Denn im Schatten der Iran-Spannungen tobt auch in unmittelbarer Nachbarschaft der EU ein Konflikt, der Merkel und die Europäer fast genauso besorgt: “Libyen ist längst zu einem Ort für einen Stellvertreterkrieg geworden”, warnte Außenminister Heiko Maas am Dienstag in Brüssel vor Beratungen mit seinen EU-Kollegen. Denn in dem nordafrikanischen Land wird nun auch noch der von der Bundesregierung unternommene Vermittlungsversuch durch eine neue Offensive des Generals Chalifa Haftar und die Entsendung türkischer Truppen nach Libyen unterlaufen.
Seit dem Sturz von Machthaber Muammar Ghaddafi durch die Intervention der USA, Frankreichs und Großbritanniens im Jahr 2011 tobt in dem nordafrikanischen Land ein Bürgerkrieg zwischen Dutzenden von Milizen. Mittlerweile haben sich die meisten dieser Gruppen entweder der von den UN anerkannten Regierung des Vorsitzenden des Präsidialrates, Fajes al-Serradsch, in Tripolis oder General Haftar angeschlossen, der den Osten und Süden des Landes kontrolliert. Haftar wird von Russland, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt. Die Türkei wiederum hat begonnen, Soldaten nach Tripolis zu entsenden, um al-Serradsch zu stützen. “Die Entscheidung der Türkei treibt die Polarisierung im Land weiter voran”, warnt der außenpolitische Sprecher der SPD, Nils Schmid.
Um die militärische Aufrüstung der Milizen zu stoppen, hatte Merkel zusammen mit Außenminister Maas im vergangenen Jahr den sogenannten Berliner Prozess gestartet, der alle in Libyen involvierten ausländischen Staaten an einen Tisch bringen soll. Denn in Regierungskreisen und bei EU-Diplomaten wird darauf verwiesen, dass Libyen für die EU von strategischer Bedeutung sei: Durch das nordafrikanische Land kommen viele Migranten nach Europa. “Russland und die Türkei drohen immer mehr Einfluss auf die zentralen Migrationsrouten in die EU zu gewinnen”, sagte ein EU-Diplomat zur Begründung. Der Bürgerkrieg und der damit verbundene Waffenschmuggel sorgen zudem für eine Destabilisierung auch der angrenzenden Sahel-Zone.
Zudem geht es in Libyen um Öl und Gas - das zeigt die ganze Komplexität des Konflikts. So werden die Interessen französischer Firmen als ein Grund dafür angesehen, dass ausgerechnet der engste deutsche EU-Partner Frankreich lange General Haftar sogar militärisch unterstützte - während Italien sich früher auf die Seite al-Serradsch stellte. Die Türkei wiederum hat ein Abkommen mit der libyschen Regierung über Seegrenzen abgeschlossen, das auch im Streit um Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer eine Rolle spielt. Denn während Israel, Zypern und Griechenland Gas aus dem östlichen Mittelmeer in die EU pumpen wollen, beansprucht die Türkei selbst Gasvorkommen vor dem militärisch besetzten Nordzypern - was die EU nicht akzeptiert. Mit dem libysch-türkischen Abkommen hätte die Türkei ein Mittel in der Hand, eine israelische Gaspipeline durch das Seegebiet zu verhindern. Die libysche Regierung in Tripolis wiederum ist so schwach, dass sie im Gegenzug für militärischen Beistand Ankaras das umstrittene Seerechtsabkommen akzeptiert.
“NICHT LÄNGER HINNEHMEN”
Wolfram Lacher, Libyen-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), gibt der EU und den USA eine Mitschuld an der Entwicklung: “Erst die Inaktivität der Europäer und Amerikaner hat dafür gesorgt, dass Russland und die Türkei die zentralen Spieler in Libyen geworden sind.” Lacher sieht aber auch keine Abhilfe durch Merkels “Berliner Prozess”: “Solange kein westlicher Partner bereit ist, auf Haftar und die mit ihm verbündeten ausländischen Regierungen Druck auszuüben, wird es keine Lösung geben.” Auch Deutschland sei nicht willens, für Libyen Spannungen mit Ägypten oder den Vereinigten Arabischen Emiraten zu riskieren. Der außenpolitische Sprecher der FDP, Bijan Djir-Sarai, wirft der EU deshalb vor, “nur Zuschauer” zu sein. SWP-Experte Lacher warnt die Bundesregierung zudem vor weiteren Illusionen. “Wer glaubt, dass Haftar eine Machtteilung hinnehmen wird, der ist naiv”, sagt er zu den von Maas angekündigten Gesprächen mit beiden libyschen Konfliktparteien.
Was von der Ankündigung des Außenministers zu halten ist, die EU wolle “nicht länger hinnehmen”, dass in Libyen ein Stellvertreterkrieg ausgetragen werde, gilt deshalb als offen. SWP-Experte Lacher bezweifelt, dass sich die ausländischen Akteure “in die Pflicht für einen Waffenstillstand und ein Waffenembargo” nehmen ließen, wie der Außenminister am Dienstag in Brüssel das Ziel beschrieb. “Wahrscheinlicher ist, dass sich die wichtigsten Akteure Russland und Türkei untereinander verständigen, um ihre jeweiligen Interessen zu schützen.” Dazu wollen sich die Präsidenten Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan am Mittwoch treffen. Der außenpolitische Sprecher der CDU, Jürgen Hardt, setzt auf die Erkenntnis der beiden, dass am Ende keine Seite die Oberhand gewinnen könne.
Ein Vorbild für eine solche Entwicklung jenseits westlicher Vermittlungsbemühungen gibt es bereits: Auch im Norden Syriens hatten Russland und die Türkei sich trotz internationaler Proteste auf eine Sicherheitszone verständigt und damit Fakten im Kurdengebiet geschaffen. Wenn Merkel am Samstag nach Moskau reist, könnten deshalb zumindest im Libyen-Konflikt schon zuvor die wichtigsten Entscheidungen über die Zukunft des Landes getroffen worden sein.
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