Notenbank-Präsidentin Christine Lagarde erklärte am späten Montagabend, die EZB stehe bereit, entsprechend der Notwendigkeit und der zugrundeliegenden Risiken angemessene und gezielte Maßnahmen zu ergreifen. Die Situation rund um den Virus-Ausbruch entwickele sich rasch. Sie erzeuge Gefahren für die Wirtschaftsaussichten und das Funktionieren der Finanzmärkte. Die EZB beobachte die Entwicklungen und ihre Auswirkungen für die Wirtschaft, die mittelfristige Inflation und die Übertragung ihrer Geldpolitik genau.
An den Börsen wird inzwischen immer mehr ein koordiniertes Vorgehen der großen Notenbanken gegen die wirtschaftlichen Folgen des Virus-Ausbruchs erwartet. In den USA schlossen deshalb die wichtigsten Börsenindizes am Montag nach den massiven Kursverlusten der vergangenen Woche sogar wieder deutlich im Plus. Der Dow Jones kletterte um 5,1 Prozent auf 26.703 Punkte. In Europa hatte zuvor der EuroStoxx50 leichte Zuwächse von 0,3 Prozent auf 3341 Zähler erzielt.
Aus Sicht der Industriestaaten-Organisation OECD ist die Coronavirus-Epidemie die größte Gefahr für die globale Wirtschaft seit der Finanzkrise 2008/09. Sollte sich die Lage nicht bessern und immer weitere Länder betroffen sein, könnte das weltweite Wachstum dieses Jahr auf etwa 1,5 Prozent halbiert werden. Auch die Welthandelsorganisation WTO erwartet einen substanziellen Einfluss auf die Weltwirtschaft. Die Finanzminister und Notenbank-Gouverneure der sieben wichtigsten Industriestaaten (G7) wollten am Dienstag in einer Telefonkonferenz besprechen, mit welchen Maßnahmen auf den Virus-Ausbruch und seine ökonomischen Folgen reagiert werden soll, wie eine Sprecherin des US-Finanzministeriums sagte.
INVESTOREN SPEKULIEREN AUF ZINSSENKUNG
Am europäischen Geldmarkt gehen Investoren inzwischen davon aus, dass die EZB ihren Einlagenzins im März um 0,10 Prozentpunkte auf dann minus 0,6 Prozent weiter herabsetzt. Mit den negativen Zinsen versucht die EZB Banken dazu zu bewegen, statt überschüssige Gelder zu parken sie in Form von Krediten an die Wirtschaft weiterzureichen. Denn für die Institute bedeutet ein negativer Einlagensatz Strafzinsen, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder horten.
Lagardes Hinweis auf “gezielte” Maßnahmen der EZB signalisiert möglicherweise auch, dass die EZB noch andere Schritte ergreifen könnte, die noch direkter die Wirtschaft unterstützen würden. Dazu könnten etwa maßgeschneiderte Kredithilfen für Unternehmen zählen, die von dem Virus-Ausbruch besonders betroffen sind. Auch könnte die EZB ihre Käufe von Firmenanleihen aufstocken oder den Banken mit noch höheren Freibeträgen bei den Strafzinsen entgegenkommen.
Wie die Konjunktur im Euro-Raum von dem Virus-Ausbruch getroffen werden könnte, erläuterte am Montag Lagardes Stellvertreter Luis des Guindos. Die Virus-Epidemie habe das Potenzial, die Wirtschaft der Euro-Zone sowohl auf der Nachfrage- als auch auf der Angebotsseite zu treffen, warnte der EZB-Vize. Die Quarantäne-Maßnahmen in China und die damit verknüpften Produktionsausfälle könnten die Auslandsnachfrage dämpfen. Das werde sich möglicherweise auf die Exporte aus der Euro-Zone auswirken. Im Dienstleistungssektor könnten sich Reisebeschränkungen bemerkbar machen. “Sollte sich der Virus weiter ausbreiten, könnten heimische Firmen direkter getroffen werden, beispielsweise durch Verzögerungen in den Lieferketten,” erläuterte er. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) rechnet inzwischen wegen des Virus-Ausbruchs sogar für die Weltwirtschaft mit einer längeren Schwächephase.
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