Wäre Heiko Maas zwei Wochen früher nach Beirut gekommen, hätte er eine andere Stadt erlebt. Eine moderne, pulsierende Metropole am Mittelmeer. Besonders das Hafenviertel versprühte jenes Flair, das der Stadt einst den Beinamen "Paris des Nahen Ostens" eingebracht hatte. Moderne Hochhäuser mit chicen Appartements, kleine Restaurants und Bars und angesagte Galerien entlang des Yachthafens. Modern und gleichzeitig mondän. Und dann noch dieses unglaubliche Licht in der blauen Stunde - es war einfach traumhaft schön. Das ist gerade mal zwei Wochen her.
Jetzt steht der deutsche Außenminister in einem Trümmerfeld, das viel größer ist als es die Fernsehbilder ahnen lassen. Maas' Kolonne fährt minutenlang an kaputten, eingestürzten Häusern, zerfetzten Autos und Unmengen Schutt vorbei. Die verheerende Explosion auf dem Hafengelände am 4. August hat mehr als 150 Tote und geschätzte 5000 Verletzte gefordert und war so gewaltig, dass das gesamte Hafenviertel nicht mehr existiert.
Der Wiederaufbau wird Jahre dauern und Milliarden verschlingen. Erste Pläne wurden bereits geschmiedet, da hatte sich die Staubwolke der Detonation noch gar nicht gelegt. Doch diese Pläne bleiben erstmal in den Schubladen, zunächst geht es darum, die Trümmer wegzuräumen, den Menschen, die buchstäblich mit einem Riesenknall obdachlos geworden sind, ein Dach über dem Kopf zu geben, die Verletzten zu versorgen - und all das mitten in der Corona-Pandemie, die im Libanon genauso wütet wie anderswo auch.
Heiko Maas ist nicht mit leeren Händen nach Beirut gekommen. Im Gepäck neben 500 Hygienekits die ersten vier der 20 Millionen Euro Soforthilfe, die die Bundesregierung bereits am Wochenende freigegeben hatte. Das Geld geht direkt an das Libanesische Rote Kreuz und an einen Fonds der Vereinten Nationen, der die Hilfe direkt vor Ort verteilt, "weil wir wollen, dass das Geld dort ankommt, wo es gebraucht wird und nicht in irgendwelchen Kanälen versickert, von denen es im Libanon leider zu viele gibt", stellt Maas nach seinem Gang durch die Trümmerlandschaft unverblümt klar.
Ganz bewusst wird das Geld also nicht an die libanesische Regierung überwiesen, die ohnehin nur geschäftsführend im Amt ist. Die Explosion im Hafen hatte auf den wütenden Protest der Libanesen gegen Korruption und Vetternwirtschaft wie ein Katalysator gewirkt und die gesamte Regierung am Montag zum Rücktritt gezwungen.
Trauer in der Deutschen Botschaft
Vom Hafen fährt Heiko Maas weiter zur Deutschen Botschaft. Hier können die insgesamt 160 Diplomaten und Mitarbeiter nach der Explosion nicht bleiben, das Haus ist zu stark beschädigt und droht einzustürzen. Die meisten Fenster sind aus den Rahmen gesprungen, einige hängen nur noch an einer einzigen Befestigung, Türen aus den Verankerungen gerissen. Trotzdem wollte der Außenminister unbedingt herkommen. Im Innenhof trifft er die Mitarbeiter, sagt ein paar Worte, aber vor allem sollen die Botschaftsangehörigen die Gelegenheit haben, mit ihm zu sprechen. Die Trauer um die Kollegin, die bei der Explosion ums Leben gekommen ist, der Schock der Detonation, all das ist noch sehr präsent. Das Treffen in der Botschaft dauert dann auch länger als geplant, aber Maas nimmt sich die Zeit. Er hatte ohnehin keine Verabredung mit Regierungsvertretern.
Mit wem soll er auch reden? Die Regierung ist zurückgetreten und nur geschäftsführend im Amt. Und die Hilfe aus Deutschland ist ausdrücklich nicht an Bedingungen geknüpft, etwa nach Reformen im Land, den Kampf gegen die allgegenwärtige Korruption oder die Forderung nach mehr Transparenz und Rechtsstaatlichkeit und die Rolle der Hisbollah. Alles Themen, über die nach einer vorgezogenen Neuwahl mit der neuen Regierung zu reden sein wird. Aber nicht heute. Dieser ohnehin nur sieben Stunden dauernde Besuch steht ganz im Zeichen der schnellen Hilfe für die Menschen.
Immerhin: wenn Heiko Maas auch kein Regierungsmitglied trifft, verlässt er Beirut doch nicht, ohne wenigstens kurz bei Präsident Michel Aoun hereinzuschauen. Soviel Zeit muss sein.
Quelle: ntv.de
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