Athen, Mazedonien und die serbisch-ungarische Grenze bei Röszke seien seine nächsten Stationen gewesen, dann Budapest, Österreich und schließlich München. Zehn Tage habe er in einer Unterkunft der bayerischen Erstaufnahme in Marktredwitz verbracht. Dann führte ihn der "Königsteiner Schlüssel" zur Verteilung von Flüchtlingen auf die Bundesländer nach Rheinland-Pfalz.
"Du musst abwarten und geduldig sein"
Eigentlich möchte Mohammed gern nach Stuttgart und dort sein Studium der Wirtschaftswissenschaften fortsetzen. Dort le be ein Cousin aus der ersten Ehe seines Vaters mit einer deutschen Frau. "Kann er irgendetwas für mich tun?" fragt Mohammed den Leiter der Unterkunft. "Nein, Du musst abwarten und geduldig sein", antwortet der 35-jährige Ziemer.
Zwischen einem Besuch von Landrat Winfried Hirschberger (SPD) und der wieder drängenden Büroarbeit nimmt er sich Zeit, um mit Bewohnern zu sprechen, ihre Sorgen anzuhören. "Nachts wird es ziemlich kalt", sagt Mohammed über seinen Schlafplatz in einem Zelt zusammen mit 230 anderen Flüchtlingen. "Ich weiß", antwortet Ziemer. Er hofft, bald zwei Kasernengebäude bezugsfertig zu haben, so dass das Zelt nicht mehr benötigt wird.
Bis es richtig Winter wird, soll aus der Notunterkunft eine richtige Erstaufnahme-Einrichtung werden, nach der jetzigen Planung soll es im Dezember soweit sein. Ziemer, Absolvent der Verwaltungsfachhochschule in Mayen, war zuletzt im Referat für Flüchtlingspolitik im Integrationsministerium in Mainz tätig, ehe er im September die Aufgabe übernahm, die neue Unterkunft in Kusel zu leiten. "Die Praxis hier ist eine völlig andere als die Schreibtischwelt in Mainz", sagt er über seine Arbeit mit der Verantwortung für zurzeit 680 Flüchtlinge in einem Zelt und zwei Hallen auf dem Gelände der erst im Frühjahr von der Bundeswehr geräumten Unteroffizier-Krüger-Kaserne.
Wichtiger Anstoß für die Belebung der Konjunktur
"Es ist etwas beengt hier, aber bisher klappt alles gut", sagt Landrat Hirschberger. Alle zwei bis drei Tage sei er in der Unterkunft, um sich über den Stand der Arbeiten zu unterrichten. Als einer von vier neuen Standorten für das Netz von Aufnahmeeinrichtungen für Asylbegehrende (AfA) ist Kusel für 700 Flüchtlinge geplant. "Wenn es 1000 werden, ist es auch gut", stellt sich der Landrat schon mal auf einen höheren Bedarf ein. Das sei bei knapp 5000 Einwohnern in der kleinsten Kreisstadt Deutschlands zwar ein nicht ganz einfaches Verhältnis. Aber angesichts des Bevölkerungsrückgangs in der strukturschwachen Region biete die Aufnahme von Flüchtlingen für die Region auch eine wichtige Chance.
Gerade in Gegenden mit Abwanderungstendenzen sei der Zuzug von Menschen perspektivisch ein wichtiger Anstoß für die Belebung der Konjunktur, sagt die rheinland-pfälzische Europaabgeordnete Jutta Steinruck (SPD), die sich vom Landrat die Unterkunft in der Westpfalz zeigen lässt. "Wenn die Menschen eine Bleibeperspektive bekommen, dann geht es auch darum, dass sie einen Hausstand einrichten und damit entsprechend Ausgaben in der regionalen Wirtschaft tätigen."
Wichtiger noch seien die mit zusätzlichen Ausgaben in Bildung und Infrastruktur verbundenen Effekte. Hier seien die öffentlichen Haushalte gefordert. "Das stärkt eine Region wie die Westpfalz, nicht nur die Flüchtlinge."
"Das Klima ist super"
Die Sprache zu lernen ist der erste große Schritt, um richtig anzukommen. Die kleine Rohat kommt gerade aus einem Sprachkurs mit einer ehrenamtlichen Lehrerin und zeigt auf einem Blatt Papier stolz, was sie heute gelernt hat: Die Namen der Wochentage und Bezeichnungen für Körperorgane, daneben die Wörter auf Arabisch. Ihr kleiner Bruder kurvt derweil auf einem Dreirädchen durch die Gänge zwischen den Stockbetten.
Die Unterkunft liegt einen Kilometer außerhalb vom Stadtkern, wo die geflüchteten Menschen inzwischen zum Straßenbild gehören. Die Nachbarschaft mit den Flüchtlingen gestalte sich bislang völlig unproblematisch, sagt der Polizeibeamte Dieter Morgenstern. "Ich bin angenehm überrascht, wie sich die Sache hier entwickelt."
Auch in der Unterkunft selbst ist es nach Angaben Ziemers von einigen kleineren Diebstählen abgesehen ruhig: "Das Klima ist super." Etwa die Hälfte der Bewohner sind Syrer, danach folgen Flüchtlinge aus Afghanistan, Pakistan, dem Irak und Balkanstaaten.
Mohammed wird etwa fünf bis sechs Wochen in Kusel bleiben. Die medizinische Untersuchung hat er hinter sich. Jetzt wartet er auf die Registrierung seiner persönlichen Daten für das Asylverfahren beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Irgendwann werde sein Name auf einer Liste der BAMF-Außenstelle Trier stehen, dann werde er mit einem Bus dorthin gebracht, erklärt ihm Ziemer. Mit einem Termin für die Anhörung zu den Gründen für seinen Asylantrag könne er aber erst für November oder Dezember 2016 rechnen. "So lange?" fragt der junge Syrer ungläubig. Dann fügt er hinzu: "Ich werde Deutsch lernen. Alles in Ordnung." Und hofft auf das Studium in Stuttgart.
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