Am Montag beriet der Innenausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus gemeinsam mit Vertretern der Berliner Polizei und Staatsanwaltschaft darüber, ob ein Untersuchungsausschuss eingerichtet werden soll. Dieser solle dann eine angebliche „rechte Terror-Serie“ – wie es einige Medien in der Hauptstadt nennen – im Berliner Bezirk Neukölln aufklären. Die Fraktionen der Linken und der Grünen im Berliner Landesparlament fordern einen solchen U-Ausschuss.
Sputnik hat nachgehakt und dazu Berliner Abgeordnete und Innenpolitiker befragt.
„Bei dem Begriff ‚rechte Terror-Serie‘ handelt es sich um ein Missverständnis“, urteilte Innenexperte Marcel Luthe (FDP), Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus und innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion, gegenüber Sputnik.
„Es macht mich tief betroffen, dass wir mittlerweile 55 politisch motivierte Straftaten von Rechtsextremen und mutmaßlichen Neonazis in Neukölln zu verzeichnen haben“, sagte AfD-Innenpolitiker Karsten Woldeit, innenpolitischer Sprecher seiner Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, im Sputnik-Interview. „Es ist zu bedauern, dass die Berliner Ermittlungsbehörden Fehler konstatiert haben. Aber man hat reagiert und Stellen zusammengeführt sowie eine besondere Aufbauorganisation geschaffen. Man ist zuversichtlich, dass man erfolgreich fahnden und ermitteln wird.“
Die Buchautorin Heike Kleffner kritisierte andererseits vor wenigen Wochen auf einer Presseveranstaltung in Berlin die „Vernetzung der Berliner Polizei und Justiz mit der rechten Szene.“ Sputnik war damals vor Ort. Dort sagte die „taz“-Journalistin Malene Gürgen:
„Vor allem im Süden von Neukölln gibt es eine rechtsextreme Szene, die bundesweit wenig bekannt ist. Dort werden Angriffe und Anschläge gegen Menschen verübt, die sich in dem Bezirk gegen rechts engagieren.“
„Keine Terror-Serie, sondern …“
„Was wir haben“, erläuterte der Berliner FDP-Landespolitiker Luthe im Interview, „ist eine Vielzahl von belastenden Delikten. Das sind jedoch Einzelfälle, die eben nicht nur in Neukölln stattfinden. In diesem Jahr haben mehrere hundert Fahrzeuge in dieser Stadt gebrannt. Sicherlich politisch motiviert, aus unterschiedlichsten Lagern und Motivgründen. Deswegen unterstütze ich die grundsätzliche Idee zu einem Untersuchungsausschuss zu diesem Thema: Dass wir endlich dahin kommen zu untersuchen, warum die Berliner Polizei und die Staatsanwaltschaft nicht in der Lage sind, solche politisch motivierten Taten aufzuklären. Aber auch die anderen (unpolitischen, Anm. d. Red.) Taten. Warum haben wir eine solch schlechte Aufklärungsquote?“ Zur Beantwortung dieser Frage sei es dringend erforderlich, im Berliner Landesparlament einen U-Ausschuss einzurichten, betonte er. „Aber dieser darf sich dann nicht nur mit Taten in Neukölln beschäftigen, sondern er muss sich damit beschäftigen, weshalb wir eine so geringe Aufklärungsquote in dieser Stadt haben.“
AfD-Innenexperte Woldeit habe kürzlich erst als Abgeordneter eine Anfrage gestellt, „wie viele Gefährder im rechtsextremen Milieu es überhaupt in Berlin gibt.“ Auch, um eine mögliche rechte Terrorzelle in der Hauptstadt ausfindig zu machen.
„Die Antwort hat mich dann doch einigermaßen beruhigt, trotz des schrecklichen Hintergrunds.“ Denn nach Erkenntnissen des Berliner Innensenators gebe es nur „zwei bis drei“ rechte Gefährder im Berliner Raum. „Das zeigt mir, dass hier Einzeltäter mit widerlichen Taten unterwegs sind. Aber von einer rechtsextremen Zelle zu sprechen, halte ich für überzogen. Ich wünsche mir, dass wir in eine Sachdebatte zurückkehren.“
„Verfassungsschutz kennt die Täter“ – Medien
Die Anschlagsopfer in Neukölln „wurden nicht gewarnt, obwohl dem Verfassungsschutz bekannt war, dass Rechtsextreme sie ausspähen“, meldete am Montag das „Inforadio“ des RBB. „Ein LKA-Beamter soll sich mit einem Neonazi in Neukölln getroffen haben. Daraus ergeben sich Fragen. Vor kurzem haben mehr als 25.000 Menschen in einer Petition einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gefordert, der den Umgang von Polizei und Justiz mit der Anschlagsserie beleuchten soll. Die Linksfraktion unterstütze die Forderung, sagt der innenpolitische Sprecher der Linken Niklas Schrader. Dabei müsse auch untersucht werden, ob rechtsextreme Strukturen bei der Polizei die Ermittlungen erschweren.“
Bis Redaktionsschluss war der Berliner Innenpolitiker der Linken, Schrader, für eine Stellungnahme gegenüber Sputnik nicht zu erreichen.
„Polizei und Staatsanwaltschaft warnen vor Panikmache“
FDP-Innenpolitiker Luthe kommentierte die Beratungen am Montag im Innenausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses:
„Ich bin sehr dankbar, dass sowohl die Berliner Staatsanwaltschaft als auch das Landeskriminalamt (LKA) bei den Beratungen deutlich gemacht haben, dass die Angst, die viele Menschen in unserer Stadt verspürt haben – aufgrund der Panikmache durch die Linken und die Grünen – nicht begründet ist. Wir reden hier – und das ist schlimm genug – von einer Vielzahl von Delikten, Ehrverletzungen, Bedrohungen, sogar von Brandstiftungen oder angezündeten Autos zulasten einzelner Berliner Bürger. Das ist scheußlich.“ Der FDP-Landespolitiker betonte allerdings, es gebe keinen Zusammenhang dieser Straftaten zu „einem ungeklärten Mordfall aus dem Jahr 2012, wie teilweise unseriös behauptet worden ist. Man kann Beleidigungsdelikte nicht mit einem unaufgeklärten Mord unseriös in Verbindung bringen.“
In einem aktuellen Kommentar stellt es die „Berliner Zeitung“ so dar: „Es geht um eine Serie von Gewalttaten in Neukölln, vor allem Brandanschläge, bei denen immer Vertreter des linken politischen Spektrums angegriffen werden, Politiker, Gewerkschafter, Leute, die sich gegen Neonazis engagieren.“
Diese Darstellung sei zu einseitig, kritisieren die beiden Berliner Innenpolitiker Woldeit und Luthe unisono.
„Es ist für Staatsschutz-Beamte unbefriedigend, wenn …“
„Meines Erachtens greifen die Forderungen der Kollegen (von den Linken und den Grünen, Anm. d. Red.) da deutlich zu kurz“, urteilte der FDP-Politiker gegenüber Sputnik.
Diese beiden Fraktionen in Berlin „sehen nur eine kleine Gruppe von Opfern. Wir müssen aber ganz realistisch – auch mit Blick auf die polizeiliche Kriminalstatistik – uns anschauen, dass es bis zu tausende Berliner jedes Jahr gibt, die Opfer von Straftaten aller Art werden. Die sich jetzt in Neukölln aus Sicht der Betroffenen gehäuft haben. Wir müssen aber allen gleichermaßen helfen. Das ist Aufgabe des Rechtsstaates. Wir haben generell das Problem, dass viel zu wenige Delikte im Bereich des politischen Extremismus – sei er rechts, links oder islamistisch motiviert – aufgeklärt werden. Und dieses Problem müssen wir beheben.“
Der AfD-Innenpolitiker legte den Fokus auf Gewalttäter in „der linken Szene“ Berlins.
„Jüngst am Wochenende wurden erst wieder Polizeibeamte von mutmaßlichen Linksextremen attackiert“. Solange solche Vorfälle nicht geklärt würden, sehe er „ein Totalversagen der Berliner Politik und der rot-rot-grünen Regierung hier in Berlin.“ Andererseits lobte er die bemühten Berliner Sicherheitsbehörden. „Ich denke, dass die Berliner Polizei – und gerade das LKA 5, der Staatsschutz – eine hervorragende Arbeit leisten. Das ist eine Erkenntnis, die ich in den letzten zwei Jahren im Amri-Untersuchungsausschuss gewonnen habe. Es ist doch auch für die Kollegen im Staatsschutz unbefriedigend, wenn diese Verdachtsmomente haben, die dann aber nicht zu einem Haftbefehl führen.“
Gewalt gegen Berliner Politiker aller Parteien
AfD-Innenpolitiker Woldeit nannte im Interview etliche Straftaten – darunter Beleidigungen, Androhungen körperlicher Gewalt, sogar schwere Delikte wie Einbrüche – die in letzter Zeit gegen Berliner Politiker in allen Parteien verübt worden sind:
„Sie haben mit dem Kollegen Luthe gesprochen, der auch schon häufig Opfer politisch motivierter Gewalt wurde. Sei es verbal oder andersartig. Ich selber habe schon Hausfriedensbruch, versuchte schwere Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigungen und Graffiti an meinem Haus erlebt. Die Kollegen der CDU haben in der Vergangenheit Anschläge auf Wahlkreisbüros und ähnliches gehabt.“ Seine Kritik: „Da kommt von der Berliner Koalition (SPD, Linke und Grüne, Anm. d. Red.) kein Aufschrei. Ich halte es für wichtig, dass wir Extremismus aller Bereiche mit gleicher rechtsstaatlicher Intensität bekämpfen.“
Ob der U-Ausschuss nun tatsächlich kommen wird, sei immer noch fraglich. „Wir werden die Beratungen zu diesem Thema in der nächsten Sitzung fortsetzen“, kündigte Luthe an. Er forderte zudem Bereitschaft von den anderen Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus, sich dem Gesamtproblem der politisch motivierten Kriminalität in Berlin zu öffnen. „Dass ein U-Ausschuss kommen wird, sehe ich noch nicht, zumal sich die SPD auch dagegen ausgesprochen hat“, sagte Woldeit voraus. Beide Landespolitiker beklagten im Interview eine Verrohung der Sitten und politischen Umgangsformen. Vieles werde nicht mehr parlamentarisch in einer politischen Debatte geklärt, sondern über Gewalt und Straftaten.
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