Rechtliche Zweifel an deutsch-französischem Rüstungsabkommen

  26 Februar 2020    Gelesen: 792
Rechtliche Zweifel an deutsch-französischem Rüstungsabkommen

Einem Gutachten zufolge verstößt Deutschland mit dem Vertrag gegen internationales Recht. In Auftrag gegeben hat es Greenpeace. Die Umweltorganisation spricht von einem Skandal und prüft juristische Schritte.

An der Rechtmäßigkeit des deutsch-französischen Abkommens über Rüstungsexporte gibt es Zweifel. Das geht aus einem Gutachten der Staatsrechtlerin Sigrid Boysen hervor, das der F.A.Z. vorliegt. Die Kritik der Lehrstuhlinhaberin für Öffentliches Recht an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg zielt auf das Kernelement des Abkommens, die sogenannte De-minimis-Regel. Ihr zufolge erteilen sich beide Länder gegenseitig unverzüglich die Erlaubnis zu Exporten grenzübergreifend gefertigter Rüstungsgüter, solange der Eigenanteil unter zwanzig Prozent des Gesamtwerts bleibt und nicht unmittelbare Interessen oder die nationale Sicherheit der beiden Signatarstaaten beeinträchtigt werden. Ausgenommen sind eine Reihe von Kriegswaffen, die in einer gemeinsamen Liste aufgeführt werden.

Das komplizierte Verfahren gilt als Schlusspunkt eines jahrelangen Streits zwischen Paris und Berlin über die Handhabe von Exporten in Drittstaaten. Die Bundesregierung hatte etwa den Export von Kampfflugzeugen und Hubschraubern nach Saudi-Arabien, Ägypten, Vereinigte Arabische Emirate, Indien und Indonesien blockiert und damit gegen das sogenannte Schmidt-Debré-Abkommen aus den Siebzigerjahren verstoßen, an das sich die SPD nicht mehr gebunden fühlte. Frankreich bestand deshalb auf einem neuen Rüstungsabkommen, das vergangenen Oktober verabschiedet wurde und eigentlich einen Schlusspunkt setzen sollte.

Dem Gutachten der Uni Hamburg zufolge verstößt dieses neue Abkommen aber gegen geltendes Recht. Die Bundesregierung dürfe die Entscheidung über Rüstungsexporte grundsätzlich nicht delegieren. Ferner sei für das Abkommen ein Zustimmungsgesetz des Deutschen Bundestags erforderlich. Und schließlich verstoße die De-Minimis-Regelung auch gegen den Vertrag über Waffenhandel (ATT) und damit gegen Internationales Recht.

Zur Begründung heißt es in dem Gutachten, die Bundesregierung müsse den Export waffenspezifischer Technik im Rahmen industrieller Kooperation grundsätzlich selbst ermessen. Die von Frankreich und Deutschland festgelegte „Bagatellschwelle“ sage für sich genommen nichts darüber aus, wie gefährlich die gelieferten Komponenten im Einzelnen seien und ob sie als Waffen taugen würden. Bei mehreren Gütern, die von der De-minimis-Regelung erfasst würden, sei Deutschland der Ermessensverpflichtung nicht nachgekommen. Damit genüge das Abkommen nicht den Anforderungen von Artikel 26 Grundgesetz, der bestimmt, dass zur Kriegsführung bestimmte Waffen nur mit Genehmigung der Bundesregierung „hergestellt, befördert und in Verkehr gebracht werden.“ Zugleich verstoße der Vertrag zwischen Frankreich und Deutschland gegen Artikel 59, laut dem der Bundestag Verträgen, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln, zustimmen muss. Schließlich verstoße Deutschland auch gegen Artikel 4 des Vertrags über den Waffenhandel, demzufolge jeder Staat ein nationales Kontrollsystem unterhalten muss, um über die den Export von Waffen- und Waffenteilen zu befinden.

Der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags war im Herbst vergangenen Jahres noch zu einem anderen Ergebnis gelangt. Ihm zufolge handelt es sich bei dem deutsch-französischen Abkommen um keinen „politischen“ Vertrag, sondern lediglich um Verfahrensabsprachen für die Genehmigung von Rüstungsexporten. Die grundsätzliche Voraussetzung einer Genehmigung von Kriegswaffenexporten durch die Bundesregierung werde davon nicht berührt. Durch das Abkommen ändere sich weder die Gesetzeslage in Deutschland noch sei eine Änderung erforderlich. Die Abgeordneten des Bundestags könnten außerdem weiterhin von ihrem parlamentarischen Frage- und Auskunftsrecht in der Rüstungskontrolle Gebrauch machen.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace, die das Gutachten in Auftrag gegeben hatte, kritisierte gegenüber der F.A.Z., die Bundesregierung nutze „jedes Schlupfloch, um deutsch-französische Rüstungskooperationen voranzutreiben. Greenpeace-Mitarbeiterin Anna von Gall sagte der F.A.Z.: „Es ist ein Skandal, dass deutsche Komponenten von Kriegswaffen über solche Kooperationsverträge in Krisen- und Konfliktländer landen können.“ Die Organisation prüft, ob sie juristische Schritte gehen wird.

Das Abkommen zwischen Deutschland und Frankreich gilt als wichtige Grundlage für Schlüsselprojekte beider Staaten, etwa für ein gemeinsames Panzer- und Luftkampfsystem. Beide Projekte sollen in den kommenden Jahrzehnten die heutigen Hauptwaffensysteme in Heer und Luftwaffe ablösen. Eine nationale Entwicklung und Produktion gilt angesichts deutlich geringerer Umfänge der Streitkräfte als im Kalten Krieg und der hohen Entwicklungskosten als unrealistisch. Mit dem Export von Waffensystemen sollen die Kosten in Grenzen gehalten werden.

faz.net


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