Im Streit um das Atomabkommen mit dem Iran haben mehrere europäische Staaten, gemeinsam mit dem EU-Außenbeauftragten Josepp Borell, einen Streitschlichtungsmechanismus ausgelöst. Deutschland, Frankreich und Großbritannien sowie ihre europäischen Partner haben grundlegende gemeinsame sicherheitspolitische Interessen, heißt es in einer Erklärung der Außenminister der drei Staaten (auch als E3 bekannt). „Zu diesen gehört die Aufrechterhaltung des Nichtverbreitungsregimes und die Gewährleistung, dass Iran niemals Kernwaffen entwickelt“. Der Iran verletze zentrale Auflagen der Atomvereinbarung. Dies habe „immer schwerere und unumkehrbare Folgen im Hinblick auf die nukleare Nichtverbreitung“, so die Minister. „Das Argument, Iran sei berechtigt, die Nuklearvereinbarung in geringerem Maße einzuhalten als zuvor, akzeptieren wir nicht.“
„US-Präventivschläge oder iranische Atombombe“
Der Politikwissenschaftler und USA-Experte von der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“ (DGAP), Dr. Josef Braml, sieht wenig Hoffnungen in der Rettung des Iran-Abkommens und rechnet bereits „ohnehin mit einem Krieg“. Wer zu einer anderen Schlussfolgerung komme, „hat Wunschdenken“, sagt Braml gegenüber Sputnik und sieht seit der „Aufkündigung des Nukleardeals“ nur noch zwei Möglichkeiten: „Entweder die USA finden sich damit ab, dass der Iran eines Tages eine Atombombe haben könnte, oder sie tun das eben nicht und schlagen mit Präventivschlägen zu. Das heißt, alles, was der Iran jetzt macht, um die Nuklearoption voranzutreiben, wird Anlass für Amerika oder Israel sein zuzuschlagen.“
Instex ist tot! Lang lebe Instex!
Die EU habe ihre Verpflichtungen vollständig eingehalten, auch die darin vorgesehene Aufhebung von Sanktionen, beteuern die Außenminister in einer Erklärung.
„Zusätzlich zu der durch unsere vertraglichen Verpflichtungen vorgegebenen Aufhebung aller Sanktionen haben wir unermüdlich auf eine Förderung des legitimen Handels mit Iran hingearbeitet, auch durch die Zweckgesellschaft Instex (Instrument in Support of Trade Exchanges; zu Deutsch: Instrument zur Unterstützung von Handelsaktivitäten‘. Es ist eine im Jahr 2019 von der Europäischen Union gegründete Zweckgesellschaft in der französischen Rechtsform zum Tauschhandel mit dem Iran - Anm. d. Red.).“
Doch Europa habe hier nicht viel zu bieten, lautet die Einschätzung des DGAP-Experten Braml: „Wir sind von der Schutzmacht Amerika abhängig. Russland als Schutzmacht ist keine Option. Was sollen die Europäer großartig tun?“, fragt er. Die EU habe dagegengehalten, als Amerika den Nukleardeal einseitig aufgekündigt hat. „Doch sie konnte nicht einmal dem geoökonomischen Druck der USA etwas entgegensetzen. Die Amerikaner haben klipp und klar gesagt: Jedes Unternehmen, das Geschäfte in den USA, auf dem größeren US-Markt betreibt oder weltweit über den US-Dollar abrechnen will, soll sich gefälligst aus dem Iran herausnehmen. Damit war Instex tot. Nicht einmal das konnten die Europäer verhindern.“ Militärisch habe die EU nichts zu bieten. „Wenn man nichts zu bieten hat, soll man auch keine dicke Lippe riskieren“, warnt der Politologe.
Einseitige Forderungen?
Ob die europäischen Vertreter tatsächlich eine „dicke Lippe“ gegenüber den Vereinigten Staaten riskieren oder jemals riskiert haben, bleibt fraglich. Auch Bundesaußenminister Heiko Maas machte jedenfalls auf die „zunehmenden iranischen Verletzungen des Nuklearabkommens“ via Twitter aufmerksam. Diese könne Europa nicht länger unbeantwortet lassen, teilte der Minister am Dienstag in Berlin mit. Ziel des Streitschlichtungsmechanismus sei es, das Abkommen zu bewahren und zu einer diplomatischen Lösung innerhalb der Vereinbarung zu kommen. „Das werden wir gemeinsam mit allen Partnern des Abkommens angehen. Wir fordern Iran auf, sich konstruktiv an dem nun beginnenden Verhandlungsprozess zu beteiligen“, so Maas.
„RT Deutsch“-Journalist Florian Warweg zeigt sich über die einseitigen Schuldzuweisungen verwundert: „Liebes Auswärtige Amt, hilf mir auf die Sprünge: Wer hat Abkommen völkerrechtswidrig aufgekündigt? #USA Wer hat bisher nichts unternommen, um Abkommen #Iran zu retten? #EU.“
„Transatlantisches Europa“?
„Warum sollte Iran in den Schlichtungsverhandlungen Zugeständnisse machen?“, fragt der österreichische Politologe Prof. Dr. Gerhard Mangott von der Universität Insbruck. Für sinnvoller als den von den E3 vorgeschlagenen Streitschlichtungsmechanismus hält er die Einberufung des UN-Sicherheitsrates.
„Der entscheidende Punkt, den man benennen muss, und da haben die europäischen Politiker, auch Heiko Maas, bisher völlig versagt, ist, dass diese neue Eskalationsdynamik durch die USA, durch deren Kündigung des Atomabkommens mit dem Iran und die Verhängung neuer schwerer Sanktionen im Mai 2018 ausgelöst wurde. Diese Seite muss auch Teil des Narratives sein und nicht nur die Darstellung der amerikanischen Sicht. Die europäischen Staaten sind nicht in der Lage, das so zu formulieren, weil sie abhängig sind von den Vereinigten Staaten und Gefolgschaft zeigen müssen.“ Es gebe nun mal kein europäisches, sondern nur ein transatlantisches Europa, bemerkt Mangott im Sputnik-Interview.
Die EU, aber auch Russland und China hätten sich zunächst bemüht, das Abkommen am Leben zu erhalten. Auch der Iran habe mehr als ein Jahr lang große Zurückhaltung gezeigt und sich weiter an das Abkommen gehalten, obwohl die USA, entgegen dem Abkommen, neue, harte Sanktionen eingeführt hätten, erinnert sich der Außenpolitikexperte. „Erst nach einem Jahr, ab Mai 2019 begann der Iran stufenweise, alle 60 Tage, bestimmte Punkte des Vertrages nicht mehr zu erfüllen. Und die EU war nicht in der Lage, den extraterritorialen Sanktionsdrohungen der USA, die ja auch europäische Unternehmen betreffen, etwas entgegen zu setzen. Europa hat also dem Iran keine wirkliche Hilfe angeboten.“ So sei es verständlich, dass sich nun auch der Iran schrittweise aus dem Abkommen zurückzieht. Die Europäische Union gehe dabei entsprechend immer ein Stück weiter, die Schuld auf den Iran zu schieben, erklärt Mangott.
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