Fehlschlag mit Ansage - EU-Haushaltsgipfel

  22 Februar 2020    Gelesen: 539
  Fehlschlag mit Ansage - EU-Haushaltsgipfel

Es war ein erster Versuch, und er ging gründlich schief: Die EU-Staaten konnten sich trotz eines Gipfel-Marathons nicht auf einen Haushalt einigen. Jetzt droht die Zeit knapp zu werden.

Dafür, dass sie gerade 28 Stunden mit ergebnislosen Verhandlungen verbracht hat, wirkt Angela Merkel ziemlich gut gelaunt. "Wenn wir uns eines Tages mal geeinigt haben, dann bin ich gesprächiger", verspricht die Kanzlerin im Brüsseler EU-Ratsgebäude. Viel zu berichten hatte sie tatsächlich nicht, zumindest nicht an Ergebnissen: Der Sondergipfel zum nächsten Sieben-Jahres-Haushalt der EU ist krachend gescheitert. "Die Differenzen waren einfach zu groß", lautet Merkels Bilanz. "Viel Arbeit" sei noch zu leisten, bis man sich auf einen Etat einigen könne.

Traditionell wird in Brüssel über nichts härter verhandelt als über den Sieben-Jahres-Haushalt, im EU-Jargon auch Mehrjähriger Finanzrahmen (MFR) genannt. Das ist durchaus verständlich: Es geht nicht nur um mehr als eine Billion Euro, sondern auch darum, wofür das Geld ausgegeben wird - für die Landwirtschaft und Strukturhilfen, für Digitales und den Klimaschutz. Und dieses Mal macht der Austritt des Nettozahlers Großbritannien alles noch schlimmer; er hinterlässt ein 10 bis 12 Milliarden Euro großes Loch im Haushalt - pro Jahr.

Schon am Donnerstag ist schnell klar, dass es schwierig wird mit der Gipfel-Einigung. Merkel verabschiedet sich bereits um 22 Uhr ins Hotel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron taucht eine Stunde später in der Brasserie "L‘Esprit de Sel" unweit des Brüsseler Ratsgebäudes auf. Wer das Restaurant zu betreten versucht, wird von einem Personenschützer mit einem freundlichen "non, Monsieur", unzweideutiger Körpersprache und jovialem Lächeln abgewiesen. Das Signal von Kanzlerin und Präsident ist klar: Das wird heute nichts mehr.

EU-Ratspräsident Charles Michel, der Gastgeber des Gipfels, holt derweil einen Regierungschef nach dem anderen in den Beichtstuhl, wie die Einzelgespräche im EU-Sprech heißen, bis sieben Uhr am frühen Freitag geht es. Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel beispielsweise muss um 4.30 Uhr ran.

Immer wieder erzählt Michel vor allem den Regierungschefs der Kohäsionsländer, wie ernst es den Nettozahlern mit ihrer Forderung nach einem kleineren Budget sei. Doch aus der Addierung von Einzelwünschen wird kein gemeinsames Projekt – im Gegenteil: die Interessen der Lager liegen nach der langen Nacht noch immer weit auseinander.

Merkel und Macron unternehmen letzten Versuch

Am Freitagvormittag dann scheint es einen Umschwung zu geben, einen kleinen wenigstens: Merkel und Macron machen sich nun aktiv an die Konsenssuche, fast wirkt es, als trauten sie Ratspräsident Michel einen Erfolg nicht mehr zu. Oder, so die freundlichere Lesart, als hätten sie Michel erst einmal machen lassen wollen – was Diplomaten später als Fehler bezeichnen werden.

Gemeinsam mit den "Frugal Four" versuchen Merkel und Macron auszuloten, wie weit Michels Vorschlag eines Haushalts in Höhe von 1,07 Prozent der Wirtschaftsleistung verkleinert werden müsste, um für die Vier erträglich zu werden. Anschließend trifft das deutsch-französische Duo in den Delegationsräumen Spaniens mit den Vertretern der "Freunde der Kohäsion" zusammen. Wenn das Budget schrumpft und Länder wie Deutschland ihre Rabatte behalten sollen, bekommen sie weniger Geld, so die einfache Botschaft. Sie sollte am Ende zum Scheitern des Gipfels führen.

Gegen 17.45 Uhr kursiert ein erster technischer Text. Die von der EU-Kommission errechneten Zahlenkolonnen sehen ein Budget in der Höhe von 1,069 Prozent vor. Deutschland, Schweden, Österreich, Dänemark und die Niederlande können die Rabatte auf ihre Beiträge in der Höhe der Auszahlung des Jahres 2020 behalten. Der von den Geberländern verlangte Rechtsstaats-Mechanismus, der Zahlung von EU-Mitteln an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards knüpfen soll, soll klarer beschrieben werden.

Doch statt eine Einigung näherzubringen, verhärtet der Vorschlag die Fronten noch. Kurz nach 16 Uhr kommt Ungarns Regierungschefs Viktor Orbán zu den Journalisten – wohl wissend, welche Zahlen im Umlauf sind. Ausgerechnet der Mann, der in der Flüchtlingspolitik jede Solidarität verweigerte, beklagt sich nun, dass eine ambitionierte Europapolitik mit immer weniger Geld nicht möglich sei. Er verlangt ein Budget in Höhe von 1,3 Prozent der Wirtschaftsleistung – dieselbe Zahl, die auch das Europaparlament fordert und die als unrealistische Maximalforderung gilt.

Am Ende sollen es vor allem die osteuropäischen Viségrad-Staaten gewesen sein, die eine Einigung für unmöglich erklären. Diplomaten aus den Geberländern machen dafür nicht zuletzt den Belgier Michel verantwortlich. Der Ratspräsident, so die Kritik, hätte ein Haushaltsvolumen vorschlagen müssen, dass sich zwischen den bisherigen Positionen liegt – also den 1,0 Prozent der "Frugal Four" und den 1,07 Prozent, welche die finnische Regierung im vergangenen Jahr vorgeschlagen hatte.

Dass er aber sofort mit 1,07 Prozent in die Verhandlungen ging, verprellte zunächst die sparsameren Länder. Eine Senkung des Volumens wiederum schien den Nettoempfängern das Gefühl einer Niederlange zu geben. "Schade", meinte ein Diplomat, "mit etwas mehr Verhandlungsgeschick hätte man sich vielleicht sogar auf 1,07 Prozent einigen können."

Merkel: "Ist ja noch früh im Jahr"

Auch hatte Michel - anders als einige Beobachter erwartet hatten – offenbar keinen zweiten oder gar dritten Haushaltsentwurf in der Hinterhand, wie Merkel anschließend spitz bemerkte. "Es gab nicht einmal einen ausgearbeiteten zweiten Vorschlag, von dem man sagen könnte, was er für Deutschland bedeutet hätte", so die Kanzlerin.

Nun wird das Thema spätestens beim nächsten regulären EU-Gipfel Ende März wieder auf der Tagesordnung stehen. Dabei ist die Zeit jetzt schon knapp. Bei den Verhandlungen über den letzten Mehrjahreshaushalt im Jahr 2013 gab es Anfang Februar 2013 eine Einigung der Staats- und Regierungschefs. Dennoch dauert fast bis zum Jahresende, bis die Verhandlungen mit der Kommission und dem Parlament beendet waren und der finale Gesetzestext beschlossen wurde. Weitere Zeit ging ins Land, um die Ausgabenprogramme aufzusetzen. Die Folge: 2014 konnten die Mitgliedsländer nur wenige EU-Mittel abrufen. "Es war ein verlorenes Jahr für den EU-Haushalt", sagt Jens Geier, Chef der SPD-Gruppe im Europaparlament. "Und jetzt sind wir sogar noch später dran."

Merkel scheint das anders zu sehen. "Wir haben mal einen ersten Versuch gemacht", sagte die Kanzlerin, "aber es ist ja auch noch früh im Jahr."

spiegel


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