nach der 71 Prozent der US-Amerikaner für die Krankenversicherung für alle seien: "Es ist das, was die Menschen wollen!" Warren entfährt ein zustimmendes "Yessss!" Zwischen die beiden passt kaum ein Blatt. Die Kernfrage  ist aber, woher die 30 Billionen Dollar kommen sollen, die Warrens und Sanders' Plan in den ersten zehn Jahren kostet. Sie mutiert zu einer Systemfrage. Das Geld soll von den Reichen kommen, aber ist eine Vermögenssteuer eine Dämonisierung? Ein Alternativvorschlag aus der Runde ist eine Mehrwertsteuer nach deutschem Prinzip.

Warren zeigt sich standfest, als sie sagt, sie habe sich sehr lange mit dem Thema beschäftigt, warum die Menschen in den USA pleite gingen: wegen der Gesundheitskosten. Wieder unterstützt Sanders sie: "Ich bin die Leute langsam leid, die ein System verteidigen, das nicht funktioniert", sagt er und spricht von 500.000 Menschen, die so in die Privatinsolvenz getrieben worden seien. Sanders wirkt auf der Bühne energetisch wie lange nicht - obwohl er sich nach einem Herzinfarkt noch vor zwei Wochen einer Operation unterzogen hatte.

Jobgarantie für 20 Millionen Stellen


Beleg auf Beleg liefert die Debatte, wie weit links die Demokraten inzwischen stehen. Da ist etwa die Frage, ob die Bewerber Sanders' staatliche "Jobgarantie" unterstützten? Oder doch ein bedingungsloses Grundeinkommen von 1000 Dollar pro Monat, wie vom Unternehmer Andrew Yang vorgeschlagen? Sanders will seine "Jobgarantie" mit 20 Millionen Arbeitsplätzen im Rahmen des "Green New Deal" erreichen und damit praktisch die Arbeitslosigkeit beenden. Der "Green New Deal" ist ein vom linken Flügel der Partei propagiertes Programm, das Wirtschaftswachstum mit dem Kampf gegen den Klimawandel kombiniert. Sanders unterstützt damit die populäre linke Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, die sich nun damit revanchiert, dass sie sich im Wahlkampf auf Sanders' Seite schlägt.

Da ist auch Warrens Forderung, die großen Konzerne zu zerschlagen: "Big tech, big pharma, big oil". Sanders erweitert diese Aufzählung; die Medien, die Banken, die Landwirtschaft, alles sei von wenigen Unternehmen dominiert. Da ist aber neben dem Kampf gegen Oligopole auch Sanders' neuester Plan, mit dem er und Warren die Parteidebatte erneut von links befeuern: Ihrer Vorstellung nach sollten Angestellte fast die Hälfte jedes Aufsichtsrats besetzen.

Als Sanders wie üblich wettert, die drei reichsten Menschen in den USA hätten mehr Geld als 50 Prozent der Amerikaner zusammen ("Es ist eine moralische und wirtschaftliche Schande"), bekommt er Unterstützung von Neuling Tom Steyer, immerhin selbst Milliardär. Warren gießt Öl ins Feuer: "Die Reichen sind nicht wie du und ich", sagt sie. "Niemand will die Milliardäre beschützen, noch nicht einmal der Milliardär auf der Bühne", spottet Amy Klobuchar.

Pharmakonzernchefs sollen in Haft


Der Linksruck der Demokraten ist auch der Grund dafür, warum Biden so populär ist: Für solche, die Trump nicht (mehr) wollen, aber denen Warren und Sanders zu extrem sind, ist der bekannte Ex-Vizepräsident die verlässlichste Option. Auch für die mächtige Finanzwirtschaft. "Präsidentin Warren", so hieß es zuletzt im Papier einer Wirtschaftsberatungsfirma, sei "der schlimmste Albtraum der Wall Street". Biden und Ex-Präsident Barack Obama hingegen hatten es trotz der desaströsen Finanzkrise 2008/09 nicht verstanden, der Branche neue Regeln aufzuzwingen.

Auch das Thema Opioid-Krise, die pro Jahr in den USA rund 70.000 Menschen das Leben kostet, mündet in eine Systemkritik. "Das ist die Krankheit eines Kapitalismus, der Amok läuft", wettert etwa Andrew Yang. Tausende Klagen sind gegen große Pharmakonzerne deshalb anhängig.

Die drei größten Unternehmen kontrollieren gemeinsam 85 Prozent des US-Medikamentenmarktes und sollen bereit sein, deshalb 18 Milliarden Dollar Entschädigung zu zahlen. Derzeit verhandeln sie kurz vor dem Prozessbeginn angeblich über einen Vergleich. Mehrere auf der Bühne sprechen sich dafür aus, die Chefs der Unternehmen zusätzlich ins Gefängnis zu schicken. Die hätten schließlich gewusst, was sie taten.

Neben Warren und Sanders präsentieren sich andere als inhaltlich gemäßigter, aber ebenso entschieden. Buttigieg etwa duelliert sich mit Beto O'Rourke zum Waffenrecht. Gemeinsam mit Biden attackiert er Warren wegen der Bezahlbarkeit der Krankenversicherung. Klobuchar ist ebenfalls angriffslustig, betont aber auch ihre Verankerung im Mittleren Westen und ihre Erfahrung darin, Wechsel- und republikanische Wähler von sich zu überzeugen. Mit dieser Angriffslust gräbt sie an Bidens Wählerschaft.

Einer auf der Bühne gibt sich auffallend staatstragend und versöhnlich: Corey Booker, der Senator aus New Jersey. Manche vermuteten, er positioniere sich als möglicher Kandidat für die Vizepräsidentschaft, schreibt die "New York Times". Blieben die Demokraten weiter auf Linkskurs, mit einem möglichen Präsidentschaftskandidaten Warren oder Sanders, wäre Booker der nötige Vertreter des gemäßigten Parteiflügels - an deren oder dessen Seite.

Quelle: n-tv.de


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