Was die Thüringen-Wahl so besonders macht

  27 Oktober 2019    Gelesen: 624
Was die Thüringen-Wahl so besonders macht

Thüringen mag klein sein, doch diese Landtagswahl hat es in sich. Schon nach der Abstimmung 2014 stand das Land vor einem politischen Experiment. Das könnte sich nun wiederholen.

Der Vorschlag von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zu Syrien, das Ergebnis der Bewerbung um den SPD-Vorsitz, der Brexit - die Landtagswahl in Thüringen hatte in den Schlagzeilen der vergangenen Wochen starke Konkurrenz. Verglichen zu den Abstimmungen in Sachsen und Brandenburg war es fast schon still um den heutigen Wahlsonntag in der Mitte Deutschlands geworden. Aber ist es nicht auch eine kleine Wahl? Nur rund 1,73 Millionen Menschen sind stimmberechtigt. Im Bundesrat ist der Freistaat ein Leichtgewicht.

Nein, denn in Thüringen ist vieles offen und es wird extrem knapp. Die Kräfteverhältnisse sind - aktuellen Prognosen zufolge - einzigartig in der Bundesrepublik. Wie schon bei der Landtagswahl 2014 könnten im Freistaat Bündnisse entstehen, die es so bisher in Deutschland noch nicht gab. Das Thüringer Testlabor, entstanden mit dem Versuch einer linksgeführten Koalition, könnte in die nächste Runde gehen. Und Kooperationen auf Landesebene haben immer auch Modellcharakter für den Bund. Für den Ausgang des heutigen Polit-Krimis gibt es vier Szenarien:

1. Rot-Rot-Grün regiert weiter

Bekommen Linke, SPD und Grüne die Mehrheit der 88 Sitze im Erfurter Landtag, werden sie weitermachen. Für diesen Fall sind die drei Parteien schon übereingekommen, die Koalition zu verlängern.

2. Simbabwe-Koalition

Vier Farben zieren die Flagge des afrikanischen Landes: Schwarz, Grün, Gelb und Rot. Sollte es die FDP in den Landtag schaffen, worauf die letzten Umfragen hindeuten, würde die Koalition aus Linken, SPD und Grünen die Mehrheit verlieren. Möglicherweise - aber auch das steht nicht fest - könnte es dann für ein Viererbündnis aus CDU, SPD, Grünen und FDP reichen. Es wäre die erste Koalition aus mehr als drei Parteien in der Geschichte der Bundesrepublik. Das setzt aber Gesprächsbereitschaft von SPD und Grünen mit CDU und FDP voraus. Und sowohl Sozialdemokraten als auch Öko-Partei würden ja erklärtermaßen gerne das Bündnis mit den Linken fortsetzen.

3. Minderheitsregierung

Es könnte jedoch auch sein, dass weder Simbabwe noch Rot-Rot-Grün die absolute Mehrheit erreichen. In diesem Fall würde Thüringen auf eine Minderheitsregierung zusteuern. Das gab es in Deutschland auf Landesebene schon mehrfach - in Sachsen-Anhalt nach 1994 sogar schon eine ganze Legislaturperiode lang. Sollte Ramelow ohne Mehrheit weiterregieren wollen, müssten Linke, SPD und Grüne von der CDU gestützt werden. Zöge CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring in die Staatskanzlei ein, müsste er um gelegentliche Unterstützung der Linken oder anderer Fraktionen werben. Theoretisch möglich wäre auch eine Jamaika-Minderheitsregierung aus CDU, FDP und Grünen, die von der SPD projektbezogen gestützt würde.

4. Ramelow macht erst mal weiter

Wenn Ramelow die Mehrheit verpasst, verliert er den Job als Ministerpräsident offiziell in dem Moment, wenn der neue Landtag zusammentritt. Er bleibt aber so lange geschäftsführend im Amt, bis dieser Landtag einen neuen Regierungschef ernennt. Kommt es dazu aufgrund fehlender Mehrheiten nicht, bleibt er Ministerpräsident. Die thüringische Landesverfassung nennt für diese Zwischenzeit keine Frist.

Was ist mit der AfD?

Die AfD steht in Thüringen vor dem dritten großen Erfolg bei Landtagswahlen in diesem Jahr. 2014 holten die Rechten knapp über 10 Prozent, in der letzten Umfrage wurden 21 Prozent prognostiziert. Von daher wird sich die Partei mit Spitzenkandidat Björn Höcke als großer Gewinner der Wahl feiern. Sollte sich die Prognose bestätigen, dürfte AfD-Gegnern eine andere Perspektive besser gefallen: Das Ergebnis wäre deutlich schwächer als in Brandenburg und Sachsen.

Noch vor einigen Monaten rangierte die AfD in Umfragen um die 25-Prozent-Marke als zweitstärkste Kraft. In den vergangenen Wochen jedoch haben mehrere Institute Werte errechnet, die deutlich näher an der 20-Prozent-Marke liegen. Bei der Bundestagswahl wählten 22,7 Prozent in Thüringen die AfD, bei der Europawahl 2019 22,5 Prozent. Sollte die Partei unterhalb dieser Werten landen, würde sich ein leichter Abwärtstrend fortsetzen.

Als Koalitionspartner kommt Höckes Fraktion für niemanden infrage. Auch die Zusammenarbeit bei einzelnen Vorhaben schließen die anderen Fraktionen bisher exemplarisch aus. Kein einziger Antrag, den die AfD-Fraktion in Thüringen in den vergangenen fünf Jahren gestellt hat, wurde von einer anderen Partei unterstützt. Ob das so bleibt, wird die Zeit zeigen. Als deutlich gestärkte Oppositionspartei hat sie auf jeden Fall mehr Möglichkeiten, den politischen Diskurs im Parlament zu beeinflussen, kann Anfragen und Anträge stellen, bekommt mehr Redezeit und kann die öffentliche Bühne des Parlaments besser nutzen. Unmittelbare Gestaltungskraft hat sie jedoch aufgrund ihrer politischen Isolation nicht.

Spielen andere Parteien noch eine Rolle?

Insgesamt sind 18 Parteien zur Landtagswahl zugelassen. Das eine der Kleinparteien den Sprung über die Fünfprozenthürde schafft, ist jedoch unwahrscheinlich. Bei der vergangenen Landtagswahl hatte die rechtsextreme NPD noch 3,6 Prozent der Stimmen erhalten, 2009 war sie mit 4,3 Prozent noch näher am Einzug in den Landtag dran. Bundesweit lässt sich jedoch der Trend beobachten, dass der Partei mit dem Erstarken der AfD zunehmend Wähler verloren gehen. Als aussichtsreiche Kandidaten für einen Achtungserfolg rund um die Ein-Prozent-Marke gelten daher die Piraten und "Die Partei".

Quelle: n-tv.de


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