Im Untersuchungsausschuss zur Berateraffäre stehen entscheidende Wochen bevor: Am Donnerstag muss die ehemalige Staatssekretärin Katrin Suder als Zeugin aussagen. Übernächste Woche befragen die Abgeordneten Ex-Ministerin Ursula von der Leyen (CDU), die mittlerweile Chefin der EU-Kommission ist.
Unter Suder und von der Leyen entwickelte sich im Verteidigungsressort eine Art Buddy-System zwischen externen Beratern und hochrangigen Mitarbeitern, das den Rechnungshof auf den Plan rief, mehrere Disziplinarverfahren zur Folge hatte und bis heute für große Unruhe im Wehrressort sorgt. Dass Anfang 2019 schließlich ein Untersuchungsausschuss mit weitgehenden Kompetenzen im Bundestag eingesetzt wurde, hatte auch mit dem Verhalten der Ex-Staatssekretärin zu tun: Suder weigerte sich, zu einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses zu erscheinen, um sich den Fragen der Abgeordneten zu stellen.
Dabei war Suder selbst Ziel heftiger Vorwürfe: Die Managerin war 2014 von der Unternehmensberatung McKinsey ins Ministerium gekommen. Mehrere Berater, die sie aus ihrer Zeit bei McKinsey kannte, hatten freihändig vergebene Aufträge des Ministeriums erhalten, was den Verdacht der Vetternwirtschaft nahelegte.
Millionen für IT-Projekt
Vor der Sitzung am Donnerstag wird nun ein neuer Vorgang bekannt, der Suder in Erklärungsnot bringen könnte. Die entsprechenden Dokumente, eingestuft als Verschlusssache, hat der SPIEGEL in Zehntausenden Seiten von Akten gefunden, die das Verteidigungsministerium dem Untersuchungsausschuss zugestellt hat.
Am 7. März 2018 zeichnete Suder demnach eine Entscheidungsvorlage für ein Digitalprojekt im Verteidigungsministerium ab, an dem ihr Ex-Arbeitgeber McKinsey direkt beteiligt war. Es ging um die "Digitalisierung der Lagebilder". Mit dem IT-Projekt, das bis heute läuft, soll die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr besser erfasst werden.
Den digitalen Waffencheck ließ sich das Ministerium einiges kosten. Exakt 10,7 Millionen Euro sollte die Firma Orphoz, eine hundertprozentige Tochter von McKinsey, für die Begleitung des Projekts im Jahr 2018 bekommen. Für 2019 peilte das Dokument ein Budget von 9,7 Millionen Euro an.
Orphoz wurde Generalunternehmer des Projekts und holte zusätzlich die Beratungsfirma Strategy& dazu, die zum Firmennetzwerk von PricewaterhouseCoopers (PwC) gehört. Als Begründung für die Aufträge an teure externe Berater wurde angeführt, eigene Kapazitäten seien nicht vorhanden.
Dokument nährt Zweifel an früheren Aussagen Suders
Brisant ist das Dokument, weil es eine zentrale Behauptung Suders in der Affäre erschüttert. So hatte die frühere Top-Beraterin stets versichert, sie habe sich aus der Vergabe von Beratungsaufträgen strikt herausgehalten, um jede Art von Interessenkonflikt wegen ihres früheren Jobs zu vermeiden. Gegenüber Journalisten sprach Suder gern von "Chinese Walls", einer dicken Mauer zwischen ihr und ihrem alten Arbeitgeber McKinsey.
Auch als das Ministerium im Spätherbst 2018 wegen der vielen Unregelmäßigkeiten bei den Beraterverträgen Verwaltungsermittlungen eingeleitet hatte, gab Suder zu Protokoll: "Mir ist wichtig zu betonen, dass ich grundsätzlich nicht in Auswahlentscheidungen involviert war und mich auch grundsätzlich nicht in Auswahlentscheidungen involviert habe." Dies sei stets durch die Fachabteilungen erfolgt.
Angesichts des Dokuments wirkt die Aussage angreifbar. Suder müsste eigentlich klar gewesen sein, dass sie mit ihrer elektronischen Unterschrift der Tochterfirma ihres früheren Arbeitsgebers McKinsey einen Auftrag verschafft. Im September des Vorjahrs war das Projekt bereits bei einem Tischgespräch mit ihr diskutiert worden. Dass dabei der Name Orphoz nicht gefallen sein soll, scheint zumindest unwahrscheinlich.
Auf Anfrage bestritt Suder, in die Auswahl von Orphoz oder PwC eingebunden gewesen zu sein. Der Vorgang habe die "Hausspitze des Bundesverteidigungsministeriums erst nach Endverhandlung des Vertrages mit den Dienstleistern" erreicht, ließ sie über ihre Anwältin ausrichten. Ihre Zeichnung habe einen "haushaltsrechtlichen Hintergrund" gehabt.
Name der McKinsey-Tochterfirma durch unverdächtige Formulierung ersetzt
Im Ministerium jedenfalls schienen die Beamten das Problem erkannt zu haben, bevor die Vorlage überhaupt an Suder ging. So findet sich in den Akten des Ausschusses neben der gezeichneten Entscheidungsvorlage auch ein früherer Entwurf des Papiers. In diesem Dokument, das dem SPIEGEL vorliegt, wird die McKinsey-Tochter Orphoz als Auftragnehmer explizit benannt.
In der finalen Version indes wurde der Name der Firma durch die unverdächtige Formulierung ersetzt, die Vergabe erfolge an einen "externen Dienstleister". Die Abgeordneten des Ausschusses werden Suder die entsprechenden Dokumente am Donnerstag vorhalten.
Für den Grünen-Haushälter Tobias Lindner bestehen angesichts der Dokumente „erhebliche Zweifel an der bisherigen Darstellung“ der Ex-Staatssekretärin. „Es ist fragwürdig, ob sich Katrin Suder tatsächlich von Vergaben an McKinsey und deren Töchterunternehmen komplett fern gehalten hat."
Wenige Wochen nach der Unterzeichnung der Vorlage, im März 2018, verließ Suder das Verteidigungsministerium überraschend, dem Vernehmen nach aus privaten Gründen. Später wurde bekannt, dass zu diesem Zeitpunkt schon konkrete Hinweise auf Unregelmäßigkeiten bei der Auftragsvergabe an externe Berater im Haus kursierten. Wirklich geschadet hat der Ex-Staatssekretärin die Berateraffäre jedoch nicht. Nach ihrem Abschied aus dem Wehrressort wurde sie Vorsitzende des Digitalrats der Bundesregierung, der im Kanzleramt angesiedelt ist. Mit ihrer Ehefrau gründete sie im November 2018 eine Firma für "Management- und Projektberatung" in Hamburg.
spiegel
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