Apples Angriff auf die Android-Mittelklasse

  25 April 2020    Gelesen: 1018
Apples Angriff auf die Android-Mittelklasse

Mit dem neuen iPhone SE unterbietet Apple seine eigenen Preise. Unser Test erklärt, wie viel High-End in dem kleinen Smartphone steckt - und für wen es interessant ist.

Diesen iPhone-Test muss ich anders strukturieren als sonst üblich. Denn beim neuen iPhone SE sind es nicht ein oder mehrere technische Merkmale, die es besonders machen. Das Besondere ist der Preis. Der steht bei meinen Rezensionen sonst erst weiter unten im Text - und man weiß ja ohnehin: iPhones sind nicht billig.

Billig ist zwar auch das iPhone SE nicht. Mit einem Preis von 479 Euro, in der Version mit 64 Gigabyte (GB) Speicher, ist es für ein Apple-Smartphone aber ungewöhnlich günstig. Selbst sein direkter Vorgänger, das iPhone SE von 2016, war teurer, wenn auch nur zehn Euro. Damals gab es dafür nur 16 GB Speicher, doch das ist vier Jahre her. Heute will man mehr, braucht man mehr.

Im Grunde ist das iPhone SE ein technisch aufgebohrtes iPhone 8, in dem noch viel iPhone-8-Technik steckt. Das geht auch aus dem wohl ersten Zerlege-Video eines chinesischen YouTubers hervor, demzufolge nur der Prozessor, die Rückkamera und der Stecker des Akkus wirklich neu sind. Genau das ist die Strategie, mit der Apple sein neuestes iPhone auch zum günstigsten gemacht hat.

Die geheime Soße steckt im Chip  
Indem der Konzern das Design des iPhone 8 übernommen hat, können für die Produktion des iPhone SE Maschinen und Komponenten verwendet werden, die seit Jahren im Einsatz sind. Es gibt dafür eingespielte Prozesse und Lieferanten, die aufgrund der gewaltigen Mengen der immer gleichen Bauteile, die Apple bestellt, günstige Preise anbieten. So kann der kalifornische Konzern das SE zu einem für seine Verhältnisse niedrigen Preis anbieten und damit trotzdem noch fette Profite erzielen.

Dass das iPhone SE trotzdem deutlich moderner ist als ein iPhone 8, verdankt es in erster Linie seinem Prozessor, dem A13 Bionic. Apple hat ihn selbst entwickelt und baut ihn seit vergangenem Jahr in die iPhones der 11er-Serie ein. 

Leistungsmessungen mit Benchmark-Apps zeigten auf meinem Testgerät nahezu identische Performance-Werte wie auf einem mehr als doppelt so teuren iPhone 11 Pro Max. Einzig in sogenannten Multicore-Tests fiel das SE gegenüber dem iPhone 11 ab. Das könnte daran liegen, dass die Mess-Apps noch nicht an das neue Gerät angepasst worden sind. Ausgerechnet ein Android-Blog, "Android Central", hat dieser Tage festgestellt: "Das billigste iPhone SE hat mehr Leistung als das teuerste Android-Smartphone." 

Diese Leistung ist es, was das iPhone SE ausmacht. Es kann alles, was ein iPhone 11 kann, bis hin zu Augmented Reality, sollte man so etwas mal brauchen. Ausgehend davon, dass Apples aktuelles iOS 13 noch iPhones von 2015 unterstützt, dürfte das neue iPhone SE damit ausreichend Leistung haben, um bis mindestens 2025 mit der dann aktuellen Software zu laufen, möglicherweise länger. 

Und nebenbei ist der A13 Bionic ein weiterer Baustein in Apples Strategie, seine Herstellungskosten niedrig zu halten. Weil der Chip eine Eigenentwicklung ist, dürfte er für den Konzern weit günstiger sein als es Prozessoren von Drittherstellern wären.

Die Kamera: Gut genug
Der Prozessor ist es auch, was die Qualität der 12-Megapixel-Kamera auf ein in dieser Preisklasse ungewohnt hohes Level bringt. So hat die Kamera dieselbe Smart-HDR-Funktion wie die großen iPhones und verfügt auch über dieselben Porträt-Modi. Die Ergebnisse meiner ersten Testfotos sind bemerkenswert gut. Nur bei Dunkelheit liefert das iPhone SE eher unbefriedigende Ergebnisse, der Nachtmodus der 11er-Modelle fehlt. Und mir persönlich fehlt auch ein Teleobjektiv, denn eine zweite Kamera auf der Rückseite hat sich Apple gespart.

Dafür macht das SE ausgesprochen gute Videos, auch in 4K-Auflösung und mit bis zu 60 Hertz Bildwiederholfrequenz. Die Frontkamera scheint unverändert vom iPhone 8 übernommen und per Software um Porträt-Modi erweitert worden zu sein, die der A13-Chip ermöglicht.

So klein und leicht...
Was Apples Chip nicht ermöglicht, ist eine Verbesserung des offenbar ebenfalls vom iPhone 8 übernommenen Bildschirms. Während der 2017, als das iPhone 8 auf den Markt kam, noch am Puls der Zeit war, wirkt er heute etwas angestaubt. Bildqualität, Farbdarstellung und Schärfe sind wunderbar, doch er erreicht nicht die Helligkeit, die ich von aktuellen Smartphones gewöhnt bin. An sonnigen Tagen, wie in diesem April, ist das Display deshalb manchmal schwerer abzulesen, als etwa das eines iPhone 11 Pro.

Ungewohnt ist für mich auch die Größe des iPhone SE. Seit Jahren teste und benutze ich XL-Smartphones. Gegen die ist das SE mit seinen 4,7 Zoll geradezu winzig und federleicht. Aber vielen Menschen scheint das zu liegen. Apples hat nach eigenen Angaben schon 500 Millionen iPhones dieser Größe verkauft. So wie mit der Größe hadere ich auch dem Fingerabdrucksensor des iPhone SE: Aber auch das wohl nur, weil ich mich auf Android und iOS längst an Gesichtserkennung gewöhnt habe, die hier nicht verbaut wurde.

spiegel


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