Es ist einer dieser typischen Neururer-Gedanken, der sehr viel von dem zusammenfasst, was wir über Peter Neururer wissen und wie wir über ihn denken: "Wenn wir ein Quiz machen würden unter den Trainern in Deutschland, wer am meisten Ahnung hat von Trainingslehre, Psychologie, und der Trainer mit den besten Ergebnissen kriegt den besten Klub – dann wäre ich bald bei Real Madrid." Man könnte auch sagen: "Bei mir kommt immer was raus. Und wenn es der letzte Scheiß ist."
Ein Spieler des VfL Bochum hat einmal über das Motivationswunder und Phänomen Peter Neururer, der seine Diplomarbeit zum Sportlehrer unter der Themenstellung "Einflussnahme der Zuschauer auf die Emotionslage der Profifußballer mit leistungsbezogenen Determinanten" ablieferte, etwas Interessantes gesagt:
"Der holt dich zu sich und erzählt dir eine halbe Stunde lang, was für ein überragender Fußballer du bist. Stärken ohne Ende hättest du. Wenn das so weiter geht, und er wüsste bei bestem Willen keinen Grund, warum nicht, sei die Nationalmannschaft nur noch eine Frage von Stunden, maximal Tagen. Du gehst von ihm weg und glaubst tatsächlich, dass du einer der ganz Großen bist – im deutschen Fußball ohnehin und eigentlich auch im Weltfußball. In dem Bewusstsein spielst du dann in den kommenden Wochen. Bis zu dem Tag, an dem du dich zu wundern beginnst, warum eigentlich noch nicht Real Madrid oder wenigstens der FC Barcelona bei dir angerufen hat. Ab diesem Moment fängst du an nachzudenken. Stimmt das eigentlich, was der Coach da über dich gesagt hat? Bist du wirklich so ein überragender Fußballer? Und kaum, dass du dich versiehst, zweifelst du unbewusst an den Worten deines Trainers. Und irgendwann ist es dann vorbei!"
Häufig war es dann auch für Neururer bereits schon wieder vorbei. Den Fall des Job-Verlustes hat der gebürtige Marler angeblich so häufig erlebt wie kein anderer Trainer in Europa. Die meisten Entlassungen auf seinem Karriere-Konto zu haben, ist schließlich auch eine Leistung. Nur die Phasen dazwischen empfand Neururer verständlicherweise als nicht so angenehm. Doch auch über das Warten auf einen neuen Job konnte der ehemalige Bundesligatrainer schon immer sehr originell reden: "Wenn das Telefon klingelte, hechtete ich zum Hörer wie Toni Schumacher, nur ohne Torwarthandschuhe. Meistens waren aber nur Bekannte dran."
"Was ein Hammerwerfer!"
Als Schalke damals bei ihm, dem Jung-Trainer von Alemannia Aachen, anrief und ihm einen unglaublichen Vertrag offerierte (u.a. eine Deutsche Mark für jeden Zuschauer im Parkstadion), musste Neururer nicht lange überlegen – er sagte sofort zu. Dass das kleine Fußballmärchen schließlich so abrupt endete, hat er bis heute nicht verwunden. Die Schuld gab er dem ehemaligen Präsidenten des S04, Günter Eichberg, der ihm mitten auf dem Weg in die so heißersehnte erste Liga den Laufpass gegeben hatte.
Als sich die beiden viele Jahre nach der für viele überraschenden Entlassung zufällig trafen, hatte Neururer dem früheren "Sonnenkönig" immer noch nicht verziehen: "Erst neulich habe ich den Eichberg im VIP-Bereich auf Schalke wiedergesehen. Da hat der mich umarmt und in mein Ohr genuschelt: ‚Ah, da ist ja mein Lieblingstrainer.’ Was ein Hammerwerfer!"
In Saarbrücken erlebte Peter Neururer seine wohl kurioseste Station.
Nach einem kurzen Ausflug zur Hertha landete der Junge aus dem Ruhrgebiet bei einer seiner kuriosesten Trainerstationen. Die Elf des 1. FC Saarbrücken, die Neururer in der Saison 1992/93 betreute, gehört zu den bizarrsten Teams, die es in der Bundesliga-Geschichte je gab. Alles fing damals mit einem Sektempfang zum Aufstieg an. In geselliger Runde traf man sich bei Ministerpräsident Oskar Lafontaine. Der Klub hatte in der Euphorie für die komplette Führungsriege einen neuen Ausgehdress springen lassen und so präsentierten sich die Herren einheitlich mit bunten Krawatten im Schredder-Look und dazu einem pinkfarbenen Jacket, das Trainer Peter Neururer bis heute als "Frühstücksjacket" bezeichnet: "Damit kannst du Eier abschrecken!"
"Yippie, endlich mal wieder zwei Punkte geholt!"
Als Neururer damals an seinem ersten Tag in Saarbrücken etwas knapp in der Zeit mit quietschenden Reifen in seinem Porsche vorfuhr, sprach ein anwesender Reporter den legendären Satz: "Peter Neururer fährt kein Auto, Peter Neururer schleudert Auto!" Diese Erkenntnis führte einige Monate später in der Tristesse des Abstiegskampfs zu einem kurzen heiteren Moment, als man dem Coach während einer laufenden Pressekonferenz einen Brief aus Flensburg hereinreichte und Neururer Sekunden später jubelnd die Arme hochriss und rief: "Yippie, endlich mal wieder zwei Punkte geholt!"
Zu feiern gab es in dieser Bundesliga-Saison so wenig, dass sich Neururer einmal während eines Jubelsprungs sogar einen Bänderriss zuzog. Sein Körper sei auf ein Tor einfach nicht mehr vorbereitet gewesen, meinte er hinterher grinsend. Es war aber auch ein zu verrücktes Jahr – mit unglaublichen Typen, die Neururer da um sich gescharrt hatte. Wolfram Wuttke, Stefan Brasas, Thomas Stickroth, Michael "Balu" Kostner und der erste US-Amerikaner in der Bundesliga, Eric Wynalda. Doch alles übertroffen hat damals ein Mann: Arno Glesius. Mit Tränen in den Augen erzählt Neururer heute noch von dem Morgen, als Glesius zu ihm in die Kabine kam und meinte: "Trainer, ich muss mal eben für drei Stunden weg: Von 8 bis 10!"
Nach einem kurzen Abstecher nach Hannover landete der Ruhrgebiets-Junge bei seinem Herzensverein, dem 1. FC Köln: "Ich war schon FC-Fan, als Overath noch als Quark im Schaufenster ausgestellt war." Eine erlebnisreiche Zeit folgte. Als Neururer schließlich auch beim FC entlassen wurde, konnte er den zurückliegenden Monaten dennoch eine Menge Positives abgewinnen: "In Köln rauszufliegen ist keine Schande. Ich habe meinen Vertrag sogar zweimal verlängert – wer hat das denn in Köln sonst noch geschafft. Einen Fußball-Nobelpreis gibt es ja nicht. Aber eigentlich hätte ich ihn verdient!"
Das Neururergebiet!
Seine erfolgreichsten Jahre erlebte Neururer ohne Zweifel beim VfL Bochum. Nachdem die Blau-Weißen damals nacheinander Schalke und Dortmund geschlagen hatten und auf den Weg in den Europapokal waren, meinte BVB-Manager Michael Meier: "Bochum sollte den Antrag stellen, das Ruhrgebiet in Neururergebiet umzubenennen." Eines Tages gab der VfL-Coach ausgerechnet vor einem Spiel gegen den großen FC Bayern München in der Kabine seine legendäre Donald-Duck-Nummer – Quatschen wie die beliebte Disney-Figur im TV - zum Besten. Einfache Begründung von Neururer: Er wollte seinen Spielern die Nervosität nehmen. Anschließend hat er direkt vor dieser Partie in der Kabine noch gesagt: "Wenn wir heute in der 89. Minute das 1:0 schießen, müssen wir als VfL Bochum das Selbstbewusstsein haben, nicht groß zu jubeln."
Als der Däne Peter Madsen an diesem denkwürdigen Tag bereits nach wenigen Minuten das erste Tor für den VfL schoss, ging er locker-lässig, ohne zu jubeln, zur Mittellinie. "An der Seitenlinie hat der Uli Hoeneß getobt", erinnert sich Neururer. "Der hat geglaubt, wir hätten es jetzt nicht einmal mehr nötig, uns bei einem Tor gegen die Bayern zu freuen." Dabei hatte Peter Madsen seinen Trainer einfach nur nicht richtig verstanden. Vielleicht war er auch noch etwas zu sehr von Donald-Duck-Nummer abgelenkt gewesen. Sei es, wie es ist. Das Endergebnis lautete 1:0.
Seine Spieler sind Neururer immer heilig gewesen. Doch als ein Journalist einmal von ihm wissen wollte, ob der Intellektuellste in der Mannschaft stets auch der Kapitän sein solle, platzte es aus ihm heraus: "Um Gottes willen! Ich habe mal einen Spieler gehabt, einen Kapitän, der war so was von dumm, der war dumm wie … dumm wie … (Einwurf des Interviewpartners: "Brot?") Ach, der hatte einen IQ, der so einzuordnen war wie die Temperaturen, die wir im Moment draußen haben, der war fast schon debil. Aber ein ü-ber-ra-gen-der Fußballer! Dem musste ich nichts erklären, der hat alles immer richtig gemacht. Intuitiv. Seine Fußballintelligenz war sensationell. Aber vom normalen Intellekt: katastrophal. Der hat gehupt, wenn er gegen einen Baum gefahren ist."
"Bewerben? Ich muss gefunden werden"
Seit auch seine zweite Amtszeit in Bochum 2014 zu Ende war, widmet sich Neururer verstärkt seiner neuen Berufung – auch wenn er eigentlich nie beim Fernsehen landen wollte: "Bei meiner versteckten Hasenscharte und den ganzen Sprachfehlern bleibe ich lieber in dem Metier, in dem ich mich auskenne." Aber einen Job im Profi-Fußball gäbe es ohnehin nur noch auf einem Wege, wie er einmal launig erzählte: "Ich? Mich bewerben? Ich muss gefunden werden."
Am heutigen Sonntag feiert Peter Neururer seinen 65. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch, alles Gute und Glück auf!
Quelle: ntv.de
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