Canoo - erschaffen von BMW-Veteranen

  09 März 2020    Gelesen: 971
  Canoo - erschaffen von BMW-Veteranen

Canoo ist wahrscheinlich der erste Autobauer, der seine Fahrzeuge gar nicht verkaufen will: Die Stromer soll es im Monatsabo und frei kündbar geben. Verantwortlich dafür sind vor allem alte BMW-Veteranen.

Wer einmal nachzählt, wie viele Elektro-Start-ups in den vergangenen Jahren aus dem Boden geschossen sind, kann fast den Eindruck gewinnen, einen Stromer zu bauen sei ein Kinderspiel. Zugegeben: Gegenüber dem klassischen Verbrenne-Auto hat das E-Mobil Vorteile in Sachen Komplexität. Dass es aber am Ende doch nicht so simpel ist, zeigt ein Blick auf die Straßen. Kaum einer der E-Pioniere hat bis jetzt ein Fahrzeug wirklich auf die Straße gebracht und manche, wie zum Beispiel Dyson, haben sich sogar schon wieder aus der Autowelt verabschiedet. Anders soll es bei Canoo laufen.

Ein Team aus BMW-Veteranen

Mangelnde Erfahrung in Sachen Elektro-Auto kann man dem Canoo-Team zumindest nicht vorwerfen. Die Entwicklung verantwortet Ulrich Kranz, der zuvor in über 30 Jahren bei BMW nicht nur den X5 auf die Räder gestellt hat, sondern vor allem die Vorreiter-Stromer i3 und i8 auf den Weg brachte. Für das Design konnte Richard Kim gewonnen werden, der ebenfalls die Finger bei BMW i3 und i8 im Spiel hatte. Und den Vorsitz über den Aufsichtsrat hat, sie ahnen es, auch ein ehemaliger Münchner: Stefan Krause, vormals Finanzvorstand bei BMW und CEO von Rolls-Royce, später auch noch Vorstand bei der Deutschen Bank.

Krause war es auch, der 2017 zusammen mit Kranz den Startschuss gab, im Dezember gründeten sie in Los Angeles das Start-Up EVelozcity, das sich im März 2019 in Canoo umbenannte. Erste Schritte in der "neuen Welt" konnten die Großkonzern-gewöhnten Manager zuvor bei Faraday Future sammeln, die auf extrovertierte und vor allem potente Stromer setzen, bislang aber auch noch kein Serienprodukt auf den Markt gebracht haben. Dieses Schicksal soll Canoo nicht ereilen, und das Tempo, das Kranz & Co. beim Verfolgen ihres Planes vorlegen, ist beeindruckend.

Mini-Bus als Prototyp

Nicht einmal zwei Jahre nach der Gründung präsentierten sie im September 2019 ihren ersten quasi serienreifen Prototypen, ab 2021 soll der schlicht Canoo genannte Mini-Bus erhältlich sein. Auch hier unterscheidet sich Canoo von anderen Elektro-Autobauern, setzen die meisten doch entweder auf sündhaft teure Sportwagen oder Mainstream-gerechte SUV. Vor allem letztere sehen freilich schicker aus und liegen in der Käufergunst höher. Doch genau das ist der Punkt: Den Canoo soll gar niemand kaufen.

Das Unternehmen verzichtet auf ein großes Händlernetz und will sein Fahrzeug lediglich in einem Abo-Modell anbieten. Das soll zum einen die Hürde senken, zu einem Elektro-Auto zu greifen, und bietet eben auch einem Design eine Chance, das sonst im Schauraum versauern würde – obwohl es eindeutig praktischer ist, doch dazu später mehr. Wie hoch der Preis sein soll, ist noch nicht bekannt, verraten hat Canoo nur, dass sie mit Laufzeiten von bis zu zwölf Jahren bei monatlicher Kündigungs-Möglichkeit planen, alles über eine App gesteuert wird und der Tarif für junge Menschen "erschwinglich" sein soll. Wartung und Versicherung sollen bereits inbegriffen sein, eventuell sogar der Strom. Auch wo der Canoo an den Start gehen will, ist noch offen. Bislang ist die Rede von den USA – zunächst Los Angeles und San Francisco – und China. Auch ein Start in Europa scheint nicht ausgeschlossen.

Dass der Canoo den Weg zu uns findet, wäre wünschenswert. Denn: Wie bereits erwähnt, ist der Kastenwagen richtig praktisch. Weil der Hersteller auf geschwungene Formen, figurbetonte Proportionen oder eine abfallende Dachlinie – kurz alles, was ein Auto schöne macht – verzichtet, können im nur 4,42 Meter langen Canoo, der auch als Ur-Ur-Enkel eines VW Bulli durchgehen könnte, problemlos sieben Personen reisen. In Reihe eins sitzen Fahrer und Beifahrer wie gehabt nebeneinander, im Fond allerdings macht sich eine geräumige, halbrunde Sofa-Landschaft breit.

Massig Platz durch Skateboard-Architektur

Dass Canoo den Platz derart gut ausnutzen kann, liegt unter anderem an der Plattform: Skateboard-Architektur nennt man den Unterbau, der neben dem 80-Kilowattstunden-Akku auch gleich noch den Motor und die gesamte Steuertechnik beherbergt. Der Clou: Statt auf klassische Schraubenfedern setzt Canoo auf umgedrehte Blattfedern, die ebenfalls im Skateboard verschwinden und nicht in den Fahrgastraum hineinreichen. Dazu kommt, dass Canoo vollkommen auf die Steer-by-Wire-Technik vertraut. Die Lenkbefehle werden rein elektrisch und nicht mechanisch weitergeleitet und es gibt auch kein Hardware-Sicherheitssystem. Nur so lässt sich gänzlich auf die Lenksäule verzichten und das Lenkrad quasi beliebig im Cockpit positionieren.

Eine nette Spielerei: Weil die fehlende Lenk-Technik den Platz frei macht, gibt’s nicht nur ein ziemlich luftiges Armaturenbrett – mit übrigens erstaunlich kleinem Bildschirm –, sondern kann der Fahrer auch über seine Füße hinweg auf die Straße schauen. Die Frontscheibe des Canoo zieht sich nämlich bis zum Boden hinunter. Möglich ist das, weil der Canoo natürlich auch keinen Kühlergrill benötig. Und weil der wiederum dadurch auch als Träger für das Markenlogo wegfällt, haben die Designer kurzerhand die Scheinwerfer im Canoo-Stil – ein liegendes T dient der Marke als Erkennungszeichen - geformt.

Flexibel in allen Belangen

Doch zurück zur Technik: Ein weiterer Vorteil, alles in das Skateboard zu packen, ist die Flexibilität bei der Karosseriegestaltung. Theoretisch kann Canoo jede beliebige Hülle auf den Unterbau setzen, der sogar ganz ohne Aufbau fahren kann. Geplant sind vorerst vier Modelle, wie die drei weiteren aussehen sollen, verrät der junge Hersteller aber noch nicht. Und weil Canoo die Autos nur vermietet und demnach irgendwann zurück bekommt, können die Fahrzeuge dank der flexiblen Bauweise recht einfach modernisiert werden und in die nächste Vermiet-Phase starten.

Flexibel ist übrigens auch die Anordnung des Motors, vorne, hinten oder an beiden Achsen. Damit empfiehlt sich die Plattform auch für ein Allrad-Modell. Für den Bus hat sich Canoo für den Heckantrieb entschieden, der E-Motor leistet 300 PS und soll 425 Newtonmeter bereitstellen. Damit kann man den gut zwei Tonnen schweren Canoo angeblich in rund sechseinhalb Sekunden auf Tempo 100 bringen; Schluss soll erst bei 200 km/h sein. Die Reichweite beziffert Canoo auf 400 Kilometer, Schnellladen ist möglich.

Autonomes Fahren ist nur eine Option

Das sind keine herausragenden, aber durchaus ordentliche Werte, die auch schon das Interesse anderer geweckt haben. Erst jüngst haben Hyundai und Kia eine Entwicklungskooperation mit Canoo bekannt gegeben: Die Koreaner wollen sich die Elektroplattform zu Nutze machen. Ebenfalls nicht übertrieben euphorisch gibt sich Canoo in Sachen Autonomes Fahren. Während andere Startups gleich zu Beginn das selbstfahrende Auto propagieren, beschränkt sich Canoo darauf, die Technik als Option zu sehen. Zum Beispiel könnte der Bus dann irgendwann als automatischer Shuttle eingesetzt werden. Bis dahin aber begnügen sich die Techniker mit der üblichen Assistenten-Technik: Sieben Kameras, fünf Radargeräte und 12 Ultraschallsensoren unterstützen den Fahrer.

Genügsam zeigt sich Canoo auch, wenn es um die Fertigung geht: Das Unternehmen hegt gar nicht den Anspruch, eigene Werke zu bauen. Stattdessen macht man sich auf die Suche nach Auftragsfertigern. Mit Magna sollen bereits Verhandlungen laufen, auch Valmet ist im Gespräch und auch chinesische Partner stehen auf der Agenda. So will Canoo flexibel auf die Nachfrage reagieren können und das Risiko leerstehender Fabriken vermeiden. Ob der Plan aufgeht, wird sich frühestens nächstes Jahr zeigen, wenn die ersten Canoo-Modelle auf die Straße kommen sollen. Vielversprechend ist der Ansatz aber auf jeden Fall.

Quelle: ntv.de


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