Endlich klappte mal was in Berlin. Das Programm für die Corona-Soforthilfen sei "ein riesiger Erfolg", schrieb Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) Anfang April auf Twitter. Oft innerhalb von 24 Stunden nach Antragstellung hatten viele Selbstständige und Unternehmer in Berlin Tausende Euro staatlicher Unterstützung auf ihren Konten.
In sozialen Netzwerken gab es viel Applaus von Gewerbetreibenden, die um ihre Existenz fürchten und das Geld dankend in Anspruch nahmen. Die Senatorin kam aus dem Retweeten gar nicht mehr raus. Sogar die "New York Times" lobte die oft gescholtene Berliner Politik für die vorbildliche Geschwindigkeit der Soforthilfe.
Die Stadt, die es seit fast einem Jahrzehnt nicht schafft, ihren neuen Flughafen zu eröffnen, hatte in der größten Krise seit Jahrzehnten tatsächlich geliefert: Schneller als in jedem anderen Bundesland zahlte die Hauptstadt Ende März Gelder aus. In kürzester Zeit flossen über die Förderbank IBB bislang 1,7 Milliarden Euro an Gewerbetreibende, Selbstständige und Unternehmen - für mehr als 200.000 Antragssteller ein teils überlebensnotwendiger Zuschuss, um bei ausbleibenden Einnahmen über die Runden zu kommen.
Bislang 700.000 Euro Schaden
Doch die Geschwindigkeit hatte offenbar ihren Preis. Verlässliche Zahlen über das Ausmaß möglichen Missbrauchs der unbürokratischen Hilfe gibt es noch nicht, doch die Zahl der Ermittlungsverfahren ist mittlerweile fast dreistellig. Nach SPIEGEL-Informationen gehen Fahnder des Landeskriminalamts Berlin (LKA) inzwischen 93 Fällen mutmaßlichen Subventionsbetrugs nach. Laut Staatsanwaltschaft Berlin beläuft sich der ermittelte Gesamtschaden bislang auf rund 700.000 Euro. Der Verdacht erhärtet sich: Fehlende Prüfungen und Sicherheitsmechanismen bei der Bewilligung der Geldspritzen machten es Betrügern leicht.
Verglichen mit der Gesamtsumme der ausgezahlten Hilfen sei das ein verschwindend geringer Anteil, betont die IBB. Doch ein Blick auf die anderen Bundesländer zeigt, dass Berlin bei den Fällen von klassischem Subventionsbetrug weit vorne liegt. Mehr Verfahren gibt es derzeit nur in Nordrhein-Westfalen, weil dort raffinierte Betrüger mit einer gefälschten Website die Daten von Antragstellern abgriffen. Allein in diesem Zusammenhang gingen bislang 733 Anzeigen bei den Ermittlern ein, dazu sind der Polizei 17 weitere Fälle von allgemeinem Subventionsbetrug bekannt.
"Spitze des Eisbergs"
Eine Umfrage des SPIEGEL unter den 16 Bundesländern zeigt, dass die Zahl der Auffälligkeiten dort höher ist, wo die Verfahren allein digital durchgeführt werden. In Thüringen etwa gibt es bislang nur ein Ermittlungsverfahren in Zusammenhang mit den Corona-Soforthilfen. Das Land habe sich "bewusst für eine Mischung aus Webportal und ausgedrucktem Antrag mit Unterschrift entschieden", erklärt eine Sprecherin der beteiligten Aufbaubank. "Unser Antragsverfahren dürfte grundsätzlich nicht im Fokus von IT-Betrügern liegen, da diese sich eher auf rein elektronische Verfahren fokussieren."
Rein elektronische Verfahren wie in der Hauptstadt. Am vergangenen Freitag bezifferte die Berliner Staatsanwaltschaft den Schaden noch mit 200.000 Euro. Innerhalb weniger Tage hat sich die Summe mehr als verdreifacht. "Das ist wohl weiterhin nur die Spitze des Eisbergs", sagt Thomas Fels, Leiter der Abteilung für Geldwäsche bei der Staatsanwaltschaft Berlin. "Die Ermittlungen stehen noch am Anfang. Die Entwicklung zeigt aber, dass wir mit einem deutlichen Anstieg der Fallzahlen zu rechnen haben", so Fels.
Wie einfach es war, Gelder widerrechtlich einzustreichen, zeigt der Fall eines Unternehmerpaares aus dem Berliner Westen. Ganze sieben Mal beantragten die Inhaber einer Firma für Gebäudereinigung zwischen dem 31. März und 8. April über das digitale Portal der Förderbank die staatlichen Hilfen. Die mutmaßlichen Betrüger gaben im Antragsformular einfach immer wieder verschiedene Firmennamen an. 35.000 Euro landeten so auf dem Konto des immer gleichen Unternehmens – mehr als das Doppelte der maximalen Fördersumme. Nach SPIEGEL-Informationen durchsuchten die Berliner Fahnder am Mittwochmorgen den Firmensitz sowie die beiden Wohnungen der Verdächtigen. Der Mann wurde inzwischen verhaftet.
Hohes Dunkelfeld
Aufgefallen war der mutmaßliche Betrug durch eine Verdachtsmeldung der Hausbank, die auffällige Kontobewegungen registrierte. Doch nicht immer sind unrechtmäßige Auszahlungen für die Banken erkennbar. "Bei besonders dreistem Vorgehen ist die Chance hoch, dass ein Betrug auffällt. Bei einem nur vorgetäuschten Liquiditätsengpass zum Beispiel ist das Entdeckungsrisiko aber erst einmal gering", sagt Oberstaatsanwalt Fels. Das Dunkelfeld an nicht erkannten Fällen ist wohl groß. Die Angst, aufzufliegen, führt bei einigen nun offenbar zum Umdenken. Wie die "Berliner Morgenpost" berichtete, haben inzwischen rund 2500 Antragsteller erhaltene Gelder freiwillig zurückgezahlt.
spiegel
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