Anwar Raslan kam vor sechs Jahren nach Deutschland, er strebte nach einem sicheren Leben. Nun führen ihn zwei Justizwachtmeister in den Koblenzer Gerichtssaal, die Hände gefesselt. Nach Ansicht des Generalbundesanwalts ist Raslan ein Schwerverbrecher. Ein Sadist. Ein Foltermeister.
Der Mann mit dem Leberfleck unter dem linken Auge blickt in einen Gerichtssaal während der Coronakrise: Statt 100 Zuschauern ist nur 29 der Zutritt gestattet, um Abstand zu wahren. Die Prozessbeteiligten, außer dem Staatsschutzsenat, sitzen in Kabinen aus Plexiglas, einige tragen Mundschutzmasken.
Zu Beginn des syrischen Bürgerkrieges, von April 2011 bis September 2012, war Anwar Raslan Chef der Geheimdienstabteilung 251, zuständig für die Sicherheit in Damaskus und Umgebung und für die Festnahme von Aufständigen. Sie kamen in das Khatib-Gefängnis. Keiner, der dort festgehalten wurde, wird das je vergessen.
Berüchtigt für systematische Folter
Raslan habe die Befehlsgewalt über die Vernehmungsbeamten der Ermittlungseinheit gehabt und sei der militärische Vorgesetzte des Gefängnispersonals gewesen, trägt Jasper Klinge, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, vor. Anders ausgedrückt: Raslans Geheimdiensttruppe war berüchtigt für systematische Folter.
Unter seiner Führung sollen mindestens 4000 Häftlinge brutal gequält worden sein, mindestens 58 starben infolge der Misshandlungen. Ankläger Klinge spricht von Mord aus niedrigen Beweggründen und von "seelischen Schäden und Leiden", die nicht verheilen; von Panikattacken, posttraumatischen Belastungsstörungen, von Schlägen mit Stöcken, Kabeln und Peitschen, von Tritten und Stromschlägen, von Vergewaltigung und schwerer sexueller Nötigung, von Drohungen, Angehörige der Inhaftierten zu misshandeln. Alles, um Geständnisse zu erzwingen und Informationen über die Oppositionsbewegung zu erlangen.
Einmal habe Raslan den Befehl gegeben, einen Inhaftierten "gar" zu schlagen. Insgesamt 24 Schicksale wie dieses zählen Klinge und sein Kollege Philipp Bögner einzeln auf, die Raslan als Befehlshaber verantwortet haben soll: Männer und Frauen, die an die Decke gehängt wurden, die Hände gefesselt, der Willkür ausgesetzt. Sie wurden der Anklage zufolge mit Plastikrohren, Gummischläuchen und Stöcken malträtiert, nackt, mit verbundenen Augen, bis sie das Bewusstsein verloren. Einen Mann sollen Raslans Handlanger an die Decke gehängt, ihm zu trinken gegeben und dann den Penis abgeschnürt haben.
Nach Ansicht der Bundesanwaltschaft herrschten im Gefängnis 251 erniedrigende, unmenschliche Haftbedingungen: Gefangene wurden demnach nicht medizinisch versorgt, mussten hungern, durften sich nicht waschen und nur einmal am Tag zur Toilette. Sie wurden in winzige Zellen gequetscht: Neun Quadratmeter für 20 Personen, 40 Quadratmeter für 100 Personen. Die Inhaftierten konnten sich nicht setzen oder gar hinlegen. Sie waren gezwungen, im Stehen zu schlafen. In den meisten Zellen gab es kein Tageslicht. Und über all dem die Schreie der Mithäftlinge, die gefoltert wurden.
Die Anklage gegen Raslan lautet auf Verbrechen gegen die Menschlichkeit, 58-fachen Mord, Vergewaltigung und schwere sexuelle Nötigung. Dem 57-Jährigen droht lebenslange Haft. Er schweigt an diesem ersten Verhandlungstag.
Ende 2012 verließ er Syrien. Im Juli 2014 tauchte er in Berlin auf, kam in einer Erstaufnahmeeinrichtung unter und erhielt humanitären Schutz. Er galt als Überläufer. Als er sich verfolgt fühlte, ging er zur Polizei. Freimütig schilderte er, was er in Damaskus für eine Aufgabe hatte. Die Bundesanwaltschaft schaltete sich ein. Im Februar vergangenen Jahres wurde Raslan festgenommen. Er schien nicht damit gerechnet zu haben.
Sein Verteidiger Michael Böcker kündigt an, Raslan werde an einem der nächsten Verhandlungstage eine schriftliche Erklärung abgeben, zur Person und den Vorwürfen. An der Einlassung muss wohl noch gearbeitet werden. In der Justizvollzugsanstalt Berlin-Moabit, in der Raslan bislang in Untersuchungshaft saß, steht nur ein einziger Raum mit Trennscheibe zur Verfügung - in der Coronakrise ein Problem.
Weltweit erstes Verfahren gegen Assads Folterknechte
Mit Raslan ist Eyad Alghareib angeklagt, wegen Beihilfe zum Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ein schmaler Mann, 43 Jahre alt, geboren in Damaskus, seit April 2018 lebt er in Deutschland. Im Gericht trägt er als einer von wenigen eine Mundschutzmaske. Wie Raslan war er einst Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes, Anhänger einer Unterabteilung.
Alghareib leitete laut Anklage einen Greiftrupp der Staatssicherheit, stürmte Wohnungen und Häuser Oppositioneller. Nach der gewaltsamen Auflösung einer Demonstration im Herbst 2011 soll er mindestens 30 Demonstranten festgenommen und mit Bussen ins Gefängnis der Abteilung 251 gebracht haben. Bereits während der Fahrt sollen die Festgenommen misshandelt, im Gefängnis später gefoltert worden sein.
Alghareib werde sich vor Gericht nicht äußern, sagt sein Verteidiger Hannes Linke. Er widerspricht auch der Verwertung der Angaben, die Alghareib im Rahmen seines Asylverfahrens machte. Damals schilderte Alghareib, wie Stromschläge und Verbrühungen im Gefängnis 251 üblich gewesen seien. Die Vernehmungsbeamten hätten Alghareib damals "bewusst getäuscht" und ihn nicht über seine Rechte belehrt, sagt Anwalt Linke.
spiegel
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