Viele Gegner der einschränkenden Corona-Maßnahmen sagen, das Coronavirus sei gar nicht so gefährlich wie behauptet wird. Zumindest sei es jetzt nicht mehr so tödlich wie im Frühjahr. Als Beweis führen sie an, dass in Deutschland kaum noch Menschen an Covid-19 sterben, obwohl die Neuinfektionen wieder deutlich ansteigen. Das scheint auf den ersten Blick plausibel zu sein, doch so einfach ist die Sache nicht.
Unbestreitbar ist die Todesrate extrem zurückgegangen. Ende April starben laut den Zahlen des Robert-Koch-Instituts (RKI) noch rund sieben Prozent der Covid-19-Patienten, im Juni sank die Rate unter ein Prozent. Aktuell erliegen weniger als 0,5 Prozent der registrierten Infizierten. Und das, obwohl seit Mitte Juli die Zahl der Neuinfektionen kontinuierlich steigt.
Viele Gründe für gesunkene Todesrate
Das bedeutet aber keineswegs, dass das Virus harmloser geworden ist, der Rückgang hat verschiedene andere Gründe. Manche liegen klar auf der Hand, andere müssen noch näher erforscht werden. Wie stark sie ins Gewicht fallen, ist außerdem von Land zu Land verschieden. Unter anderem spielen Unterschiede bei Demografie, Wirtschaftsleistung, Leistungsfähigkeit des Gesundheitssystems und Politik entscheidende Rollen.
Zunächst kann man davon ausgehen, dass früher weniger Covid-19-Fälle identifiziert wurden, also vor allem solche mit klaren Symptomen. So ist die Rate alleine schon deswegen etwas zurückgegangen, weil sich das Verhältnis von registrierten Infektionen zu Todesfällen verändert hat.
Unverändert tötet das Virus vor allem sehr alte Menschen, durchschnittlich wurden die Verstorbenen 81 Jahre alt. Entsprechend nimmt das Risiko schwerer Krankheitsverläufe ab, je jünger Patienten sind. Anfang April, als die Sterberate mit bis zu sieben Prozent am höchsten war, betrug das Durchschnittsalter der registrierten Infizierten 52 Jahre, seit Juni liegt es unter 40 Jahren. Jetzt ist der durchschnittliche registrierte Covid-19-Patient 34 Jahre jung. Das Virus betrifft jetzt also vor allem Altersgruppen, die mit großer Wahrscheinlichkeit nicht an Covid-19 sterben werden.
Ein weiterer Grund für die drastisch gesunkene Todesrate unter Covid-19-Patienten sind die verbesserten Behandlungsmethoden. Am Anfang wurden die Ärzte von einer Krankheit überrascht, die ihnen viele Rätsel aufgab. Das tut sie zwar noch immer, aber inzwischen hat die Medizin dazugelernt. Teils durch Forschung; Ärzte und Personal haben aber auch viel durch Erfahrung gelernt. Statt verschiedene Behandlungen auszuprobieren, in der Hoffnung, dass sie wirken, wissen sie jetzt oft, was den Patienten hilft - oder warum sie möglicherweise sterben. So ist inzwischen bekannt, dass Patienten ein hohes Risiko für Thrombosen und Lungenembolien haben oder Immunthrombosen erleiden.
Viele Tests und Spezialisten
Die verbesserten Therapien gehen einher mit den ausgeweiteten Testkapazitäten. Anfangs wurde oft erst bei klaren Symptomen getestet, heute reicht ein Verdacht. So wird eine Erkrankung jetzt in einer früheren Phase erkannt, in der sie erfolgreicher behandelt werden kann.
Die Tests dürften allgemein ein Erfolgsrezept gewesen sein, das Deutschland bisher vergleichsweise glimpflich davonkommen ließ - was Verharmloser und Leugner jetzt als Beleg für die Harmlosigkeit von Covid-19 fehldeuten oder missbrauchen. Entwickelt wurde das erste Nachweisverfahren für das Coronavirus in Berlin bereits im Januar von einem Team um Christian Drosten.
Spätfolgen auch bei leichten Verläufen
Aber selbst wenn heute in Deutschland kaum noch jemand an Covid-19 stirbt und jüngere Menschen selten einen schweren Verlauf haben, darf man Sars-Cov-2 nicht unterschätzen. Die Krankheit kann immer noch tödlich sein und in jüngster Zeit deuten immer mehr Studien und Erfahrungsberichte darauf hin, dass Covid-19 ernste Spät- und/oder Langzeitfolgen haben kann. So kann der Erreger vermutlich auch bei milden Verläufen das Gehirn und innere Organe schädigen. Die Forschung ist erst am Anfang, aber so viel weiß man schon: Harmlos ist Sars-Cov-2 wirklich nicht.
ntv
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