Was dieses Paket historisch macht

  04 Juni 2020    Gelesen: 395
  Was dieses Paket historisch macht

130 Milliarden Euro drückt die Regierung ins Land: Das ist das Ergebnis eines 21-stündigen Verhandlungsmarathons. Durchgesetzt hat sich dabei nicht die eine oder andere Partei, sondern eine neue Strategie. Und das macht das Konjunkturpaket tatsächlich historisch.

Als die Vertreter der Großen Koalition gestern am späten Abend vor die Kameras der Presse traten und das Ergebnis des Marathon-Koalitionsausschusses skizzierten, war es anschließend nicht leicht, kritische oder gar ablehnende Reaktionen auf das 130 Milliarden Euro schwere Konjunkturpaket zu finden. Besonders symbolträchtige Punkte konnten sich nicht durchsetzen. Vielmehr besteht die Schnittmenge des Kompromisses aus 57 Einzelpunkten, denen nicht wenige Beobachter zutrauen, die drohende Rezession tatsächlich abzufedern - zumindest ein Stück weit.

Eine dieser symbolträchtigen Ideen war auf SPD-Seite etwa die Vermögensabgabe für Reiche. Beim Koalitionspartner Union wurde die Autokaufprämie hitzig diskutiert. Von beiden Vorschlägen war am Ende keine Rede mehr. Auch der rational wenig begründete Vorstoß von CSU-Chef Markus Söder, den Umfang des Pakets bei 100 Milliarden Euro zu deckeln, hat es nicht geschafft. Beide Seiten haben einen politisch nachvollziehbaren Kompromiss geschlossen und dabei wichtige Punkte für sich geholt. Doch keine hat die Verhandlungen dominiert. Durchgesetzt hat sich vielmehr eine neue politische Strategie - sie dominiert den Beschluss.

Die Sozialdemokraten können zufrieden sein. Familien erhalten eine Sonderzahlung von 300 Euro pro Kind. Familien, die von Grundsicherung leben, wird der Betrag nicht angerechnet. Die Forderung hatte sich die SPD vor den Verhandlungen in besonders großen Lettern auf die Fahnen geschrieben. Einen Altschuldenerlass für die Kommunen gibt es zwar nicht, doch übernimmt der Bund die Kosten für Unterkunft und Heizung für Hartz-IV-Empfänger künftig im Umfang von bis zu 75 Prozent. Das klingt nach einer sozialpolitischen Kleinigkeit, doch genau diese Ausgaben machen strukturschwachen Städten und Gemeinden zu schaffen. Der Städtetag zeigte sich in einer ersten Reaktion "beeindruckt". Auch die Senkung der Mehrwertsteuer war der SPD wichtig. Sie kommt - zunächst bis Ende des Jahres.

Sogar die Opposition lobt

In den rund 21-stündigen Verhandlungen knirschte es nach Angaben aus Teilnehmerkreisen vor allem bei Punkten, die der SPD wichtig waren. Den größten "Abstimmungsbedarf" habe es gegeben, als es um die Unterstützungen für Kommunen und insbesondere den Erlass von Altschulden ging. Weiter heißt es, die Verhandlungen seien für "längere Zeit" unterbrochen worden und die SPD-Vertreter hätten sich zur Beratung in einem Raum des Kanzleramtes zurückgezogen. Den 300-Euro-Kinderbonus hatten die Sozialdemokraten zu diesem Zeitpunkt wohl schon im Sack. Scheinbar ging es darum, den nächsten gewichtigen Punkt - Altschuldenerlass für die Kommunen - durchzubekommen. Dafür hat es am Ende nicht gereicht. Dennoch: Die SPD hat viele ihrer Forderungen durchgesetzt.

Gleiches gilt für die Union. Für CSU-Chef Söder war die Senkung der Mehrwertsteuer ein "Herzstück" der Verhandlungen. Außerdem wollte die Union die Bürger bei den Stromkosten entlasten. Das Ergebnis: Die EEG-Umlage soll in den kommenden Jahren mit Bundesmitteln auf 6 beziehungsweise 6,5 Cent pro Kilowattstunde gedeckelt werden. Allein dieser Punkt macht 11 der insgesamt veranschlagten 130 Milliarden Euro aus. Auch fließen mehr als 10 Milliarden Euro in unterschiedliche Mobilitätsprojekte, weitere 7 in eine "Nationale Wasserstoffstrategie". Beides stand auf dem Wunschzettel von CSU-Verkehrsminister Andreas Scheuer. Bei anderen Themen musste die Union zurückstecken: Eine vorzeitige Abschaffung des Solidaritätszuschlags wird es nicht geben, ebenso wenig eine Kaufprämie für Neuwagen.

Der Paradigmenwechsel wird Regierungspolitik

Am Ende durchgesetzt haben sich also weder SPD noch Union, oder aber beide. Denn bemerkenswert ist das Ergebnis der Verhandlungen eben nicht, weil sich die eine oder andere Partei durchgesetzt hat, sondern weil sich letztlich eine neue politische Strategie offenbart. Das aktuelle Konjunkturpaket entscheidet sich grundsätzlich von dem alten in der Art und Weise, wie das Geld verteilt wird - deutlich breiter. Finanzminister Olaf Scholz spricht von "Wumms". Kritiker vergleichen den "Wumms" mit einer wenig zielgenauen Schrotflinte.

Union und SPD setzen darauf, dass die Bürger mehr Geld ausgeben und dass die Unternehmen investieren. Dazu soll extrem viel staatliches Geld fließen, das die Binnenkonjunktur ankurbeln soll. Zur Erinnerung: Als die schwarz-gelbe Bundesregierung 2010 auf die Folgen der Finanzkrise reagierte, sollten 80 Milliarden Euro eingespart werden - vor allem im sozialpolitischen Bereich. Demgegenüber stand eine staatliche Prämie in Höhe von 2500 Euro für all jene, die sich einen Neuwagen leisten konnten. Nun ist es andersherum: Die Autoprämie ist schnell vom Tisch. Von den größten Posten im aktuellen Konjunkturpaket - Mehrwertsteuersenkung, Kinderbonus, Strompreisdeckelung - profitieren auch und vor allem die sozial Schwachen.

Über den Umgang mit Schulden gab es in Deutschland lange eine einhellige Meinung: Sie müssten vermieden werden, um nachfolgenden Generationen keine "Altlasten" zu hinterlassen. Dieses Paradigma hat sich bei Ökonomen und Teilen der politischen Parteien verändert: In Zeiten historisch niedriger Zinsen müsse stattdessen investiert werden, um nachfolgenden Generationen ein Land zu hinterlassen, das gut ausgestattet und intakt ist. Das Konjunkturpaket ist der erste handfeste Beweis, dass diese Überzeugung Teil des Regierungshandelns geworden ist.

Quelle: ntv.de


Tags:


Newsticker