StVO-Novelle könnte in der Tonne landen

  14 Juli 2020    Gelesen: 564
StVO-Novelle könnte in der Tonne landen

Kaum sind die neuen Bußgelder für Temposünden außer Kraft, muss geklärt werden: Wie geht es weiter im Kampf gegen Raser? Die Länder wollen nun Fahrverbote aufheben. Doch eine Grundsatzdebatte könnte die ganze Novelle kippen.

Ein gutes Jahr nach dem Desaster mit der Pkw-Maut lässt Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer das nächste Projekt gegen die Wand fahren. Wegen eines Formfehlers musste die Verschärfung der Strafen für Temposünder bundesweit wieder außer Kraft gesetzt werden. Am Montag versuchten Vertreter des Bundesverkehrsministeriums und der Länderressorts nun, per Videokonferenz das Chaos zu lösen, das aus der Vollbremsung unweigerlich entstehen musste: Wie sollen die Behörden mit denjenigen umgehen, die schon nach der neuen Verordnung belangt wurden, mit höherem Bußgeld oder sogar einem Fahrverbot?

Am Montagabend wurde bekannt, dass die Bundesländer sich geeinigt haben, rechtlich zu prüfen, ob bereits eingezogene Führerscheine bald zurückgegeben werden. Denn obwohl die neue Straßenverkehrsordnung (StVO) aufgrund des Fehlers nicht rechtssicher ist, haben bereits verhängte Bußgelder und Fahrverbote durchaus Rechtskraft, wenn nicht innerhalb einer zweiwöchigen Frist Widerspruch eingelegt wurde. Wer also seinen Führerschein schon abgegeben hat, müsste das Fahrverbot rein rechtlich gesehen auch weiter befolgen. Wegen der Schwere des Eingriffs wollen die Länder aber bei den Fahrverboten nun eine "Billigkeitsprüfung" durchführen. Damit könnten die Führerscheine bundesweit vor Ende der Verbote bereits wieder an ihre Besitzer zurückgegeben werden. Das Saarland und Bayern haben die Rückgabe schon gestartet.

Noch schwebende Verfahren wollen die Länder nach dem Bußgeldkatalog der alten StVO entscheiden. Aus vielen Bundesländern war für Mai und Juni ein deutlicher Anstieg der Zahl der Fahrverbote gemeldet worden. Für die Zeit bis die neue Gesetzesnovelle wirklich rechtskräftig ist, gibt es keine einheitliche Strategie. Die Mehrzahl der Bundesländer kehrt zur alten Ordnung zurück, Thüringen hingegen wendet formal die neue an, vollzieht jedoch die Strafen nicht. In Bremen werden Verfahren, die zu einem Fahrverbot führen würden, ausgesetzt. Auch in Baden-Württemberg wird bei Verfahren mit hohen Bußgeldern oder Fahrverboten erstmal abgewartet. Aber: Wie lange?

Scheuers Begeisterung war bald verflogen

Hört man die Pläne von CSU-Minister Scheuer, dann muss die Antwort wohl lauten: Das kann dauern. Denn der möchte nun nicht nur den Formfehler, der seinem Haus unterlief, korrigieren, sondern am liebsten auch die Inhalte, die ihm inzwischen nicht mehr gefallen. Scheuer hatte zwar bei Inkrafttreten der neuen Regeln Ende April noch erklärt, mit der Novelle werde "unsere Mobilität sicherer, klimafreundlicher und gerechter", doch wenige Tage, Kommentare und eine Online-Petition später war Scheuers Begeisterung gänzlich verflogen. Er kritisierte die schärferen Fahrverbotsregeln aus dem eigenen Gesetz als unverhältnismäßig.

Da nun aufgrund des Formfehlers die StVO-Novelle ohnehin korrigiert werden und dann nochmals in die Abstimmung muss, möchte der Minister die Gelegenheit nutzen. Er will die neuen Fahrverbote bei Temposünden von mindestens 21 km/h im Ort und 26 km/h außerorts aus dem Gesetz entfernen. Denn die waren Hauptanlass für viele kritische Kommentare in Medien und bei der Autolobby. Die Online-Petition gegen die Fahrverbote sammelte mehr als 160.000 Unterzeichner.

Der FDP käme das entgegen. Sie würde in diesem Punkt gern an den alten Regeln festhalten, nach denen erst jemand, der zweimal das Tempolimit so stark missachtet, dass er einen Punkt in der Flensburger Kartei kassiert, dann auch den Führerschein für einen Monat abgibt. "Das halte ich für verhältnismäßig", sagt der Verkehrspolitische Sprecher Oliver Luksic ntv.de und zieht den Vergleich: "Führerscheinentzug gleich beim ersten Mal, also immer und bei jedem mit der schwersten Strafe zuzuschlagen, das ist harter Tobak und systemfremd." Da die Verordnung ohnehin erneuert werden müsse, seien "minimale Korrekturen" hier sinnvoll.

Andere Länder sind strenger als Deutschland

Für die Grünen wiederum ist eine inhaltliche Debatte um die neue StVO ein absolutes No-Go, sie wollen an den strengeren Regeln unbedingt festhalten. "Zumal in unseren Städten die Konkurrenz um die Flächen immer größer wird, mit immer mehr Verkehrsteilnehmern, man denke nur an die E-Roller", sagt Daniela Wagner, Grünen-Sprecherin für Stadtentwicklung, ntv.de. "Immer noch spielt das Auto eine dermaßen dominante Rolle und darf sich in der Regel mit Tempo 50 durch die Städte bewegen. Und wenn dann jemand mit 71 km/h durch die Stadt fährt, dann jammert er, wenn er für vier Wochen mit einem Fahrverbot belegt wird." Viele andere Länder Europas seien in diesem Punkt deutlich strenger als die Deutschen.

Auch aus der SPD heißt es bislang, die Fahrverbote sollten Bestand der Novelle bleiben. Letztlich waren diese für die Mehrheit der Bundesländer eine Bedingung, um der neuen StVO im Bundesrat überhaupt zuzustimmen. So wird deutlich, dass, auch wenn ein Scheuer-Sprecher am Freitag sagte, es werde "unter Hochdruck an einer raschen Klärung gearbeitet", das keineswegs bedeutet, dass es auch zu einer raschen Klärung kommt.

Denn so einig man sich außerhalb der Union im Erstaunen darüber ist, dass einem Ministerium mit entsprechender Fachabteilung ein solch banaler Fehler unterlief, herrscht bei der inhaltlichen Debatte um die Fahrverbote große Uneinigkeit und - vor allem seitens der Grünen - Ärger darüber, wie Scheuer seine eigene Fahrlässigkeit nun zum eigenen Vorteil nutzen möchte. Ein "durchsichtiges Manöver" nennt der Verkehrsclub Deutschland (VCD) den Versuch des Verkehrsministers, wegen eines Formfehlers den alten Zustand wieder herzustellen.

Wenn nun die Novelle bis auf absehbare Zeit nicht kommt, da die seinerzeit erzielte inhaltliche Einigung mit den Ländern vom Bundesminister wieder gekippt wird, wäre es auch schade um viele andere Neuerungen, die ebenfalls Teil der neuen StVO sein sollten: zum Beispiel mehr Abstand beim Überholen von Radfahrern oder höhere Bußgelder beim Parken auf Radwegen oder wenn man bei einem Unfall keine Rettungsgasse bildet. Juristisch könnte es sogar so sein, dass diese Teile der neuen Straßenverkehrsordnung weiterhin gültig wären, da sie von dem Formfehler nicht betroffen sind. Aber das vor Gericht zu klären, würde Jahre dauern.

Quelle: ntv.de


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