Tante Margit und der Mord an 180 Juden

  24 Februar 2016    Gelesen: 980
Tante Margit und der Mord an 180 Juden
Für seine Vorfahren hat sich Sacha Batthyany nie ernsthaft interessiert. Doch dann bringt ihn ein 1945 verübtes Massaker an 180 Juden seiner Familie näher. Und verändert seinen Blick auf sich selbst.
"Was hast du denn für eine Familie?" Mit diesen Worten überreicht eine Kollegin Sacha Batthyany 2007 eine herausgetrennte Zeitungsseite. Der Titel "Die Gastgeberin der Hölle" macht den Schweizer Journalist ratlos. Die auf dem Foto abgebildete Frau aber kennt er. Es ist seine Großtante Gräfin Margit von Batthyany-Thyssen.

Der Inhalt des Artikels ist bestürzend: Auf ihrem Schloss im österreichischen Rechnitz richtete die Erbin des Milliardärsclan Thyssen am 24. März 1945, kurz bevor die Rote Armee den Ort erreichte, ein rauschendes Fest aus. Geladen waren lokale NS-Größen sowie Mitglieder von Gestapo und Hitlerjugend. Um Mitternacht fuhren einige von ihnen zum Bahnhof und erschossen "aus Spaß" 180 jüdische Zwangsarbeiter.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Batthyany noch nie von diesem unfassbaren Verbrechen gehört. Warum schweigt die Familie? Was ist wirklich in der Nacht passiert? War Tante Margit, mit der sich die Familie bis zu ihrem Tod dreimal jährlich nicht ohne Murren in einem Nobelrestaurant traf, unter den Mördern?

Journalist wird "Kriegsenkel"

Batthyany recherchiert in Archiven, wälzt Prozessakten, reist nach Rechnitz und spricht mit Zeitzeugen. Bei seinen Verwandten stößt seine Entschlossenheit auf wenig Begeisterung. Aber er lässt sich von ihren "Wozu-alte-Geister-wecken"-Beschwörungen nicht aufhalten. Das Ergebnis seiner Nachforschungen: Es gibt keine Beweise dafür, dass Tante Margit selbst gemordet hat. Vieles aber bleibt im Vagen.

Vielleicht hätte er es damit auf sich beruhen lassen. Als er aber in seiner Heimatstadt Zürich zufällig mit dem Schriftsteller Maxim Biller ins Gespräch kommt, formuliert der eine entscheidende Frage: "Und was hat das mit dir zu tun?" Batthyanys spontane Antwort "Nichts, warum auch, ist doch alles so lange her" hält nicht lange stand.

So wird der Journalist zum "Kriegsenkel" und das anfängliche Zusammentragen reiner Fakten über die Großtante und ihre grausame NS-Party mündet in eine siebenjährige Reise in die Familienvergangenheit, die Batthyany um die halbe Welt, auf die Couch eines Psychoanalytikers und schließlich zu sich selbst führt. In seinem nun erschienenen Buch "Und was hat das mit mir zu tun?" nimmt er den Leser mit auf diesen Weg voller Wut, Zweifel und Erkenntnisse.

Ein weiteres vertuschtes Verbrechen

Immer stärker rücken bei seinen Nachforschungen die Großeltern in den Mittelpunkt. In Sibirien sucht Batthyany nach den Überresten des Lagers, in dem der Opa zehn Jahre lang inhaftiert war und aus dem er als gebrochener Mann nach Hause zurückkehrte. Im Kriegstagebuch der Oma stößt er auf ein weiteres vertuschtes Verbrechen, das vor den Augen der Großmutter stattfand. Hier sei nur verraten, dass das Familiengeheimnis den Enkel bis nach Buenos Aires zu einer Auschwitz-Überlebenden führt.

Wenn es stimmt, dass Traumata von einer Generation an die nächste weitervererbt werden, dann muss auch er geprägt sein von dem Fehlverhalten und den seelischen Verletzungen seiner Vorfahren, ahnt Batthyany. Er sucht nach den Anzeichen davon in seinem Leben, seinem Handeln, im Verhältnis zu seinem Vater. Am Ende landet er bei der einen großen Frage der Nachgeborenen: "Wäre Krieg wie vor 70 Jahren, liefen wir nicht alle mit?"

In "Und was hat das mit mir zu tun?" darf der Leser Batthyany bei seiner Suche nach Wahrheit und Wahrhaftigkeit sehr nahe kommen. Nach und nach legt der Autor auf spannenden 250 Seiten die Geschichte seiner Familie offen, die immer weitere Kreise zieht und eng mit den Grausamkeiten von Nationalsozialismus und Stalinismus verknüpft ist. Wie die Vergangenheit ihre Spuren in der Gegenwart hinterlässt, davon erzählt er mutig, ehrlich und schonungslos - auch gegenüber sich selbst. Ein großartiges Buch.

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