Auch Ex-Geheimdienstbeauftragter Fritsche lobbyierte im Kanzleramt

  22 Juli 2020    Gelesen: 698
Auch Ex-Geheimdienstbeauftragter Fritsche lobbyierte im Kanzleramt

Wirecard hatte intensiveren Austausch mit dem Kanzleramt als bisher bekannt. Auch ein Ex-Geheimdienstbeauftragter Angela Merkels setzte sich für den mittlerweile insolventen Finanzdienstleister ein.

Die Bundesregierung unterhielt deutlich mehr Kontakte zu dem Finanzunternehmen Wirecard, als sie bislang gegenüber dem Parlament und den Medien zugegeben hat. Auf Anfrage des SPIEGEL teilte das Bundeskanzleramt nun unter anderem mit, dass sich Klaus-Dieter Fritsche, ehemaliger Beauftragter für die Nachrichtendienste des Bundes, am 13. August 2019, an das Kanzleramt wandte.  

Der CSU-Mann, so heißt es in der Antwort des Bundespresseamtes, habe "um einen Gesprächstermin für die Wirecard AG" mit dem Leiter der Wirtschafts- und Finanzabteilung Lars-Hendrik Röller im September gebeten. Das Gespräch fand unter Beteiligung eines Wirecard-Vorstands im September 2019 statt. 

Was wusste Merkel?
Fritsches Kontaktaufnahme mit dem Kanzleramt vergrößert die politische Brisanz der Wirecard-Affäre. Bislang war bekannt, dass sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einer China-Reise persönlich für Wirecard eingesetzt hatte, obwohl das Bundesfinanzministerium die Arbeitsebene des Kanzleramts über Vorwürfe rund um Wirecard und Sonderuntersuchungen der Behörden in Kenntnis gesetzt hatte. Vor Merkels Reise hatte der ehemalige Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) bei Merkel im Auftrag von Wirecard vorgesprochen.  

Merkel soll über die Unregelmäßigkeiten bei Wirecard nichts gewusst haben, wie der Regierungssprecher beteuert: "Zum Zeitpunkt der Reise hatte sie keine Kenntnis von möglichen schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten bei Wirecard." Die Formulierung lässt allerdings offen, ob Merkel grundsätzlich über mögliche Unregelmäßigkeiten bei Wirecard im Bilde war, diese aber zum damaligen Zeitpunkt für nicht schwerwiegend erachtete.

Warum neben Guttenberg auch der Ex-Geheimdienstbeauftragte Fritsche beim Kanzleramt lobbyiert hat, wirft weitere Fragen auf: Haben die beiden CSU-Politiker gemeinsam gehandelt oder waren sie möglicherweise wegen unterschiedlicher Themen mit dem Kanzleramt im Gespräch?

Kommt der Untersuchungsausschuss?
Die neuen Informationen machen einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, so wie ihn insbesondere die Linksfraktion im Bundestag bereits offen fordert, immer wahrscheinlicher. In der kommenden Woche sollen auf einer Sondersitzung des Finanzausschusses mehrere Vertreter der Bundesregierung Rede und Antwort stehen. So werden unter anderem Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) erwartet. Danach könnte sich entscheiden, ob der Untersuchungsausschuss eingesetzt werden wird. 

Die Antwort des Bundespresseamts offenbart die Fülle der Kontakte zwischen der Regierungszentrale und Wirecard. Nach einer Betriebsbesichtigung bei Wirecard durch die Staatsministerin im Kanzleramt, Dorothee Bär (CSU), im November 2018 wandte sich das Büro des damaligen Vorstandschefs Markus Braun über Bärs Büro ans Kanzleramt und bat um einen Termin mit Merkel am 22. Januar 2019. Merkel lehnte ab, das Kanzleramt bot stattdessen ein Gespräch mit Abteilungsleiter Röller an. Diesen Termin wiederum sagte Braun ab. 

Das Buhlen der Firma aus Aschheim um die Aufmerksamkeit im Kanzleramt ging anschließend jedoch weiter, auf einer anderen Ebene. Ein gutes halbes Jahr später, am 13. August 2019, meldete sich der ehemalige Beauftragte für die Nachrichtendienste des Bundes, Klaus-Dieter Fritsche, in der Regierungszentrale. Fritsche bat um ein Gespräch mit Abteilungsleiter Röller. Dieses Mal sagte das Kanzleramt zu.  

Zur "Vorbereitung des Termins" wandte sich das Kanzleramt an das Bundesfinanzministerium und "bat um Informationen zum Unternehmen". Wie bereits vom SPIEGEL beschrieben, lieferte das Haus von Vizekanzler Scholz am 23. August 2019 mehrere Presseberichte und Drucksachen des Bundestags, unter anderem zu den Geldwäschevorwürfen und Marktmanipulationen in Zusammenhang mit Wirecard.  

Das Gespräch fand am 11. September statt. Neben Röller und Fritsche waren Alexander von Knoop, damaliger Finanzvorstand der Wirecard AG, und Burkhard Ley, ein Berater des Vorstands, anwesend. Der Termin habe dem "gegenseitigen Kennenlernen" gedient, erklärt ein Regierungssprecher. "Zudem informierte die Wirecard AG in allgemeiner Form über ihre Geschäftsaktivitäten in Fernost."

Fritsche selbst erklärte gegenüber dem SPIEGEL, im Sommer 2019 von einem Freund gefragt worden zu sein, ob er für das Unternehmen einen Kontakt zum Kanzleramt organisieren könne. "Da es eins von nur vier Dax-Unternehmen aus Bayern ist, habe ich zugesagt und einen Termin mit Herrn Röller angefragt", erinnert sich Fritsche. Für die Anbahnung habe er ein für externe Berater übliches Salär von Wirecard bekommen.

Auch Fritsche sprach von einer Art Kennenlern-Treffen. "Wir haben ganz zivil geredet, es wurde keine Hilfe aus dem Kanzleramt oder gar der Kanzlerin selber eingefordert", sagte er dem SPIEGEL. Von den Geldwäsche-Vorwürfen gegen Wirecard will Fritsche im Herbst 2019 noch nichts gewusst haben. Zwar habe der Finanzvorstand im Kanzleramt entsprechende Vorwürfe der "Financial Times" erwähnt, dies aber als Fehde mit einem einzelnen Journalisten dargestellt. "Ich ging damals davon aus, dass Wirecard eines der Unternehmen der digitalen Zukunft ist, deswegen habe ich ihnen geholfen", sagt er. "Ich jedenfalls hatte keinerlei Grund, an der Seriosität des Unternehmens zu zweifeln."

Nach dem Gespräch mit Röller sei er nicht mehr für Wirecard tätig geworden. "Es war ein einmaliger Kontakt und ein Gespräch von vielleicht 30 Minuten", erinnert sich Fritsche. Danach habe er von Wirecard nichts mehr gehört.

So oder so wird die Wirecard-Affäre mit der Personalie Fritsche noch ein Stück rätselhafter. Der CSU-Mann aus Bamberg war nach seinem Ausscheiden als Staatssekretär und Geheimdienstkoordinator im Jahre 2018 unter anderem als Berater für den Innenminister Österreichs, Herbert Kickl von der FPÖ, tätig. Zu der rechtsnationalen Partei unterhielt auch der mittlerweile auf der Flucht befindliche Wirecard-Vorstand Jan Marsalek Kontakte. Er soll mit Vertretern der Partei Geheimdienstinformationen geteilt haben.

Außerdem gab der Regierungssprecher bekannt, dass sich der frühere Vorstandschef Braun noch am 20. Mai dieses Jahres an Abteilungsleiter Röller wandte, um die Vorwürfe der Bilanzfälschung zu entkräften. Röller habe dies "zur Kenntnis" genommen. Noch am 10. Juni nahm Braun demnach an einer Videokonferenz Merkels und des Chefs des Kanzleramtes mit Vertretern der Dax-30-Unternehmen zur Vorstellung der Corona-Warn-App teil. Gut zwei Wochen später meldete Wirecard Insolvenz.

spiegel


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