Der Westen und die Krisen in der Welt – Ischinger bedauert „Versagen“

  11 Februar 2020    Gelesen: 390
 Der Westen und die Krisen in der Welt – Ischinger bedauert  „Versagen“

Die Welt wird immer weniger westlich und die Zahl der Krisen nimmt zu. Das hat der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, am Montag in Berlin erklärt. Er hat über die Tagung am kommenden Wochenende informiert. Die Friedensbewegung hat wie in den letzten Jahren Proteste gegen die Tagung angekündigt.

Die Welt ist gefährlicher geworden, mit „mehr schlimmen Krisen“ und „grauenhaften Vorgängen“. So sieht es der Vorsitzende der Münchner Sicherheitskonferenz (MSK), Wolfgang Ischinger. Zugleich werde der Westen „weniger westlich“ und die Welt „insgesamt weniger westlich“, sagte der Ex-Diplomat auf einer Pressekonferenz in Berlin.

Darüber solle während der 56. Auflage der Konferenz in der bayrischen Hauptstadt ab dem 14. Februar drei Tage lang diskutiert werden, kündigte Ischinger an. Es gehe um die Folgen für die Sicherheitspolitik des Westens, vor allem die der Europäischen Union (EU). In der Pressekonferenz stellte er auch den neuen „Münchner Sicherheitsreport“ vor, eine Analyse der internationalen Lage, die seit einigen Jahren zur MSK veröffentlicht wird.

Ischinger ging diesmal nicht auf einzelne reale oder vermeintliche Gefahren für den Westen ein, wie in den Vorjahren etwa China oder Russland. Dafür warf er der westlichen Politik „unverzeihliches Versagen“ im Fall Syrien vor. Damit meinte er nicht etwa die jahrelange westliche Unterstützung für verschiedene Regierungsgegner in dem kriegsgeschundene Land.

Warum Ischinger schlecht wird
Seine Aussage „Da wird mir schlecht“ bezog er stattdessen auf die aktuelle Lage in der syrischen Region Idlib. Dort kämpft die syrische Armee mit russischer Unterstützung weiter gegen islamistische Verbände, die nicht aufgeben wollen und von der Türkei unterstützt werden. Ischinger bezog das auch auf die nicht umgesetzten Beschlüsse der jüngsten Libyen-Konferenz. Er wolle dafür sorgen, dass die dafür Verantwortlichen am Wochenende in München „Rede und Antwort“ stehen müssen.

Die Rolle des Westens in Libyen seit 2011 kam beim „tief aufgewühlten“ MSK-Chef ebenso nicht zur Sprache wie der von westlichen Verbündeten geführte völkerrechtswidrige Krieg im Jemen. Sicher hat das damit zu tun, dass eine Reihe der hochrangigen Teilnehmenden der MSK auch in diesem Jahr zu jenen gehören, die für solche Konflikte und Kriege verantwortlich sind –  und auch daran verdienen.

Ischinger will mit ihnen bereden, „was getan werden muss“. Das sei „wichtiger und umfänglicher als das, was getan worden ist“. „Wir haben einen riesigen, ungedeckten Bedarf an Krisenbewältigung, Krisenmanagement und Krisenverhütung.“ Zur Krisendiplomatie gehört für ihn auch der Einsatz militärischer Mittel, gestand er gegen Ende der Pressekonferenz auf eine Frage ein. Die Konfliktparteien müssten notfalls mit Waffengewalt an den Verhandlungstisch gezwungen werden, betonte er.

„Stattliche Delegation aus den USA“
Der MSK-Chef freute sich über viele hochrangige Politiker unter den rund 800 Teilnehmenden, die nach München kommen. Neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der die Konferenz am Freitag eröffnen soll, gehört dazu Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. Dieser soll am Samstag auftreten, ebenso wie einige aus der „stattlichen Delegation“ aus den USA. Die werde von  US-Außenminister Mike Pompeo, Verteidigungsminister Mark Esper und Energieminister Dan Brouillette angeführt.

Zu den hochrangigen US-Parlamentariern auf der MSK wird laut Ischinger Nancy Pelosi von der Demokratischen Partei zählen. Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses ist eine ausgewiesene Gegnerin von US-Präsident Donald Trump. Zur US-Delegation gehöre gleichfalls Senator Mitt Rommney von den Republikanern.

Ischinger betonte, dass er beide Seiten der US-amerikanischen Politik einlade. Im vergangenen Jahr sei ihm aus der Trump-Administration vorgeworfen worden, er sei einseitig. Anlass dafür war der Auftritt von Ex-US-Vizepräsident Joe Biden von den Demokraten. Er habe sich „persönlich beleidigt gefühlt“, sagte der MSK-Vorsitzende als bekennender Transatlantiker.

Russische Politiker und ukrainischer Präsident
Zu Russland und russischen Teilnehmenden äußerte er sich diesmal erst auf Nachfrage. Auf die vermeintliche russische Gefahr, mit der das derzeit große US-Manöver „Defender Europe 2020“ begründet wird, ging er anders als in den letzten Jahren nicht ein. Ischinger kündigte an, dass Russlands Außenminister Sergej Lawrow wieder nach München komme.

Das hätten auch der Duma-Parlamentarier und Außenpolitiker Alexej Puschkow sowie Sergej Kisljak, ex-Botschafter in den USA und heute Mitglied im russischen Föderationsrat neben anderen Parlamentariern und Wirtschaftsvertretern zugesagt. Deutsche und russische Vertreter aus Politik und Wirtschaft würden am zweiten Tag wieder zum „Deutsch-Russischen Frühstück“ im „Bayrischen Hof“, dem MSK-Tagungsort, zusammenkommen. Neben Lawrow werde sein bundesdeutscher Amtskollege Heiko Maas daran teilnehmen.

Es sei unklar, ob es am Rande der MSK zu Gesprächen über die Ukraine im „Normandie-Format“ komme, sagte Ischinger. Sicher sei, dass der neue ukrainische Präsident Wladimir Selenski nach München komme und sprechen werde. Vor zwei Jahren wurde sein Vorgänger, Petro Poroschenko, auf der MSK-Bühne als „eine der führenden Figuren nicht nur in seinem Land, sondern auch, wenn es um die globale Sicherheit und Wirtschaft geht“, angekündigt. Mal schauen, wie es Selenski ergeht und was er zu sagen hat.

„Warum sind wir eigentlich so unfähig?“
MSK-Chef Ischinger äußerte sich auf der Pressekonferenz ebenso enttäuscht, dass die EU ihre politischen Möglichkeiten weltweit nicht nutzen würde. Sie könne in vielen Krisen „nicht die Handlungsfähigkeit zeigen, wie sie eigentlich müsste“. Der Ex-Diplomat findet das bedauerlich angesichts von rund 500 Millionen Menschen in der EU und der Tatsache, dass diese der „größte Wirtschaftsblock“ in der Welt sei. „Wieso sind wir eigentlich so unfähig“, fragte Ischinger rhetorisch.

Er bekannte sich ausdrücklich zu den transatlantischen Beziehungen und kritisierte die bundesdeutsche Politik. Die würde das 2014 auf dem Nato-Gipfel in Wales mitübernommene Ziel von zwei Prozent des Bruttoninlandsproduktes (BIP) für Rüstung nicht ernsthaft anstreben. „Das ist nicht toll“, kommentierte der MSK-Chef. Und forderte, nicht nur von mehr Verantwortung weltweit zu reden, sondern solche gemeinsam mit den EU- und Nato-Partnern zu zeigen.

Eine solche Verantwortung hatte auf der MSK 2014 der damalige Bundespräsident Joachim Gauck gefordert. Das hatte vor sechs Jahren nicht nur Ursula von der Leyen als Bundesverteidigungsministerin unterstützt. Sie wird nun laut Ischinger als EU-Kommissionspräsidentin wieder dabei sein. Bundespräsident Steinmeier stimmte damals als Bundesaußenminister ebenfalls zu. So bleibt abzuwarten, was er am Freitag sagt, wenn er die MSK eröffnet.

Internationale Prominenz und Proteste der Friedensbewegung
Etwa 40 Staats- und Regierungschefs werden unter den mehr als 800 Teilnehmenden der diesjährigen Münchner Sicherheitskonferenz (MSK) erwartet: Neben Bundespräsident Steinmeier, Frankreichs Präsident Macron, Präsident Selenski unter anderem der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte und der kanadische Ministerpräsident Justin Trudeau. Zu den etwa 100 angekündigten Ministern aus verschiedenen Ländern zählen der russische Außenminister Lawrow, sein US-Amtskollege Mike Pompeo und der iranische Außenminister Mohammed Sarif sowie Chinas Außenminister Wang Li.

Die Münchner Sicherheitskonferenz gilt als das weltweit führende Forum für Debatten zu internationaler Sicherheitspolitik. Sie wurde 1963 unter dem Namen „Internationale Wehrkunde-Begegnung"“ gegründet. In den ersten Jahrzehnten trafen sich dort vor allem die bundesdeutschen Teilnehmer mit Vertretern aus den wichtigsten verbündeten Staaten, aus den Vereinigten Staaten und aus anderen Mitgliedsstaaten der Nato. Deshalb wurde die Konferenz oftmals auch "transatlantisches Familientreffen" genannt.

Sie wurde von Anfang an von Protesten der Friedensbewegung begleitet. Sie kritisiert auch in diesem Jahr die MSK als Treffen von „Staats- und Regierungschefs mit Vertretern von Großkonzernen und der Rüstungsindustrie, mit Militärs, Geheimdiensten und Politikern“. Im Aufruf zu den Protesten am kommenden Wochenende heißt es: „Wenn sie von Sicherheit reden, geht es nicht – wie Konferenzleiter Wolfgang Ischinger behauptet – um die ‚friedliche Lösung von Konflikten‘, nicht um die Sicherheit der Menschen hier und nicht um die Sicherheit der Menschen anderswo auf der Welt, sondern um die Vormachtstellung des Westens mit seinem kapitalistischen Wirtschaftssystem, das auf der Ausbeutung von Mensch und Natur basiert.“

Das „Aktionsbündnis gegen die Nato-‘Sicherheitskonferenz‘“ ruft zu einer Demonstration am Samstag, dem 15. Februar, ab 13 Uhr durch die Münchner Innenstadt auf. Dabei soll der MSK-Tagungsort symbolisch „abgeriegelt“ werden. 

sputniknews


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