Der Führer futtert, das Volk hungert

  14 November 2019    Gelesen: 1086
Der Führer futtert, das Volk hungert

Elf Millionen Menschen in Nordkorea sind unter- oder mangelernährt. Nun kommt der harte Winter, aber das Regime von Kim Jong Un weigert sich, Reis-Spenden aus dem Süden anzunehmen.

Wie schnell das Thema Menschenrechte von der politischen Agenda verschwinden kann, erfuhr der nordkoreanische Flüchtling Ji Seong Ho persönlich. In seiner Rede zur Lage der Nation im Januar 2018 gab US-Präsident Donald Trump die Geschichte von Jis Flucht wieder und pries seinen Willen zur Freiheit. Ji saß gerührt im Publikum.

Wenige Monate nach seiner Ansprache nannte Trump den nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un einen ehrenwerten Mann, und seither sind die Menschenrechte in Fernost nicht einmal mehr ein Randthema seiner Politik.

In Nordkorea gibt es keine Pressefreiheit, keine Meinungsfreiheit, aber ständige Überwachung. Es ist ein Land, das Human Rights Watch einmal als größtes Gefängnis der Welt bezeichnet hat. Geschätzte 80.000 bis 120.000 Menschen sind in politischen Lagern inhaftiert, wo ihnen Folter, Vergewaltigung oder Exekution droht. Ein Report der Uno kam 2014 zu dem Schluss, dass das Regime "unaussprechliche Gräueltaten" gegen die eigene Bevölkerung verübt.

Weder bei den insgesamt drei Treffen zwischen Trump und Kim seit Juni 2018 noch bei den Gipfeln zwischen Südkoreas Präsident Moon Jae In und Kim, als sie über atomare Abrüstung und Frieden auf der koreanischen Halbinsel sprachen, wurden die Menschenrechte thematisiert. Das ist auch eine strategische Entscheidung - ausdrückliches Ziel ist es, sich erst einmal anzunähern. "Man muss Prioritäten setzen, damit der Dialog und die Beziehungen sich entwickeln", hat Südkoreas Außenministerin Kang Kyung Wha dieses Vorgehen erklärt.

Einige Menschenrechtler in Südkorea sind davon enttäuscht. Viele von ihnen sind Flüchtlinge aus Nordkorea und haben Hilfsorganisationen aufgebaut, so wie Ji Seong Ho, den Trump in seiner Rede erwähnte, und dessen Bruder Ji Chol Ho. Dieser sagt, er sei enttäuscht, dass die südkoreanische Regierung nichts für die Menschenrechte im Norden tue. "Aber ich habe noch Hoffnung, dass die USA sich bemühen, die Lage zu verbessern."

Andere sind deutlich kritischer. "Es kann keinen echten Frieden geben, wenn Menschenrechte ausgespart werden", meint der Uno-Sonderbeauftragte für Nordkorea, Tomás Ojea Quintana. Selbst die fundamentalsten Menschenrechte würden in dem kommunistischen Staat nicht respektiert - er meint damit vor allem jene Frauen, Männer und Kinder, die in ländlichen Regionen lebten: "Ihnen fehlt es an Zugang zu den grundlegendsten Dingen wie Essen, Wasser, hygienischen Einrichtungen."

Der Uno-Ermittler nennt die Situation in Nordkorea "alarmierend". Elf Millionen Menschen seien unterernährt, betonte er im Oktober - das ist fast die Hälfte der 25 Millionen zählenden Bevölkerung. Obwohl sich laut Unicef die Ernährung der Jüngsten verbessert hat, sind noch immer rund 140.000 Kinder unter fünf Jahren unter- oder mangelernährt. Rund 30.000 sind demnach "vom Tode bedroht".

Die Reis- und Maisernten fallen laut der Food and Agriculture Organisation in diesem Jahr wegen Dürreperioden, Hitze und Überflutungen in einigen Regionen schlecht aus. "Viele Familien überleben die meiste Zeit des Jahres mit Reis und Kimchi und essen nur sehr wenige Proteine", warnte Nicolas Bidault vom World Food Programme bereits im Mai. Kimchi ist eine traditionelle koreanische Beilage aus fermentiertem Chinakohl.

Doch es sind nicht nur die widrigen klimatischen Bedingungen, die die Lage verschlechtern. Es fehlt an landwirtschaftlichen Maschinen oder Ersatzteilen, es fehlt an Treibstoff und an Dünger.

Die Schuld sehen viele Beobachter beim Regime, das großzügig in die Entwicklung von Waffensystemen investiert und dabei das Wohlergehen der eigenen Bürger vernachlässigt. "Die wirtschaftlichen Ressourcen des Landes werden von den Grundbedürfnissen der Bevölkerung entkoppelt", kritisiert auch Uno-Ermittler Ojea Quintana. Eine kleine Elite rund um das Regime lebt erstaunlich gut in der Hauptstadt. Doch während Bilder um die Welt gehen, auf denen Diktator Kim neben Raketenwerfern posiert oder Luxuslimousinen durch Pjöngjang fahren lässt, leidet ein großer Teil der Bevölkerung bittere Not.

Wie zynisch Kim Jong Un bisweilen vorgeht, zeigt sich auch an einem Hilfsangebot aus Südkorea. Seit Juni stehen dort 50.000 Tonnen Reis bereit. Doch weil Südkorea zusammen mit den USA Militärübungen abgehalten hat, weigert sich die Führung in Pjöngjang, die Gabe anzunehmen. In der südkoreanischen Hauptstadt Seoul versucht man, geduldig zu bleiben. "Sie brauchen die Hilfe dringend. Wir hoffen, dass sie unsere Spende akzeptieren", heißt es aus Regierungskreisen.

Die Lage in Nordkorea sei schlecht, sagen Beobachter - warnen aber davor, von einer Hungersnot wie in den Neunzigerjahren zu sprechen.

Viele Menschen beziehen ihre Lebensmittel nicht mehr aus dem staatlichen Verteilsystem, das die Rationen Anfang dieses Jahres gekürzt hat, sondern von den Märkten, die unter Kim Jong Un weniger streng kontrolliert werden. "Die Märkte helfen den Menschen. Meist gibt es eine Person aus jeder Familie, die auf Märkten verkauft", sagt Kang Mi Jin, die für die Website "DailyNK" die wirtschaftliche Lage in Nordkorea beobachtet und analysiert. Viele Menschen würden zudem selbst Gemüse anbauen. Die Nordkoreaner versuchten, "auf eigene Faust Lösungen zu finden", so Kang. Auch mit den Sanktionen hätten sie zu leben gelernt.

Weil das Regime sein Atomwaffenprogramm weiterentwickelt, hat der Uno-Sicherheitsrat zahlreiche Strafmaßnahmen gegen Nordkorea verhängt. Die Wirtschaft des Landes leidet darunter, und das setzt Kim Jong Un unter Druck - aber wie sehr treffen die Sanktionen auch die Menschen und verfestigen ihre Armut?

Tatsächlich behinderten die Sanktionen die humanitäre Arbeit, kritisierte eine Gruppe von Uno-Experten im März. Nur begrenzt können beispielsweise Filter, Rohre oder Bohrer eingeführt werden, die wichtig sind, um Menschen mit sauberem Trinkwasser zu versorgen. Treibstoff unterliegt ebenfalls den Sanktionen, auch wenn Nordkorea versucht, sich illegal mit Sprit zu versorgen. Um die Not der Menschen zu lindern, haben mehrere Hilfsorganisationen in den vergangenen Monaten Ausnahmegenehmigungen erhalten. So bekam zuletzt eine deutsch-dänische NGO die Erlaubnis, unter anderem drei Reisdrescher und drei Maismühlen in das Land zu bringen.

Die Nordkoreaner bereiten sich nun auf den schneidenden Winter vor. Viele heizen laut Kang mit Kohle, Brennholz und Briketts. Ein Problem wird ihrer Ansicht nach sein, dass diese Materialien teurer werden könnten oder auf dem Markt nicht so gut zu erhalten sind.

Wenn der Flüchting Ji Chol Ho, der mit seinem Bruder aus Nordkorea floh, sich an die Winter in seiner Heimat erinnert, sagt er: "Jeder Tag ist ein Kampf. Wir mussten gegen das Hungern und die Kälte kämpfen. Wir hatten gar keine Zeit, über Politik nachzudenken. Der Winter bedeutete Kampf."

Im Winter frieren auch die Grenzflüsse im Norden nach China zu. Und die Mutigen und Verzweifelten machen sich wie Ji auf, über das Eis zu flüchten.

Quelle : spiegel.de


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