Während Sturmtief "Sabine" sich am Sonntagabend daran machte, Deutschland auf den Kopf zu stellen, hatte die AfD das schon längst geschafft. Nach dem Thüringen-Beben vibrierten die Tassen in den Schränken von CDU und FDP noch immer, wie bei Anne Will zu beobachten war. Wirtschaftsminister Peter Altmaier sprach kleinlaut von einer Blamage für seine Partei, AfD-Fraktionschefin Alice Weidel vermied eine Distanzierung von Björn Höcke - und überdies wurde deutlich, wie groß das Problem der CDU ist.
Darüber wollte Anne Will reden - und CDU-Mann Altmaier hatte sich offenbar vorgenommen, erstmal ganz reumütig aufzutreten: "Das war eine Blamage für viele, auch für viele in meiner Partei", sagte er und schob damit ganz sachte den Schwarzen Peter Richtung Thüringer CDU. "Ich glaube, wir werden lange brauchen, diesen Vertrauensverlust wiedergutzumachen." Es dürfe keine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der AfD geben, und das Zünglein an der Waage dürfe diese auch niemals werden. Denn: "Die AfD ist nicht irgendeine Partei." Später präzisierte er das: Sie dulde rechtsextremes Gedankengut in ihren Reihen.
FDP-Vize Wolfgang Kubicki hatte das gleich nach der Wahl nicht so eng gesehen. Auf Twitter gratulierte er seinem Parteifreund Thomas Kemmerich zur Wahl, feierte den Sieg für die "bürgerliche Mitte" - dass die entscheidenden Stimmen von der AfD kamen, schien ihn nicht weiter zu kümmern. Ähnlich hatte sich auch Parteichef Christian Lindner geäußert. Nun saß Kubicki ein wenig zerknirscht in der Runde. Seinen Tweet verteidigte er als natürliche Reaktion, nachdem seine Partei einen Wahlsieg errungen habe. Er selbst hätte die Wahl aber wohl nicht angenommen, behauptete er, weil er "mental stärker" sei als Kemmerich.
Weidel findet es "unglaublich"
Kubicki stellte den Vorgang so dar, als ob Kemmerich selbst überrascht vom Wahlausgang gewesen sei. Er habe mit seiner Kandidatur nur dokumentieren wollen, dass es neben Ramelow und dem chancenlosen Kandidaten der AfD auch noch einen Mann der Mitte gegeben habe. Die "Spiegel"-Journalistin Melanie Amann und SPD-Hoffnung Kevin Kühnert wiesen ihm aber nach, dass so ziemlich jeder Insider wusste, dass ein Ausgang wie der am Mittwoch möglich war. "Kemmerich hatte fünf Minuten Zeit, seinen Anstand zusammenzukratzen und die Wahl nicht anzunehmen", sagte Kühnert. Stattdessen habe er 70 Jahre bundesrepublikanischen Konsens über Bord geworfen, dass man nicht mit Rechten zusammenarbeite. "Eine Wahl durch die Stimmen der AfD ist inakzeptabel und muss inakzeptabel sein", sagte er.
"Unglaublich", entfuhr es Alice Weidel. Bizarr wurde es, als die AfD-Vertreterin begann, leidenschaftlich Kemmerich zu verteidigen. Der sei ein Unternehmer der bürgerlichen Mitte, da sei es doch ganz klar, dass die AfD ihn gewählt habe. Ob sie die FDP nicht immer als "Altpartei" bezeichnet habe, hatte Will zuvor gefragt und wollte wissen, wie das nun zusammenpasse. Der wie üblich hellwache Kühnert war auch hier zur Stelle: "Sie geben hier ja eine Wahlempfehlung für die FDP ab, da braucht man ja gar nicht mehr AfD zu wählen!"
"Unglaublich" fand Weidel auch, dass Linken-Vertreterin Sahra Wagenknecht Höcke als "Nazi" bezeichnete. Das wusste sie auch zu begründen: Der habe gesagt, Hitler als das absolut Böse zu betrachten, sei falsch, Judentum und Christentum seien für ihn ein Antagonismus und dann folgte noch die Forderung nach einer "erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad" - dass Höcke zumindest keine Berührungsängste mit Neonazis hat, zeigte sich etwa 2018 in Chemnitz, als er mit Angehörigen der rechten Szene, den dort von einem Iraker und einem Syrer getöteten Mann betrauerte. Außerdem hat ein Gericht erlaubt, Höcke als "Faschisten" zu bezeichnen.
Altmaier mit schwerem Stand
Und Weidel? Sie meinte, AfD-Mitglieder als Nazis zu bezeichen, sei altkommunistisch und altstalinistisch, wo jeder Andersdenkender so bezeichnet worden sei. "Halten wir fest, Frau Weidel distanziert sich nicht von Höcke", hielt Journalistin Amann fest. Kühnert rief in Erinnerung, dass Weidel einst den Thüringer AfD-Vorsitzenden aus der Partei hatte werfen wollen. "Dann haben Sie gemerkt, dass es Ihnen dann wie Frauke Petry gehen könnte und sind eingeknickt!"
Altmaier hatte einen schweren Stand, als er die Rolle der CDU in dem ganzen Schlamassel erklären sollte. Will fragte, ob die Vorgabe, weder mit Linken noch mit AfD zusammenzuarbeiten, nicht ein Fehler war. Denn die Thüringer Fraktion fand die Vorstellung, Ramelow ins Amt zu helfen offenbar abstoßender als gemeinsam mit der AfD Tatsachen zu schaffen. Dass es Parteichefin Kramp-Karrenbauer nicht gelungen war, die Parteifreunde weder im Vorfeld noch im Nachhinein auf ihre Linie zu bringen, lässt Führungsstärke vermissen.
Amann diagnostizierte gar ein "Führungsvakuum". Die CDU leide an einem Grundkonflikt: Auf der einen Seite Merkel-Anhänger die ihren Kurs Richtung links mittrügen, auf der anderen Seite jene, die das nur als Verirrung ansehen und auf eine Rückkehr zu altem konservativem Profil anstrebten. Dieser Konflikt werde immer wieder aufbrechen. Amann: "Es kann sein, dass wir bei der nächsten Wahl nur noch die rauchenden Ruinen der CDU sehen, weil niemand diese Pole versöhnen kann."
Quelle: ntv.de
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