Angesichts der Coronavirus-Epidemie ermahnt die Bundesregierung alle Bürger, sich den beispiellosen Beschränkungen im Alltagsleben zu beugen. "Halten Sie sich an die Regeln", sagte Kanzlerin Angela Merkel in einer TV-Ansprache an die Nation. Die sozialen Kontakte müssten auf ein Minimum heruntergefahren werden, damit sich das Virus nicht zu schnell ausbreite und das Gesundheitssystem nicht überlastet werde. Dabei sei Disziplin gefragt.
Ansprache an die NationKanzlerin Merkels Rede in voller Länge
Die Krise habe eine historische Dimension, betonte die CDU-Politikerin. "Seit der Deutschen Einheit, nein, seit dem Zweiten Weltkrieg, gab es keine Herausforderung an unser Land mehr, bei der es so sehr auf unser gemeinsames solidarisches Handeln ankommt." Zusätzliche, noch drastischere Maßnahmen wie eine allgemeine Ausgangssperre verkündete die Kanzlerin nicht. Die Regierung prüfe stets neu, was sich wieder korrigieren lasse. "Aber auch: was womöglich noch nötig ist."
Auch viele andere Länder ergriffen drastische Maßnahmen, um die Ausbreitung des Sars-CoV-2-Virus zu verlangsamen. So stellte sich das österreichische Bundesland Tirol insgesamt unter Quarantäne, Österreich führte Grenzkontrollen zu Deutschland ein, Israel schloss seine Grenzen für Ausländer ganz, Portugal und Chile erklärten den Ausnahmezustand und auch die zögerliche Regierung in London kündigte nun die Schließung der Schulen zum Ende der Woche an.
Italien wartet noch auf Wirkung der Ausgangssperre
Trotz drastischer Maßnahmen war die Entwicklung in Italien weiter dramatisch. Die Zahl der Infizierten kletterte auf fast 36.000, bereits 3000 Tote sind zu beklagen. Der Präsident der Lombardei, Attilio Fontana, warnte vor dem endgültigen Kollaps des Gesundheitssystems in seiner Region. "Leider gehen die Zahlen der Infektionen nicht zurück, sie bleiben hoch. In Kürze sind wir nicht mehr in der Lage, den Kranken eine Behandlung zu bieten", sagte er am Mittwoch.
In Deutschland wurden am Abend die bereits an den Landesgrenzen zu fünf Nachbarländern geltenden Einreisebeschränkungen ausgeweitet, sie gelten nun auch für Flüge und den Schiffsverkehr. Wie das Bundesinnenministerium mitteilte, dürfen ab sofort nur noch Deutsche oder Reisende mit "einem dringenden Reisegrund" per Flugzeug oder Schiff aus Österreich, Spanien, Italien, der Schweiz, Luxemburg und Dänemark nach Deutschland kommen. Wer aus einem EU-Staat kommt, darf nur noch auf einem deutschen Flughafen landen, wenn er von dort aus weiter in sein Heimatland reist.
An deutsch-polnischer GrenzeBundeswehr soll Staugeplagte versorgen
Bundesinnenminister Horst Seehofer sagte: "Es ist absurd, den Menschen in Deutschland einen Kinobesuch zu verwehren, aber gleichzeitig Einreisen aus Risikoregionen innerhalb und außerhalb der EU zuzulassen." In Deutschland sind bislang mehr als 12.000 Infektionen mit dem neuen Coronavirus bekannt. Besonders hohe Zahlen haben Nordrhein-Westfalen mit rund 3800, Bayern mit knapp 1800 und Baden-Württemberg mit mehr als 1600 Fällen. 27 mit Sars-CoV-2 Infizierte sind bislang bundesweit gestorben, zwei weitere Deutsche nach Auskunft des Robert Koch-Instituts während einer Reise in Ägypten.
Der unter der Krise leidenden Wirtschaft sowie den von Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit bedrohten Arbeitnehmern garantierte die Kanzlerin umfassende Unterstützung. Zugleich versicherte sie, die Lebensmittelversorgung sei jederzeit gesichert. "Und wenn Regale einen Tag mal leergeräumt sind, so werden sie nachgefüllt." Hamstern, als werde es nie wieder etwas geben, sei sinnlos "und letztlich vollkommen unsolidarisch".
Grüne kritisieren Alleingänge
Dagegen warf Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt Merkel und den anderen Regierungen in Europa fehlende Absprachen und mangelnde Unterstützung Italiens vor. "Europa und die nationalen Regierungsspitzen hätten sich viel früher austauschen und enger koordinieren müssen", sagte sie der "Rheinischen Post". "Von der Bundesregierung hätte ich mir mehr europäische Koordination und eine aktivere und frühere Unterstützung Italiens gewünscht." Dann hätte womöglich eine Situation vermieden werden können, in der sich jedes Land "in sein nationales Schneckenhaus zurückzieht".
Gesundheitsminister Jens Spahn rät, sich bei den Rufen nach Beschränkungen des alltäglichen Lebens keinen Überbietungswettbewerb zu liefern. "Maß und Mitte, das braucht es gerade in solchen Zeiten", sagte der CDU-Politiker bei "stern TV" auf RTL. Auf die Frage, ob er eine generelle Ausgangssperre in nächster Zeit ausschließen könne, mahnte Spahn, die nun getroffenen weitreichenden Maßnahmen erst einmal wirken zu lassen - nötig seien etwa 10 bis 14 Tage. Zugleich kündigte Spahn an, dass an diesem Donnerstag "endlich" die ersten zehn Millionen Schutzmasken ausliefert werden können: an Ärzte, kassenärztliche Vereinigungen und die Bundesländer. "Es hat lange gedauert, wir haben viel auch auf der Welt nach Lieferanten suchen müssen."
Ärztegewerkschaft ist optimistisch
Zu den Infektionszahlen sagte Spahn: "Wir haben einen exponentiellen Verlauf, also eine sehr, sehr starke Steigerung. Das war auch zu erwarten. Die Zahlen sind wahrscheinlich auch höher, als wir es in der Statistik sehen." Deutlich mehr Menschen zu testen, sei aber nicht machbar. "Wir können und schaffen es nicht, Hunderttausende Bundesbürger jeden Tag zu testen."
Die Ärztegewerkschaft Marburger Bund sieht das Gesundheitswesen insgesamt gut gerüstet. "Wir haben in Deutschland das Gesundheitssystem mit den meisten Ressourcen in dem Bereich, auf den es nun ankommt. Ich sehe die Lage unverändert optimistisch", sagte die Vorsitzende Susanne Johna dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Sie verwies darauf, dass 2017/2018 die größte Grippewelle in Deutschland erfolgreich gemanagt wurde. "Und zwar so, dass ein großer Teil der Bevölkerung nichts davon mitbekommen hat, obwohl wir 60.000 zusätzliche Krankenhaus-Patienten hatten."
Derweil meldete China zum ersten Mal seit dem Ausbruch des neuartigen Coronavirus Anfang Januar keine lokalen Neuinfektionen mehr. Allerdings stieg die Zahl der Infizierten, die aus dem Ausland zurück in die Volksrepublik kamen - was Ängste vor einer möglichen zweiten Ausbreitungswelle schürt. Wie die Pekinger Gesundheitskommission am Donnerstag mitteilte, wurden 34 neue "importiere Fälle" registriert, also Erkrankungen, die bei Menschen auf der Einreise nach China nachgewiesen wurden. Südkorea kämpft wieder gegen eine steigende Zahl von Coronavirus-Infektionen. Am Mittwoch seien 152 zusätzliche Fälle erfasst worden, teilten die Gesundheitsbehörden mit. Schon seit Montag kletterten die Fallzahlen wieder nach dem Abwärtstrend in der vergangenen Woche. Insgesamt wurden bisher 8565 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet.
Quelle: ntv.de, ino/dpa
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