Mit Pop gegen Russland

  19 Februar 2016    Gelesen: 816
Mit Pop gegen Russland
Die ukrainische Sängerin Jamala ist die Hoffnung der Krimtataren.
Noch ist der Vorentscheid zum Eurovision Song Contest in der Ukraine nicht gelaufen, aber ein Star fährt schon auf der Siegerstrasse: Susana Dschamaladinowa, Künstlername Jamala. Die junge Frau hat die ersten Runden problemlos gewonnen – mit einem sehr politischen Lied über die Deportation ihrer Vorfahren nach Zentral-asien unter Stalin im Jahr 1944. «1944» – so heisst auch das Lied, mit dem sie im Viertel- und Halbfinale antrat. Das ukrainische Publikum und die Jury überschütteten Jamala mit Ovationen.

Auf Westeuropäer wirkt der Auftritt vielleicht zu pathetisch, die Mischung aus Englisch und Krimtatarisch klingt wenig verständlich. Aber Jamala, die nach eigenen Angaben die Odyssee ihrer Grossmutter zum Anlass für das Lied nahm, verkündet vor allem eine doppelte politische Botschaft: Sie möchte, dass die Deportation von einer Viertelmillion Tataren im Zweiten Weltkrieg nicht in Vergessenheit gerät – und dass die Annexion der Krim durch Russland 2014 ein Stachel im Fleisch der Ukraine bleibt.

Der Slogan «Krim nasch», die Krim ist unser, mit dem Kiew gegen den Verlust der Halbinsel protestiert, war während des Krieges im Donbass und der eskalierenden innenpolitischen Krise zuletzt in Vergessenheit geraten. Aber sei es, weil Regierung und Präsident von dieser Krise ablenken wollen, sei es, weil die Lage der Tataren auf der Krim besorgniserregend ist und Moskau ihre Menschenrechte verletzt: Die Krim steht wieder auf der Tagesordnung. Präsident Petro Poroschenko betont, dass der Frieden im Osten, aber auch die Wiedergewinnung der Krim für die Ukraine von höchstem Belang seien.

Dazu will die 32-jährige Sängerin ihren Beitrag leisten. Sie ist in Kirgistan geboren, wohin ihre Familie verschleppt worden war, und erst nach der ukrainischen Unabhängigkeit in die Heimat ihrer Eltern zurückgekehrt. Ihre ersten Aufnahmen mit tatarischer Volksmusik entstanden, als sie neun Jahre alt war, später ging sie auf ein Musikgymnasium und studierte an der Musikhochschule in Simferopol Operngesang.

Eigentlich ist die mehrfach auch international preisgekrönte Sängerin ein Jazzfan, aber beim Eurovision Song Contest in der Ukraine trat sie 2011 erstmals mit einem Popsong an. Aus Protest gegen Manipulationen beim Voting zog sie damals ihre Bewerbung zurück, nun versucht sie es erneut. «Die Menschheit weint», heisst es in «1944», «jeder um mich herum stirbt. Verschlingt nicht meine Seele, unsere Seelen.» Fast die Hälfte der Krimtataren ist während der Deportationen umgekommen. Sie wolle nicht, dass sich das Leid auf der Halbinsel wiederhole, sagt Jamala.

Ihre Fans von der Krim konnten bei den jüngsten Entscheidungen nicht mitstimmen: Seit Russland das Gebiet kontrolliert, sind ukrainische TV-Sender dort abgeschaltet. Aber in den sozialen Medien äusserten sich Tausende Krim-Bewohner regelrecht begeistert.

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