EZB prüft in Zeiten des Immobilienbooms die Inflationsmessung

  10 Februar 2020    Gelesen: 812
EZB prüft in Zeiten des Immobilienbooms die Inflationsmessung

Frankfurt (Reuters) - Die Preise für Wohnimmobilien schießen durch die Decke, doch die gemessene Inflation kommt kaum vom Fleck.

Inzwischen ist bei der Europäischen Zentralbank (EZB) die Debatte voll im Gange, ob bei der Messung der Teuerungsrate nicht womöglich die Kosten für das Wohnen stärker erfasst werden sollten. Mehrere Währungshüter sind mit Überlegungen vorgeprescht, selbst genutztes Wohneigentum bei der monatlichen Berechnung des Verbraucherpreisindex zu berücksichtigen. Denn im Unterschied zu anderen Währungsräumen ist dieses nicht im Warenkorb des Europäischen Statistikamts Eurostat enthalten. Bislang werden dort lediglich Mieten mit einem Gewicht von 6,5 Prozent erfasst. Bei vielen Haushalten machen jedoch die Kosten für das Wohnen mehr als ein Drittel des verfügbaren Monatseinkommens aus.

Die EZB ist sich dieses Problems bewusst. “Wenn man irgendjemand fragt - die Familie, Freunde, und darüber hinaus - 6,5 Prozent sind eher niedrig, gelinde gesagt”, räumte EZB-Präsidentin Christine Lagarde im EU-Parlament ein. Die Notenbank müsse aber beachten, was die Menschen als ihre Kostenstruktur ansähen. “Und wenn die Kosten für das Wohnen so wenig repräsentieren, müssen wir fragen und uns wundern, ob das berechtigt ist oder nicht.” Aus Sicht von EZB-Direktor Yves Mersch gibt es womöglich eine erhebliche Kluft zwischen dem, was die Haushalte als Anstieg ihrer Lebenshaltungskosten wahrnehmen und dem, was die Inflationsrate tatsächlich an Preisanstieg misst.

EINE FRAGE DER SPIELREGELN

Für die Währungshüter zeichnet sich allerdings keine einfache Lösung ab. EZB-Chefin Lagarde gab unlängst den Startschuss für eine umfassende Überprüfung der Strategie der Notenbank. Im Zentrum steht das Inflationsziel von “unter, aber nahe zwei Prozent” - die wichtigste Richtschnur für die Bewahrung der Geldwertstabilität. Dieses verfehlt sie aber seit Jahren. Und die aus ihrer Sicht schwache Inflation war stets eines der Hauptargumente der EZB für immer tiefere Leitzinsen und die Auflage billionenschwerer Anleihenkäufe. Würde nach einer stärkeren Erfassung der Kosten für das Wohnen die gemessene Inflation plötzlich hochschnellen, könnte dies der Politik der weit offenen Geldschleusen zentrale Argumente entziehen.

Laut Lagarde könnte der Notenbank dann außerdem vorgeworfen werfen, sie habe einfach ihre Spielregeln geändert. In den Augen vieler Experten könnte sogar der Eindruck entstehen, die EZB habe sich nach Jahren, in denen sie dem Inflationsziel vergeblich hinterherjagte, stillschweigend davon verabschiedet. Ihre Glaubwürdigkeit an den Finanzmärkten wäre angekratzt. “Sie muss den Anschein vermeiden, als würde sie kapitulieren, wenn sie das Ziel nicht erreicht”, so ZEW-Experte Friedrich Heinemann.

EZB-Direktor Mersch hält es für möglich, dass in einigen Zeitperioden die gemessene Inflationsrate um 0,2 bis 0,5 Prozentpunkte höher ausfallen könnte, wenn die Kosten für selbst genutztes Wohneigentum erfasst würden. Das ist nicht wenig: Als die EZB im September 2019 ihr auch intern umstrittenes Maßnahmenpaket zur eneuten Lockerung der Geldpolitik beschloss, lag die Teuerung bei 0,8 Prozent. Ob die Euro-Wächter bei 1,0 bis 1,3 Prozent Inflation ähnlich tief in ihren Instrumentenkoffer gegriffen hätten, ist zumindest fraglich.

TECHNISCHE PROBLEME

Laut EZB-Chefvolkswirt Philip Lane müssen bei selbst genutztem Wohneigentum zwei Aspekte geklärt werden. Da ist einmal der Verbrauchsaspekt, bei dem die konkreten Kosten für das Wohneigentum berücksichtigt werden. Daneben ist der Kauf der eigenen vier Wände aber zum Teil auch eine Investition in ein Anlageobjekt. Und als Anlage sollte selbst genutztes Wohneigentum Lane zufolge nicht in den Inflationsindex einfließen.

Hinzu kommen technische Probleme. Commerzbank-Volkswirt Ralph Solveen weist drauf hin, dass zwar Eurostat auch einen Preisindex für selbstgenutztes Wohneigentum berechnet. Die Immobilienpreise, die diesen Index stark beeinflussen, sind jedoch erst einige Monate später zur Hand als der Verbraucherpreisindex zur Messung der Inflation. “Damit ständen die Inflationsdaten entweder erst später zur Verfügung oder würden nachträglich spürbar revidiert.” So lägen derzeit erst Immobilienpreise für das dritte Quartal vor, während bereits eine Inflationsrate für Januar veröffentlicht worden sei.

Die EU-Kommission, die bei einer Neufassung der Inflationsmessung ein wichtiges Wort mitzusprechen hätte, war den Problemen 2018 in einem Bericht im Detail nachgegangen. Aus ihrer Sicht darf eine Einbeziehung von Daten für das selbstgenutzte Wohneigentum die Qualität der Inflationsmessung nicht negativ beeinflussen. Doch genau dies wäre ihr zufolge der Fall. Die Datenqualität würde sinken. Denn es sei nicht machbar, solche Messdaten zum Wohneigentum jeden Monat und mit einer solchen Aktualität bereitzustellen, die dem Standard der Verbraucherpreis-Messung entspricht. Die Investmentbank Morgan Stanley rechnet auch aus diesem Grund nicht mit schnellen Lösungen: “Die Erfahrung legt nahe, dass vor einer Einbeziehung noch Jahre an weiteren technischen Arbeiten erforderlich sind.”


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