„The Boy“: Brahms spukt im britischen Schloss

  26 Februar 2016    Gelesen: 840
„The Boy“: Brahms spukt im britischen Schloss
„The Boy“ über eine Porzellanpuppe und deren Eltern in einem viktorianischen Schloss hätte ein kleiner Horrorklassiker werden können. Mit einem anderen Regisseur.
Kennen Sie Brahms? Nein, nicht den deutschen Komponisten, sondern die minutiös auf Lebensechtheit hin geformte und gebrannte Porzellanpuppe, die eigentliche Hauptfigur des US-Horrorfilms „The Boy“. Gemeinsam mit seinen Eltern, einem verschrobenen Greisenpaar, residiert er in einem stattlichen Herrenhaus irgendwo in Großbritannien. Man kann in der ersten Hälfte dieses eigentümlichen Films bloß Vermutungen anstellen, wieso die gutbürgerlichen Heelshires in der Trauer um ihren vor vielen Jahren verstorbenen Sohn so weit gegangen sind, mit ihren Erinnerungen eine leblose Puppe zu beseelen. Die Amerikanerin Greta (Lauren Cohan), als Kindermädchen engagiert, glaubt jedenfalls zuerst an einen Scherz – dieser britische Humor! –, merkt aber schnell, dass ihre Auftraggeber die Puppe sehr, sehr ernst nehmen.

Schrullige Greise, böser Kindgeist

Allein im schlossartigen Gemäuer, das geisterhaftes Kinderlachen erfüllt, dräut es dann auch der jungen Frau, dass der „Boy“ mehr als eine Erinnerung an den verstorbenen Brahms ist. In ihrer Anlage schnauft die Geschichte schauerromantische Luft: Dafür steht nicht nur das viktorianische Schloss, das in unzugänglichen Schächten und Kammern Geheimnisse geschützt hält, sondern auch das Thema des geisterhaften Nachlebens, das den gewöhnlichen Zeitenlauf aus den Angeln hebt. Die schrulligen Alten lassen als fast schon zur Parodie zugespitzte Charaktere an die grellen Figuren im urbritischen Schauerklassiker „The Old Dark House“ (1932, Regie: James Whale) denken. Und die Idee einer von einem bösen Geist beseelten Puppe findet sich etwa im „English Gothic“-Klassiker „Dead of Night“ (1945).

Es ist daher eher ernüchternd festzustellen, dass Bell die vielen innerlichen und äußerlichen Bezüge seines Stoffs, die in eine Blütezeit der Schauerkultur zurückweisen, nicht wirklich zu kennen scheint, sie jedenfalls nicht nutzt. Im Modus Operandi des US-Horrorkinos setzt er brav und artig, begeistert von der entrückten Schönheit der Orte, aber ohne kreative Anmut, diesen „Boy“ auf die Schienen eines hundsgewöhnlichen Jahrmarktsgrusels. Und alle schreien, wenn es einmal wieder hinter der Ecke rumst oder sich im wenig elegant fallenden Schatten etwas bewegt. Diese Vulgarisierung ist insofern ärgerlich, da Stacey Menears im mehrfachen Sinn doppelbödiges Drehbuch gar nicht wirklich auf drastische Effekte aus ist. Dann weiß man: Mit einem besseren Regisseur hätte „The Boy“ gar keine schlechten Chancen gehabt, zu einem kleinen Klassiker des Genres zu werden. Denn was als schwarzhumorige Geistergeschichte beginnt, stülpt sich mittendrin zu einem psychologisch dichten Thriller um, bevor sie als groteske und ordentlich schauerliche Tragödie zu ihrem Höhepunkt findet.

Schauerromantik als Modellbausatz

William Brent Bell hat schon in seinem bekanntesten Film, dem im zeitgeistigen „Found Footage“-Stil inszenierten Exorzismusschocker „The Devil Inside“ (2012) gezeigt, dass sein Erzählen keinen feinen Schliff kennt. Konnten sich seine Schwächen damals noch hinter Wackelkameras verstecken, offenbaren sie sich in der Edelgrusel-Gangart jetzt voll und ganz. Hauptdarstellerin Lauren Cohan, Freunden des Schreckens gut bekannt aus der Zombieserie „The Walking Dead“, rennt trotz erkennbaren Talents fast immer ins Leere: Sie scheint verloren im labyrinthischen Gemäuer, in diesem schauerromantischen Modellbausatz, der sich an den Relieftapeten und dem Naturlichtmangel delektiert, aber die menschlichen Tragödien darin mit dem Holzhammer vermittelt.

Man kommt nicht umhin, sich vorzustellen, wie „The Boy“ sich angefühlt hätte, wäre er etwa vom Mexikaner Guillermo del Toro inszeniert worden. Nicht nur weil er im vergangenen Jahr mit „Crimson Peak“ ein maximalistisches Stück „Gothic“-Kino präsentiert hat, sondern vor allem weil er alle Autoren des Genres gelesen, alle künstlerischen Referenzen getankt hat, um dieses im eigentlichen Sinn architektonische Kino auf die Leinwand bringen zu können. Bell hat einfach das viktorianische Anwesen Craigdarroch Castle in Kanada angemietet. Und das merkt man seinem Film leider auch an.

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