Wie sich der Iran-Atomdeal retten lässt - Kommentar

  14 Februar 2020    Gelesen: 996
 Wie sich der Iran-Atomdeal retten lässt -  Kommentar

Im Konflikt zwischen der Trump-Regierung und dem Iran versuchen die Europäer zu deeskalieren.

Der Befund ist brisant: Maßgebliche Unterzeichnerstaaten des Atomabkommens mit dem Iran von 2015 (Joint Comprehensive Plan of Action, JCPOA) drehen an der Eskalationsschraube: die Iraner durch ihre kalkulierten Vertragsverstöße; Deutschland, Frankreich und Großbritannien, die E3 – vorübergehend – durch ihre höchst riskante Initiative vom Jänner, den im Abkommen vorgesehenen Streitschlichtungsmechanismus in Gang zu setzen. Der Vertrauensschwund zwischen den drei Europäern und Teheran ist überdeutlich; dahin ist ihre glaubwürdige Vermittlerrolle gegenüber den USA genauso wie gesichtswahrende Initiativen mit Blick auf ein vielleicht doch gesprächsbereites Teheran.

Die Erwartungen Irans an die Europäer unter den Bedingungen der Trump-Administration sind strukturell nicht erfüllbar, dass also die E3 im Rahmen des JCPOA-Tauschgeschäfts kaum Wege finden werden, wie Teheran unter Umgehung der US-Sanktionen sein Öl verkaufen kann. Die Europäer versuchten Anfang Februar zu deeskalieren. Sie setzten den Mechanismus, der höchstwahrscheinlich zum UN-Sicherheitsrat und damit zu umfassenden Sanktionen geführt hätte, aus. Dafür lassen die Iraner die Kontrollen und Inspektionen der Internationalen Atomenergiebehörde weiterhin uneingeschränkt zu. An diesem Faden hängt das Abkommen derzeit. Beide Seiten haben in den Abgrund geschaut – und sind vor den selbst angedrohten Maßnahmen zurückgeschreckt. Aber sieht so Konfliktmanagement aus? Ein kühl kalkuliertes Vorgehen kann man den E3 nicht zubilligen. Die Korrektur- und Warnfunktion der "Neuen 3" wäre dringend geboten.

Frische Ideen

Viel steht auf dem Spiel. Neue Akteure und ein erweitertes Gesprächsformat könnten das Abkommen in seiner Substanz erhalten. Die in Sachen JCPOA unbelasteten Staaten Schweiz, Österreich und Finnland sind erfahrene, glaubwürdige und ehrliche Makler. Diese Neuen 3 sind auch Europa, im Falle der Schweiz, die zwischen Washington und Teheran ohnehin die US-Interessen im Iran vertritt, jenseits der EU. Ihre politische Größe liegt in ihrem kleineren Format. Trump wird sie, anders als Berlin, Paris und London, nicht als Konkurrenten wahrnehmen.

Die Neuen 3 sind dabei weder dazu da, die Defizite der drei europäischen JCPOA-Unterzeichner "auszuputzen" noch eine Nebenaußenpolitik durchzuführen. Den Schwung des neuen EU-Außenbeauftragten Josep Borrell gilt es koordiniert mit frischen Ideen zu bereichern. Alle eint, dass sie verstärkten Anfeindungen aus Washington entgegenstehen. Insgesamt muss die europäische Basis sichtbar gestärkt und erweitert werden. Die Neuen 3 werden nur dann auf offene Ohren stoßen, wenn sie – bei allen offensichtlichen Grenzen – einen erkennbaren Mehrwert zu bieten haben.

Vertrackte Lage

Bern, Wien und Helsinki könnten auch als vertrauensbildende und gesichtswahrende Relaisstation zwischen den Unterzeichnern des JCPOA fungieren. Sie könnten zum geeigneten Zeitpunkt gebeten werden, einen Gesprächsrahmen an einem Ort für offizielle Kontakte zwischen den Hauptkontrahenten bereitzustellen. Diese Funktion, die bei den vorbereitenden vertraulichen Gesprächen des JCPOA 2011 der Oman innehatte, kann in der gegenwärtig vertrackten Lage nicht überschätzt werden.

Für die inhaltliche Erweiterung des Gesprächsformats liegen zwei Themen nahe: Erstens ist das JCPOA mit all seinen beispiellosen Auflagen im Nuklearbereich eine atomwaffenfreie Zone für den Iran. Auf der bevorstehenden Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (NPT) in New York im April/Mai 2020 wäre es ein Sprung nach vorn, wenn das JCPOA mithilfe der Iraner zum Modell für die Gespräche über die seit Jahrzehnten ergebnislos angestrebte nuklearwaffenfreie Zone in der gesamten Region würde.

Erweitertes Format

Zweitens könnten die Neuen 3 eine Pionierrolle in der Raketenfrage für einen innovativen Weg einnehmen, der Gesprächsanreize für Teheran enthält, und zwar im Sinne eines Ausgleichs für den von Europa nicht geleisteten Beitrag im Rahmen des JCPOA. Der Iran wird über kurz oder lang allein wegen der Forderungen Washingtons nicht darum herumkommen, seine Raketenprogramme in zukünftige Gespräche einzubeziehen. Die Vorschläge aus Europa lassen aber ein Verständnis für die historisch bedingte zentrale Rolle der ballistischen Raketen in der Militärstrategie des Iran vermissen. Das Raketenarsenal Teherans kann zudem nicht isoliert von den Kräftekonstellationen und -dynamiken in der Region gesehen werden. Hier kommen über die militärische Präsenz der USA hinaus die Arsenale von Irans Hauptgegnern Saudi-Arabien und Israel ins Spiel.

Daher liegt es nahe, vom Fokus ausschließlich auf die Kapazitäten des Iran in diesem Bereich abzusehen und einen regionalen Ansatz zu verfolgen, der vor allem die Kapazitäten dieser beiden Hauptgegner einbezieht – und den Kreis der Akteure damit vergrößert (Irans Verbündeter Syrien sollte ebenfalls dazugehören). Damit ist das Gesprächsformat nicht nur thematisch, sondern auch um die wichtigen regionalen Akteure erweitert. Kurzum, neue Akteure und ein neuer Rahmen – nichts sollte unversucht bleiben, um den Atomdeal mit dem Iran zu retten. 

derstandard.de


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