Putin will weitere 16 Jahre

  25 Juni 2020    Gelesen: 622
  Putin will weitere 16 Jahre

Wladimir Putin möchte sich als ewiger Präsident Russlands etablieren. Damit er seinen Posten im Kreml nicht aufgeben muss, soll eine geänderte Verfassung her. So wären noch einige Amtszeiten drin für ihn. Die Russen dürfen zwar abstimmen, doch Kritiker glauben nicht an eine faire Wahl.

Mit aller Kraft klammert sich Wladimir Putin an die Macht. Nach mehr als 20 Dienstjahren will sich der 67-Jährige nun per Verfassungsänderung weitere Amtszeiten als Präsident sichern. Damit könnte er die Rohstoff- und Atommacht weiter führen. Noch 16 Jahre. Bis 2036. "Posor!" - auf Deutsch "Schande" - kommentierte Russlands prominentester Blogger Juri Dud die Pläne. Die Abstimmung über die von Putin veranlasste größte Grundgesetzänderung der russischen Geschichte ist für den 1. Juli angesetzt. Wegen der Corona-Pandemie, damit ausreichend Zeit ist, läuft der Urnengang schon von diesem Donnerstag an.

Der Star Dud, der ein Millionenpublikum hat, veröffentlichte ein Video von 2008, in dem Putin noch erklärte, dass er anders als viele andere Politiker nicht süchtig nach Macht sei. Doch nun ändere er selbst die Verfassung, um nicht gehen zu müssen, ärgert sich 33-jährige Dud. Dabei hat Putin nicht nur einmal versprochen, die 1993 unter Präsident Boris Jelzin angenommene Verfassung nicht anzurühren. Kremlgegner sprechen von einem "Verfassungsumsturz" und rufen zum Boykott oder zur Abstimmung mit Nein auf.

Einige zentrale Punkte:

Versprochen wird eine Rentenanpassung mindestens einmal im Jahr

Erstmals verbrieft wird, dass eine Ehe nur zwischen Mann und Frau möglich ist - Putin hatte versichert, dass es gleichgeschlechtliche Ehen nicht geben werde, solange er regiere

Verbrieft wird nun, dass Russland auf seinem Gebiet Rechtsnachfolger der Sowjetunion ist und das Anfang der 1990er zerfallene Land auch in internationalen Organisationen vertritt

Doch die Kritiker bringen viele Argumente gegen die Verfassung vor. Hauptkritikpunkt ist ein eigens für Putin eingefügter Passus, wonach seine bisherigen vier Amtszeiten trotz der maximal zwei zulässigen nicht gezählt werden. Die Verfassungsexperten des Europarates, in dem Russland Mitglied ist, befürchten, dass sich das Land künftig nicht mehr an Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte halten könnte. Schon jetzt stört sich die russische Politik immer wieder an den Strafen. Insgesamt erhält der Präsident nach Meinung von Experten noch mehr Machtbefugnisse als jetzt schon. Sie halten das ganze Verfahren der Grundgesetzänderung ohne einen Verfassungsausschuss für illegal. Während die dominanten Staatsmedien ausschließlich für die Verfassung werben, bleibt den Kritikern nur das Internet. Straßenproteste sind wegen der Corona-Pandemie verboten.

Die Behörden locken zudem offen mit Gewinnspielen und Preisen die Wahlberechtigten an die Urnen. Der Kreml überlässt nach Meinung von Wahlbeobachtern nichts dem Zufall, damit das Vorhaben erstens ausreichend Bürger mobilisiert und zweitens auch die nötige Zustimmung bringt. Mehr als 110 Millionen Menschen sind zu dem Referendum aufgerufen. Verbreitet ist allerdings die Kritik, Putin setze die Menschen mit der Volksabstimmung in der Corona-Pandemie mit extrem hohen Infektionszahlen in Russland unnötig der Gefahr aus. Der Kreml meinte dazu, die Stimmabgabe sei nicht gefährlicher als ein Einkauf. Mit panischer Stimmung im Machtapparat erklärten sich Kommentatoren zuletzt dagegen Warnungen von Funktionären, in Russland breche alles zusammen, wenn die Verfassungsänderung platze. Und auch Putin wurde deutlich: Wenn das Volk nicht zustimme, dann sei bald die Regierung nicht mehr arbeitsfähig, weil dann die Suche nach einem Nachfolger für ihn beginne. "Wir müssen arbeiten, keine Nachfolger suchen", betonte er.

Langjährige Anhänger sprechen von Realitätsverlust

Dabei waren Putins Zustimmungswerte schon vor der Corona-Krise im Sinkflug. Seit Wochen nimmt die Proteststimmung zu, weil die Reallöhne rasch sinken, die Arbeitslosigkeit und mit ihr die ohnehin große Armut zunehmen. Weil Putin dagegen in Fernsehansprachen erklärt, wie erfolgreich Russland im Kampf gegen die Pandemie sei, werfen ihm sogar langjährige Anhänger Realitätsverlust vor. Zugesichert hat Putin, die im Eiltempo vom Parlament angenommene und von ihm unterzeichnete Verfassung erst in Kraft zu setzen, wenn das Volk zustimme.

Das Referendum sei für ihn wichtig, um sich auf eine Mehrheit in der Bevölkerung zu berufen, sagte Andrej Kolesnikow von der Moskauer Denkfabrik Carnegie Center. "Die Abstimmung soll die Annullierung seiner bisherigen Amtszeiten legalisieren." Kolesnikow sieht die Verfassung als Mix aus sowjetischen Propaganda-Klischees, unbeholfenen patriotischen Banalitäten und ultrakonservativen Ansichten. "Diese seltsame Verbindung aus Lug und Selbstbetrug wird kaum zu einer Stabilisierung der Zustimmungswerte für die Machthaber führen", meint er.

Wahlbeobachter machen sich indes keine Illusionen. Sie beklagten schon nach Präsidenten-, Parlaments- und Regionalwahlen stets Manipulationen. Diesmal, sagen sie, sei schon wegen der vielen Abstimmungstage bis 1. Juli kaum eine Kontrolle möglich. Zugelassen ist teils auch eine elektronische Abstimmung im Internet. Experten der unabhängigen Wahlbeobachter-Organisation Golos kritisierten massive Verstöße gegen die Freiheiten der Wähler. Der Staat ignoriere mit seiner überall präsenten Agitation und Propaganda die Prinzipien der politischen Neutralität. Verhindert werde Meinungsvielfalt. Zudem kritisierte Golos den Druck auf Staatsbedienstete. Lehrer und Ärzte etwa würden unter Androhung von Nachteilen im Job dazu gedrängt, ihre Stimme abzugeben.

Quelle: ntv.de, Ulf Mauder, dpa


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